Gesundheitsstaatssekretär: Nichtraucherschutz wird in Zukunft eine europaweite Frage sein

30.07.2008
Der Berliner Gesundheitsstaatssekretär Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke) hatte im Rauchverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf ein Urteil zugunsten des Gesundheitsschutzes gehofft. Er rechne damit, dass es mittelfristig eine europaweite Diskussion über den Nichtraucherschutz geben werde, sagte er im Vorfeld der Entscheidung.
Hanns Ostermann: So schwer es ihnen gefallen ist – Raucher haben sich mittler-weile bei uns daran gewöhnt: Es darf längst nicht mehr überall gequalmt werden. Das grundsätzliche Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden gilt inzwi-schen bundesweit, auch wenn sich einzelne Länder Schlupflöcher gelassen haben, Ausnahmeregelungen. Die Probleme sind damit noch längst nicht vom Tisch. Was ist mit den Eckkneipen, deren Raum zu klein ist, um einen getrennten Raucher- und Nichtraucherbereich einzurichten? Meine Gäste wollen Bier, und dazu gehört die Zi-garette, argumentiert eine Kneipenbesitzerin in Berlin. Sie beklagt einen immensen Umsatzverlust und auch darum wird es heute vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen. Sind die Umsatzeinbußen zumutbar? Am Telefon von Deutschland-radio Kultur ist jetzt Dr. Benjamin-Immanuel Hoff von der Linken, in Berlin Staatssek-retär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Guten Morgen, Herr Hoff!

Benjamin-Immanuel Hoff: Schönen guten Morgen!

Ostermann: Ich bin sicher, meint ein Berliner Verwaltungsrechtler und Professor an der Humboldt-Universität: Das Rauchverbot für kleine Kneipen wird heute gekippt. Würden Sie bei einer Wette gegenhalten?

Hoff: Ich wette nur, wenn ich 100 Prozent sicher bin, das bin ich in dem Fall nicht, auch wenn ich guter Hoffnung bin.

Ostermann: Sie sind guter Hoffnung, dass sich Karlsruhe wie ausspricht?

Hoff: Ich hoffe, dass sich Karlsruhe für den Gesundheitsschutz ausspricht, das heißt also in der Güteabwägung zwischen wirtschaftlicher Freiheit und dem Gesund-heitsschutz dem Gesundheitsschutz den Vorrang gibt.

Ostermann: Nun gibt es aber Indizien dafür, dass Karlsruhe möglicherweise die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit favorisiert, denn eine Eckkneipe lohnt sich ja nicht mehr, wenn die Gäste wegbleiben. Und auf der anderen Seite haben Nichtraucher ja schon jetzt die Möglichkeit, eine andere Kneipe zu wählen, nicht in die Eckkneipe zu gehen. Warum hat das Land Berlin nicht längst reagiert wie Rheinland-Pfalz oder Sachsen?

Hoff: Wir haben im Unterschied zu Rheinland-Pfalz, Sachsen und anderen Län-dern eine Übergangsfrist vom 1. Januar bis zum 1. Juli in unserem Gesetz festge-schrieben gehabt, um den Gaststätten die Möglichkeit zu geben, sich umzustellen, und deshalb sind wir, anders als in anderen Ländern, von bestimmten Landesverfas-sungsgerichtsurteilen – in Anführungsstrichen – verschont geblieben. Das heißt, es gab bei uns keine Landesverfassungsgerichtsurteile, die quasi einen einstweiligen Rechtsschutz in Angriff genommen haben, um Kneipen vor dem Niedergang zu be-wahren. Bei uns gab es diese Übergangsfrist, gerade um Umstellungsmöglichkeiten auch zu schaffen, da waren wir anderen Ländern voraus und wir sind jetzt natürlich auch gespannt, wie die Karlsruhe-Entscheidung ausgeht. Ich gebe, wie gesagt, kein Votum ab, weil man sich damit auf der Ebene der Spekulation bewegt. Ich würde mich freuen, wenn ein umfassender Nichtraucherschutz in Deutschland sich durch eine solche Verfassungsgerichtsentscheidung durchsetzen könnte, wie wir es in an-deren Ländern ja auch haben.

Ostermann: Und damit gehen möglicherweise 70.000 Kneipen in Deutschland plei-te.

Hoff: Ich glaube nicht, dass 70.000 Kneipen in Deutschland pleitegehen. Wir ha-ben eine Eckkneipenkultur, die ist auch wichtig, das sehe ich völlig ein, aber es spricht auch nichts dagegen, dass wir in wenigen Jahren uns an eine Normalität ge-wöhnt haben, in der auch in Eckkneipen die Menschen draußen rauchen und drinnen ihre Berliner Weiße oder ihr Herrengedeck zu sich nehmen. Das, finde ich, ist nicht unvorstellbar und insofern halte ich 70.000 niedergehende Einraumkneipen für eine zu hohe Zahl. Ich finde aber, dass wir uns über die Wirtschaftsförderung, auch gera-de dieser kleinen Gaststätten, Gedanken machen müssen.

