Getragen von der Gegenwart Gottes

Von Andreas Malessa · 28.11.2009
Die Nonne Katharina Schridde bezeichnet ihren bisherigen Werdegang als eine "Heilungsgeschichte". Den entscheidenden, tatsächlich lebensverändernden Impuls bekam sie auf einem Evangelischen Kirchentag.
"Ich ging durchs Gewühl und Gewusel, suchte nicht wirklich irgendwas und sah mitten in diesem Gewühl plötzlich drei Frauen stehen in wunderschönen grauen Gewändern und vor allem hörte ich etwas : Ich hörte einen wunderschönen Gesang, von dem ich damals nicht wusste, dass es gregorianischer Psalmengesang ist, und fand es unendlich anrührend, dass inmitten dieses trubeligen wuseligen Kirchentagsgewühls diese zwei, drei Frauen nichts Wichtigeres zu tun hatten, als in größter Gelassenheit da zu stehen und – für mich jedenfalls – geradezu himmelsöffnende Gesänge zu singen."

Sie hieß mal Barbara. Barbara Schridde. Olympiaverdächtige Hochleistungsschwimmerin. Beendet ihre Karriere, als die Eltern sich trennen. Bricht bei der Klassenfahrt nach Auschwitz zusammen.

"Der entscheidende Einbruch auf dem Weg, würde ich denken, war der der Begegnung mit dem Holocaust. Zehnte Klasse, Geschichtsunterricht, eine schwache Ahnung davon bekommen, was menschenmöglich ist und damit verbunden die Frage: Was sind wir Menschen, dass wir zu solchen Taten fähig sind?! Und das Erkennen: Es gibt eine Kraft in diesem Leben, die stärker ist als der Tod, die ich damals in der Begegnung mit dem Volk Israel gemacht hab."

Die Abitursbeste ihres Jahrgangs lernt Hebräisch, reist nach Israel, sucht eine innere Heimat in ihrer Gastfamilie - und wird auf offener Straße und bei hellichtem Tag vergewaltigt. Zurück in Berlin bricht sie ihr Geschichts-Studium ab, wird Schwesternschülerin auf einer Krebsstation für Kinder - und hungert sich, boulimiekrank, auf 42 Kilogramm herunter.

"Ich denke, zum einen ist es sicherlich rein psychologisch leicht zu deuten: Der Versuch, eine Selbstbestrafung vorzunehmen, wenn die Bestrafung der vermutet Schuldigen oder geahnt Schuldigen nicht möglich ist. Die andere Spur würde ich noch weiter deuten, die heißt: Grenzerfahrung. Leiblich, geistig, seelisch zu erfassen und erfahren: Wie weit kann ich gehen? Wo ist die Grenze zwischen Leben und Nichtleben. Magersucht ist eine sehr hochmütige Krankheit, weil sie sozusagen immer von dem Gefühl gespeist ist, ich selber hätte die Grenze letztlich im Griff, was nicht stimmt."

Psychischen Halt findet die Westberliner Barbara Schridde bei ihrer Ostberliner Oma Katharina. Als die stirbt, will sie deren Vornamen erben. Der Standesbeamte sagt: Vornamen ändern wir nur im Falle eines Religionswechsels. Voila – Barbara findet eine evangelische Pfarrerin, die sich ein knappes Jahr lang alle Vorwürfe und Vorurteile anhört, entdeckt den christlichen Glauben und – lässt sich taufen. Auf den Namen Katharina Schridde.

Der erste Kirchentag nach der Wende - 1991 in Dortmund - bringt sie in Kontakt mit den "Schwestern vom Casteller Ring", einer evangelischen Kommunität aus Franken. Psychisch labil ist sie auch nach diesem Damaskuserlebnis, aber: Sie wird ins Noviziat aufgenommen. Fünf Jahre auf Probe.

"Es gibt ein wunderschönes Buch von Luise Rinser: 'Geh fort, wenn Du kannst'. Bin aber nicht gegangen, obwohl es konkrete Möglichkeiten gegeben hätte und irgendwann kam ich zu dem Punkt, wo ich das zur Kenntnis nahm: Du bist nicht gegangen, also sag einfach Ja: Und das hab ich getan und seitdem ist es gut."

Katharina Schridde leitet heute die Außenstelle der "Communität Casteller Ring" im Augustinerkloster Erfurt.

"Eine Mischung aus Pfarrdienst und Bildungsreferentin. Was macht die Nonne in dem Ganzen aus? Die bleibende Sehnsucht danach, dass all das getragen sein möchte von der Gegenwart Gottes und dass ein bisschen was davon in unserem Tun sichtbar wird."

Aber haben denn klösterliche Kontemplation und Stille im Leben normalberufstätiger Menschen überhaupt eine Chance?

"Die Stille hat die Chance, die wir ihr geben. Sie könnte in der lauten, überfluteten Welt immer wieder Atempausen schaffen, die es ermöglichen, mit der Flut so umzugehen, dass nicht die Flut mit uns umgeht, sondern uns die Möglichkeit zur Wahl bleibt: Was brauche ich wirklich von all dem? Dazu muss ich mich immer wieder rückbesinnen, nicht nur auf mich, sondern auch auf meinen Ursprungsort – ich nenne diesen Ursprungsort Gott – insofern brauchen wir die Stille, nach meinem Empfinden, um frei bleiben zu können in all dem."