GEW: Schlussstrich unter Rechtschreibreform

Moderation: Hanns Ostermann · 03.03.2006
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will die Rechtschreibreform akzeptieren. Zwar werde die Rechtschreibung durch die Reform nicht leichter und eindeutiger, die Schulen hätten aber viel wichtigere Probleme, sagte die stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer. Sie hoffe, dass nun ein Schlussstrich gezogen werden könne.
Hanns Ostermann: Ich begrüße die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marianne Demmer.

Frau Demmer, das "Schwarze Brett" oder die "Große Koalition" werden jetzt wieder groß geschrieben, "pleitegehen" dagegen klein und in einem Wort. Sind die Regeln jetzt klarer und nachvollziehbarer als früher?

Demmer: Für meine Begriffe nicht. Sie sind, ich sage mal, für das ältere Auge wieder zum Teil gewohnter.

Ostermann: Nachvollziehbarer.

Demmer: Das ist das, was man früher gelernt hatte und von daher erscheint es einem dann auch geläufiger, normaler.

Ostermann: Aber ein vernünftiger Ausgleich - wenn ich Sie richtig verstehe - ein Ausgleich zwischen den Belangen der Schüler und dem allgemeinen Sprachgebrauch, der ist noch nicht gefunden?

Demmer: Nein, der ist nicht gefunden, natürlich nicht. Die Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrkräfte müssen sich jetzt erneut umorientieren und zwar innerhalb ja nun wirklich eines relativ kurzen Zeitraums. Für die Eltern wird es vermutlich mit erneuten Kosten verbunden sein.

Ostermann: Der deutsche Elternverein - vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb er das fordert - er will, dass neben der reformierten Rechtschreibung auch die klassische Rechtschreibung gilt. Die wird immerhin von 70 Prozent der Bevölkerung praktiziert. Wie stehen Sie eigentlich dazu?

Demmer: Für die Schulen ist das keine Lösung. Ich denke mal, was Privatpersonen tun, das ist natürlich deren Sache. Die können so richtig oder so falsch schreiben wie sie möchten, aber für Schulen ist das natürlich keine Lösung. Da kann es kein Nebeneinander von dann insgesamt wahrscheinlich drei Schreibweisen geben, da werden ja alle verrückt.

Ostermann: Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten Jahren in der Schule gesammelt mit dem Problem der Rechtschreibung?

Demmer: Wir haben in den Kontakten mit den Lehrkräften eigentlich nur die Rückmeldung bekommen, dass es sich vor allen Dingen in den Grundschulen beim Erwerb der Rechtschreibung sehr bewährt hat. Da hat es kein Klagen gegeben. Es hat keine Problem in dem Sinne gegeben, dass uns gesagt worden wäre: Oh wei, da muss man irgend etwas ändern. Die Grundschullehrkräfte waren überwiegend zufrieden.

In den höheren Klassen hat sich das nacheinander eingespielt, weil dort natürlich durch die großzügigen Übergangsfristen auch relativ viel Zeit vorhanden war, sich umzustellen. Die Probleme, die vereinzelt in den Zeitungen berichtet worden sind, das waren wirklich sehr einzelne Stimmen, die man überhaupt nicht verallgemeinern konnte.

Ostermann: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sehen Sie jetzt also der Reform der Reform weiter kritisch entgegen? Die Ministerpräsidenten werden dem Ganzen mit hoher Wahrscheinlichkeit ja zustimmen. Sie sind trotzdem nicht zufrieden, obwohl richtige Schritte gemacht wurden?

Demmer: Man weiß natürlich nicht, ob die Ministerpräsidenten zustimmen, ich vermute es aber mal. - Ja, bin ich zufrieden? Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich bin die Diskussion auch leid. Die bringt uns nichts mehr. Die Schulen haben so viel wichtigere Probleme, als sich alle paar Jahre in der Rechtschreibung umzustellen.

Also wenn jetzt hiermit dann ein Schlussstrich unter die Debatte gezogen wäre, wird die GEW mit Sicherheit nicht dagegen protestieren. Nur, man sollte sich wirklich keiner Illusion hingeben. Es wird dadurch nicht leichter. Es wird durch diese neuen Änderungen nicht eindeutiger, es wird für ältere, geübte Rechtschreiber wieder gewohnter.

Ostermann: Welche Konsequenzen sollten wir denn aus diesem Streit ziehen, in dem die Politik keine unwichtige Rolle dabei spielte, die Sprache zu nominieren? Oder anders herum: Sollte künftig die Politik die Finger von der deutschen Sprache lassen, und sie dem Duden überlassen?

Demmer: Das ist eine zentrale und auch sehr schwierige Frage. Sie wissen vielleicht, dass die GEW eigentlich der Auffassung ist, dass man auch die Groß- und Kleinschreibung wirklich konsequent dem angelsächsischem Vorbild hätte anpassen sollen, also wirklich zu einer so genannten gemäßigten Kleinschreibung hätte übergehen sollen. Das wird man mit Sicherheit nicht dadurch, oder könnte man mit Sicherheit nicht dadurch erreichen, dass man dem Duden das überlässt.

Das würde schon eines politischen Aktes bedürfen. Aber ich muss sagen, im Moment haben wir keine Lust mehr, diesen Streit aufzugreifen. Was ich allerdings beobachte, ist, dass sich im Schreibgebrauch der sich um die neuen Medien herum entwickelt, also in E-Mails - ich bekomme dermaßen viele E-Mails, die mittlerweile alles klein schreiben, wahrscheinlich, weil es einfach schneller geht und man auf der Tastatur die Umschalttaste nicht betätigen muss - dass es möglich, dass es denkbar und möglich ist, dass sich tatsächlich in der Bevölkerung langsam, schrittweise schon neue Regeln und neue Verfahren einstellen.

Ich weiß es nicht. Also wir werden von uns aus sicher jetzt keine neue Anstrengung unternehmen, da noch mal grundsätzlich in nächster Zeit etwas zu ändern.

Ostermann: Und die Lehrer werden sich an die Spielregeln zu halten haben, die die Kultusminister und demnächst die Ministerpräsidenten vom ersten August dieses Jahres an auf den Weg bringen. Vielen Dank, das war Marianne Demmer, die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.