Geteilte Erfahrung der Teilung

Von Klaus Heymach · 16.06.2009
Auf den ersten Blick haben Deutschland und der Jemen nicht viel gemein. Doch auch dort gab es bis 1990 zwei Staaten - davon einen sozialistischen. Das Goethe-Institut hat nun symbolische Mauersteine in die Hauptstadt Sanaa geschickt, um sie von Künstlern gestalten zu lassen - und zu erfahren, was die Jemeniten mit Teilung und Einheit verbinden.
Dicke Mauern aus gebrannten Lehmziegeln schützen vor der heißen Vormittagssonne. Im schattigen Hof des Nationalmuseums von Sanaa sind die Styroporblöcke aus Deutschland aufgebaut: jeweils 2,50 Meter hoch, einen Meter breit und auf beiden Seiten mit Leinwand bezogen. Zu den Klängen jemenitischer Folklore arbeiten acht Malerinnen und Maler daran, vier aus dem einstigen Südjemen und vier aus dem Norden. Zurück in Deutschland, sollen die großformatigen Gemälde am 9. November wie Dominosteine vor dem Brandenburger Tor fallen.

"Das ist ein schönes Symbol. Wir haben schließlich viel gemeinsam, beide Länder waren lange geteilt. Und beide müssen, glaube ich, auch noch daran arbeiten, dass die Teilung in den Köpfen wirklich überwunden wird - vor allem wir im Jemen. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Botschaft mit unseren Werken nach Deutschland bringen können."

Abdallah al-Mujahid lässt auf seinem Mauerstück eine weiße Taube über Stacheldraht gleiten. Das stilisierte Gesicht darunter hat der 60-Jährige aus Sanaa in zwei verschobene Hälften geteilt - ein Zeichen für die Mauer in den Köpfen. Sein Kollege Kamal al-Makrami stammt aus dem anderen Landesteil, aus Aden. Der 48-Jährige stellt die Teilung mit Fragmenten grün lackierter Blechfässer dar.

"Die sollen an einen Kontrollposten erinnern, so wie den Checkpoint Charlie in Berlin oder die Militärposten bei uns hier im Land. Ich bin kein politischer Künstler. Aber ich will dazu beitragen, dass über Einheit und Teilung gesprochen wird, in Deutschland und im Jemen."

Im Jemen ist die Einheit ein heikles Thema. Während die Künstler im Nationalmuseum die symbolischen Mauersteine bemalen, gehen in Aden, der einstigen Hauptstadt des sozialistischen Südens, wieder Tausende auf die Straße. Sie fordern mehr Rechte und Unabhängigkeit vom Norden, manche sogar die Abspaltung. Das geht Makrami zu weit. Doch auch er fühlt sich noch immer fremd im Norden.

"Vor der Vereinigung waren Aden und Sanaa die Hauptstädte zweier völlig unterschiedlicher Länder. Die Grenze zwischen Nord und Süd war auch eine kulturelle Barriere. Und jetzt, da es ein Land ist, dominiert der Norden. Wir im Süden mussten unsere Traditionen aufgeben, vieles hat sich geändert für uns - zum Schlechteren."

Seit Jahren wächst bei den Menschen im Süden das Gefühl, politisch bevormundet und kulturell überrannt zu werden. Zu viel hat sich seit der Vereinigung für sie geändert, zum Beispiel für die Frauen: Unter den Sozialisten war es normal, arbeiten zu gehen und kurze Röcke zu tragen. Heute dominiert auch im Süden die schwarze Ganzkörperverschleierung.

Amnah al-Nasiri stammt aus Sanaa - und versteckt sich trotzdem nicht unter dem Schleier. Die schwarzen Haare der 39-Jährigen schauen unter einem locker gebundenen schwarz-roten Tuch hervor, die große Sonnenbrille hat sie sich auf die Stirn geschoben. Die Malerin und Philosophieprofessorin sprüht gelbe Farbe auf tiefblauen Grund: Vögel, die über eine stilisierte rote Schranke fliegen.

"Hier geht es um Freiheit und Einheit. Ich glaube, beides gehört zusammen. Die Menschen wollen frei sein, genau wie diese Vögel. Doch Freiheit bedeutet nicht, das Land zu teilen. Wir brauchen mehr Demokratie und persönliche Freiheit, aber zugleich müssen wir ein Land bleiben, ein starkes Land. Wir müssen die Einheit bewahren."

In ihren Vorlesungen und Gemälden stellt die Philosophin und Künstlerin immer wieder die Frage, was Freiheit in einem islamisch geprägten konservativen Land wie dem Jemen bedeutet. Islam und Stammesdenken seien auf dem Vormarsch, sagt sie - im Norden wie im Süden:

"Jetzt behaupten die Konservativen sogar, die Schönen Künste verstießen gegen die Religion. Diese Vorstellung ist völlig neu, davon sprach vor 20 Jahren niemand. Das ist der Einfluss des politischen Islams. Wenn das so weitergeht, dann sehe ich keine Perspektive für die Kunst im Jemen."

Vom Verkauf ihrer Gemälde kann Nasiri nicht leben, Käufer und Galerien findet sie fast nur im Ausland. Dabei brauche eine Gesellschaft doch nicht nur Brot und Wasser, sondern auch die Kunst, sagt Nasiri, während sie weiter mit ihrer Spraydose hantiert. Ihr Sohn ist zum Studieren nach Malaysia gegangen. Sie selbst will in Sanaa bleiben.

"Wenn alle dieses Land verlassen - wofür leben wir dann? Es ist wichtig, hier etwas zu tun und die Mentalität der Menschen zu ändern. Natürlich wäre es für mich viel einfacher, woanders zu arbeiten. Ich weiß, dass es schwer ist, weiterzumachen, aber ich glaube, ich muss das tun."