Ostermann: Das bedeutet was? Woran denken Sie da konkret?

Hoff: Ich denke beispielsweise daran, dass wir gemeinsam mit dem Gaststätten-verband und den Industrie- und Handelskammern und den entsprechenden Wirt-schaftsverwaltungen darüber nachdenken müssen, wie man insgesamt die wirt-schaftliche Situation so einer kleinen Kneipe beispielsweise bei Investitionen etc. un-terstützen kann, denn die Eckraumkneipen stehen – Mehrwertsteuererhöhung etc., angezogene Preise – unter wirtschaftlichem Druck. Damit müssen wir uns auseinan-dersetzen, da ist das Nichtraucherschutzgesetz ein Bestandteil davon, aber ich glau-be noch nicht mal, dass es in allen Punkten der wesentliche Teil ist. Die kleinen Re-staurants stehen insgesamt unter Druck und damit muss man sich wirtschaftspoli-tisch auseinandersetzen, das heißt aber nicht, dass wir einen wichtigen Gesund-heitsschutz wie das Nichtraucherschutzgesetz deswegen reduzieren sollten – es sei denn, das Verfassungsgericht schreibt es uns vor.

Ostermann: Ich denke, viele sind inzwischen vom Nichtraucherschutz überzeugt und trotzdem ist doch die Frage: Ich habe die Wahl zwischen einer Nichtraucher-kneipe, ich stelle mir das mal so vor, und einer Raucherkneipe. Es hindert sie doch überhaupt nicht daran, in eine Nichtraucherkneipe zu gehen, aber den anderen die Möglichkeit zu lassen, dort zum Bier, wie es die Klägerin will, zum Bier die Zigarette zu rauchen.

Hoff: Ich glaube, dass wir diese Fragestellung im Gespräch, über die heute das Verfassungsgericht abschließend entscheiden wird, auch nicht abschließend werden diskutieren können. Wir sagen, wir wollen einen umfassenden Gesundheitsschutz, weil der uns wichtig ist. Die kleinen Gaststätten sagen, es gibt natürlich die Wahlfrei-heit, wir meinen, dass es trotzdem gute Gründe gibt, aus übergeordneten, gesund-heitlichen, auch gesundheitsökonomischen Gründen, auf einen verstärkten Nichtrau-cherschutz zu setzen, auch dafür Sorge zu tragen, dass es in diesen Gaststätten ei-nen Anreiz gibt, insgesamt weniger zu rauchen. Das sind Aspekte, die wir im Nicht-raucherschutzgesetz verankert haben mit einer breiten Zustimmung der Bevölkerung, und insofern geht es hier glaube ich auch um ein Wertverständnis in der Frage, was ist mir wichtig? Und das wird heute das Verfassungsgericht in einer kleinen Facette entscheiden.

Ostermann: Fest steht auch ohne das Karlsruher Urteil: Man braucht inzwischen so etwas wie eine Landkarte, wo darf ich was, denn die einzelnen Bundesländer ha-ben die unterschiedlichsten Regelungen. Zeigen sich hier nicht grundsätzlich die Nachteile des Föderalismus?

Hoff: Ich bin ein großer Fan davon, dass Länder eigene Regelungen treffen kön-nen. Ich würde mir aber auch wünschen, dass der Bund an der ein oder anderen Stelle, auch wenn es mal problematisch ist und er es könnte, sagt: Hier regele ich was. Das hat der Bund versäumt beim Nichtraucherschutzgesetz. Ich würde mich freuen, wenn das Verfassungsgericht einen Hinweis an die Bundesregierung gibt, zu sagen, hier wäre eine bundeseinheitliche Regelung sinnvoll.

Ostermann: Wann wird sich möglicherweise Brüssel mit diesen Problemen be-schäftigen beziehungsweise der Europäische Gerichtshof?

Hoff: Das kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht sagen. Wir haben die Frage geprüft: Wenn eine EU-Verfassung durchkommen würde, beispielsweise die Iren dem also mal zustimmen würden – würde es dafür dann beispielsweise eine bessere Voraus-setzung für eine europaweite Regelung geben? Das sieht die EU-Verfassung leider durch das, was uns die Kollegen aus Brüssel sagen, nicht vor. Ich denke aber, dass wir in langer Frist auch europaweit die Diskussion über Nichtraucherschutz haben werden, weil der Nichtraucherschutz wird keine nationale Frage einzelner Länder wie Italien, Deutschland oder so sein, sondern es wird mittelfristig eine europaweite Fra-gestellung sein.