Gesunde Körnermahlzeit

    Von Axel Schröder · 03.04.2009
    Früher war es etwas für eingefleischte Vegetarier und grüne Wollsockenträger. Anfang der 80er-Jahre begann der langsame, aber stetige Siegeszug der Körnermahlzeit am Morgen. Grundlage für das Müsli sind Haferflocken, verfeinert wird es je nach Gusto mit Nüssen, Rosinen, Frischobst und einem Schuss Milch. Der älteste deutsche Haferflocken-Spezialist ist die Peter-Kölln-KG in Elmshorn bei Hamburg.
    Maschinenlärm erfüllt die hohe Fabrikhalle, mannshohe weiße Säcke stehen an der Wand, ein Dutzend Stück, randvoll gefüllt.

    "Das sind die ganzen Rohwaren, das sind die ganzen Komponenten, die wir brauchen für das Müsli. Zum Beispiel Haferflocken, aber auch Zutaten wie Rosinen oder Mandeln."

    Dirk Kahlke ist zuständig für die Maschinen der Kölln-Flocken-Fabrik. Der stämmige junge Mann schafft Abhilfe, wenn es irgendwo hakt. Der Müllermeister durchquert die Halle, zwei Kollegen stehen an den Maschinen, einer rangiert vollgepackte Paletten über den Betonboden. Kahlke fährt im Fahrstuhl drei Stockwerke nach oben, sein Kittel und die kleine Schirmmütze in fleckenlosem Weiß. - Hier oben beginnt der Hafer seinen Weg ins Müsli. Zuerst werden die Körner "gedarrt":

    "Das Darren kommt von dem Ausdruck Dörren. Das heißt, wir behandeln den Hafer mit Warmluft, für circa ein bis anderthalb Stunden und dadurch erreichen wir, dass das Haferfett im Haferkern stabilisiert wird."

    Und derart erhitzt, so Kahlke weiter und zeigt an die Decke, fließt der Hafer durch Rohre über den Köpfen, durch ein Plexiglasrohr in einen der vier hellgrauen, runden Stahlbottiche. Die beschleunigen das Getreide erst auf 1800 Umdrehungen pro Minute. Dann knallt der Hafer gegen einen Kunststoffring, die holzige Schale platzt ab.

    "Man sieht, wie die hier reinrauschen. Man sieht auch, dass das ziemlich viel ist. Die Maschinen sind schon relativ leistungsfähig! Also, eine Schällinie leistet ungefähr 3500 bis 4000 Kilo pro Stunde. Das ist schon ein ganzer Berg Hafer, der da so durch geht!"

    Danach rauschen die Körner in den so genannten Flockierstuhl. In der kleinwagengroßen Maschine drehen sich dicke Stahlrollen, walzen den Hafer platt. 200 Tonnen pro Tag, vor allem aus Schweden und Finnland. Mit dem Schiff kommt das Getreide nach Hamburg, von da aus geht es per Lkw ins 50 Kilometer entfernte Elmshorn.

    Kahlke setzt seine Führung fort, zeigt das Abfüllen der Flocken in eine dunkel- und hellblaue Packung. Von zwei dicken Rollen spult sich das Verpackungspapier ab, im Inneren einer Maschine formen metallene Greifarme 500-Gramm-Tüten daraus, setzen sie aufs Fließband. Vier Trichter senken sich blitzschnell und zeitgleich in vier Papierbeutel, grammgenau rauschen die Flocken hinein, schon sind die nächsten Tüten dran. Dirk Kahlke greift in die Kitteltasche, zückt sein vibrierendes Handy, verabschiedet sich, telefoniert im Gehen.

    Im Erdgeschoss der Flockenfabrik wartet Dieter Büttner, Marketingchef der Firma, auch er im weißen Kittel. Büttner erklärt, warum der Firmengründer vor über 180 Jahren ausgerechnet auf Hafer gesetzt hat:

    "Wir sind hier im Norden ja sehr verbunden gewesen mit dem Schiffbau. Hier gingen auch die Walfangschiffe raus. Die sich zum Beispiel auch mir Haferflocken bevorratet haben. Haferflocken haben einen großen Nährwert, konnte trocken gelagert werden. Und das Hafermus war denn auch sozusagen die Grundnahrung der Seefahrt."

