Getanzte Abseitsregeln

Von Elisabeth Nehring · 15.01.2011
In "The Offside Rules" erzählt die argentinische Choreografin Constanza Macras von zerrütteten Familien und Gewalt. Ihr Tanzstück, das sie mit dem Market Theatre Johannesburg verwirklichte, entstand im Rahmen des Kulturprogramms der Fußball-WM in Südafrika.
Auch wenn die umtriebige Argentinierin Constanza Macras von Marked Theatre und Goethe-Institut in Johannesburg eigens zur Produktion eines Tanzstücks im Rahmen des Kulturprogramms der Fußball-WM 2010 eingeladen wurde – ein Stück über Fußball ist es nicht geworden.

'Abseitsregeln' aber gelten auch hier, denn ihre zehn Tänzer, sieben davon aus Südafrika, erzählen im typisch Macras'schen Stilmix aus Tanz-, Gesang-, Spiel-, Kampf- und Videokunst über Leben jenseits des Zentrums. Zerrüttete Familien, Gewalt, fehlende Sicherheit – alles fliegt in Anrissen über die Bühne, doch nichts schmälert die Energie, das heißt den Unterhaltungswert der Show, die im Crossover tänzerische und musikalische Zitate aus Hiphop- und Popkultur, afrikanische Rhythmen, Step, athletischer Contact-Improvisation u.v.m. verschmilzt.

Macras selbst hat im Vorfeld die 'Segregation' als ein besonderes Problem Johannesburgs beschrieben und – daran anschließend – die fehlende Mobilität für Leute aus ärmeren Vierteln. Denn das öffentliche Transportsystem ist mehr als lückenhaft, daran ändert auch die neu gebaute Schnellbahnlinie Gautrain nichts, die von den Zentren zum Flughafen fährt und sich damit für Bewohner der Townships als vollkommen unnütz erweist. Das kommt in den Dialogen und Reden der Darsteller, die zugleich Musiker, Tänzer, Sänger und Spieler sind, gelegentlich zur Sprache, genau wie die schrecklichen Begebenheiten der WM 1978 in Argentinien, der Heimat Constanza Macras', bei der Hunderte von 'vermissten Personen' in Folterkellern verschwanden und zum WM-Sieg des Landes auf den Straßen mit ihren Peinigern feiern durften.

Doch die Bitterkeit der Realität findet hier nur in den hingeworfenen Fetzen der persönlichen Geschichten statt, atmosphärisch, choreografisch, inszenatorisch spiegelt sie sich kaum wider. Macras bleibt – wie in vielen Stücken – trotz des zweifellosen Interesses an der sie umgebenden Wirklichkeit fast immer an der Oberfläche aller Erscheinungen – und damit beim Vorherseh- und Erwartbaren. Die Kreisbewegungen, die ihre Inszenierungen auf der dramaturgischen Ebene schreiben, werden – zumindest teilweise – von ihren großen Stärken aufgefangen: der respektvolle Umgang mit ihren Darstellern, die Ermutigung zur Entfaltung, ohne dabei ins Gönnerhafte zu verfallen, das Unhierarchische und Gleichberechtigte, mit der ihr Ensemble auf Zeit die Lust feiert, genau an diesem Abend auf der Bühne zu stehen.


Homepage des Theaters Hebbel am Ufer: "The Offside Rules"