    Dieter Büttner ist auf dem Weg zu seiner Kollegin aus der Produktentwicklung. Er geht vorbei an den zwei Meter hohen Dosierbehältern für die Müsli-Zutaten: Die mischen getrocknete Erdbeeren, Pfirsiche oder Schokosplitter mit den Flocken – computergesteuert, aufs Gramm genau. Büttner durchquert die Lagerhalle, vorbei an den Paletten und Pappkartons. Mit kräftigem Schwung zieht der Marketingchef die Fahrstuhltür auf.

    Im vierten Stock wartet Annelore Knaack, Leiterin der Produktentwicklung. Die blonden Haare streng zum Zopf gebunden, rot geschminkte Lippen und – natürlich auch sie: im weißen Kittel. In der Versuchsküche - nicht anders ausgestattet als jede andere Küche - füllt die studierte Ökotrophologin eine der neuen Vanille-Müsli-Mischungen in zwei weiße Schälchen, gießt Milch darüber, bietet sie zum Kosten an.

    Hier nehmen neue Ideen der Versuchsabteilung Gestalt an:

    "Wir alle sorgen dafür, dass diese Ideen auf den Tisch kommen und bewerten das. Und dann ist die Aufgabe meiner Abteilung, dieser Idee ein Gesicht zu verleihen. Das bedeutet: Wir stellen uns wirklich hier in die Küche und fangen an, von Hand ein Müsli zu mischen – wenn es ein klassisches Flockenmüsli ist. Oder dann zu backen, um ein Müsli zu erzielen, was wir hier eben verkostet haben."

    Annelore Knaack nimmt noch einen Löffel vom Probemüsli, kaut langsam, konzentriert. Alle Kreationen, die die Versuchsküche verlassen, verkostet das sogenannte Sensorik-Panel. Diese Gruppe versammelt ein Dutzend Firmenmitarbeiter mit feinem Geschmackssinn und, so Knaack, mit der Fähigkeit, über ihr Geschmacksempfinden differenziert berichten zu können. Denn die Müsli-Kreation ist eine Wissenschaft für sich: Die Menge an Hafer, Rosinen, Schokosplittern oder Bananenchips muss stimmen. Und selbst die Knusprigkeit will sorgsam eingestellt sein, sagt Annelore Knaack und lehnt am Küchentresen:

    "Wenn es zu knusperig im Sinne von zu hart ist, dann macht es keinen Spaß, da auf Dauer drauf zu beißen! Sondern es muss knusperig-leicht sein. Und – was ich eben noch nicht erwähnt habe – ist: dass einfach die Textur eines Lebensmittels maßgeblich auch Einfluss nimmt auf das Geschmackserlebnis. Und dieses Wechselspiel: Das muss eben auch stimmen."

    Ein dicker Keks schmeckt nämlich anders als ein dünner mit gleicher Rezeptur. Und zu süß darf die Körnermahlzeit auch nicht sein:

    "Irgendwann kippt's. Dann ist es so, dass man sich fragt: Warum soll ich die Schokolade jetzt noch mit Müsli essen. Und das andere ist natürlich auch der Anspruch eines Müslis: Es soll immer noch ein gesunder Start in den Tag sein!"

    Annelore Knaack greift sich eine Serviette, tupft sich den schmalen Milchrand von der Oberlippe, räumt das Geschirr beiseite. Penibel beobachtet sie mit ihrem Team den Müslimarkt: Die Konkurrenz schläft nicht und regelmäßige Umfragen schaffen Klarheit über die Geschmackswünsche der Masse. Viel will Annelore Knaack dazu nicht sagen –Betriebsgeheimnis. Nur so viel: Der Trend zum Schoko-Müsli bleibt bestehen.