Gesellschaft

Empören ja, Handeln? – mal sehen

Demonstration unter dem Motto "Willkommen im Abendland - Rostock für alle" am 05.01.2015 in Rostock. Im Vordergrund ein Plakat auf dem "Refugees Welcome - Asylrecht ist Menschenrecht" steht.
Demonstration unter dem Motto "Willkommen im Abendland - Rostock für alle" am 05.01.2015 in Rostock. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Armin Nassehi im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 25.02.2015
Im Denken sind wir gute Menschen und folgen universalistischen Ideen, sagt der Soziologe Armin Nassehi. Sobald es aber ans Handeln geht, haben wir Probleme. Dabei sei es an vielen Stellen recht einfach, entsprechende Ideen in die Tat umzusetzen, zum Beispiel beim Umgang mit Flüchtlingen.
Korbinian Frenzel: Wenn die Welt so ist, wie wir sie immer wieder beschreiben und beklagen, warum ändern wir die Dinge dann nicht? Entschuldigen Sie meine naiv-idealistische Frage zu so früher Stunde, aber als wir in der Redaktion besprochen haben, wie wir zum Beispiel mit dem Jahresbericht von Amnesty International umgehen, der heute veröffentlicht wurde, da kamen wir an genau diesen Punkt, dass wir uns diese Frage gestellt haben: Warum berichten wir immer und immer wieder über Menschenrechtsverletzungen, über Umweltverschmutzung, über Ungerechtigkeiten größerer und kleinerer Ordnung – all die Missstände, über die Sie sich sicher auch aufregen – ohne aber, dass daraus ernsthafte Veränderungen erwachsen, die die Welt ein bisschen besser machen.
Fehlt uns die Macht, oder haben wir uns alle auch ein bisschen eingerichtet in diesem Modus, Empören ja, Handeln – na ja, mal sehen? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich denkend und handelnd, nämlich Bücher schreibend, der Soziologe Armin Nassehi, Professor in München und jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Armin Nassehi: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Sind wir alle gute Menschen, Gutmenschen im Geiste, aber nicht im Handeln?
Nassehi: Ja, wenn wir es "Gutmenschen" nennen, hat das schon eine negative Konnotation. Natürlich sind wir im Denken insofern gute Menschen, als wir zum Beispiel, wenn wir etwa einen Bericht von Amnesty International hören oder Folgen von Gewalt ja fast jeden Tag in den Medien sehen, ja Menschen, die sagen, das sollte nicht sein, das darf nicht sein, dagegen muss man etwas tun. Und uns fallen sicherlich auch schnell Kausalitäten ein, was man eigentlich tun könnte. Womöglich, Machthaber auszuwechseln, keine Waffen zu liefern oder Aufklärung zu leisten.
Aber dann stellen wir fest, dass die Welt ja bisweilen widerständiger ist, als wir uns das gerne im Denken vorstellen. Also, wir denken sehr stark in klaren Kausalitäten, aber die Welt scheint sich dem irgendwie zu entziehen. Und ich glaube, das Hauptstichwort ist das Irgendwie – man kann es tatsächlich nicht auf eine Formel bringen, und das macht es nicht leichter.
Universalistisches Denken
Frenzel: Das Irgendwie ist ja auch manchmal sehr konkret. Wir haben gerade die Situation, dass sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, dass ganz viele Menschen sagen, ja, wir müssen sie willkommen heißen, es gibt Menschen, die hängen sich Plakate ans Fenster, "Refugees welcome", Flüchtlinge willkommen. Die Frage, ob man dann wirklich auch die Tür aufmacht und sagt, hier bitte, da ist dein Bett, die ist dann schon eine ganz andere. Also auch in den praktischen Dingen, die wir ja tun könnten – also, Diktatoren auszutauschen, ist ja schwieriger, aber so was kann man ja tun –, ist ja dann die Bereitschaft doch meistens ein bisschen geringer. Ich sag es mal politisch: Reden wir links und handeln aber ganz häufig rechts?
Nassehi: Ja, man kann das in der Tat auf diese Formel bringen, wobei diese Formel natürlich sehr extrem formuliert ist. Aber im Denken sind wir immer sehr universalistisch, das heißt, wir sind Leute, die durchaus in der Lage sind, universalistisch zu sagen, was man alles tun müsste. Man müsste tatsächlich jedem helfen, ohne Ansehen der Person helfen, wir müssten viel mehr bereitstellen an Möglichkeiten – aber sobald wir selbst handeln müssen, wird es natürlich außerordentlich schwierig.
Ich wäre natürlich jetzt sehr naiv, wenn ich behaupten würde, jeder möge bitte seine Haustür aufmachen und ein Zimmer Platz machen für Flüchtlinge. Aber ich meine, dass unsere Gesellschaft, die sehr wohlhabend ist, die große Ressourcen hat und die durchaus Möglichkeiten hat, hier womöglich ein etwas größeres Herz haben kann – ich sag das absichtlich in einer solchen etwas weichen Formulierung –, das kann man sich schon durchaus vorstellen.
Aber die Formel, links zu reden, heißt ja, dass wir universalistische Argumente richtig finden. Niemand würde sagen, wir machen Unterschiede zwischen ganz konkreten Personen oder Personengruppen. Aber in unserem alltäglichen Leben haben wir das natürlich schon im Kopf, dass wir uns eher um die Eigenen kümmern, dass wir uns um die kümmern, an die wir gewöhnt sind, dass wir Abweichung viel schwerer aushalten können, als dass die Dinge immer so weiter laufen. Und das hört sich fast wie eine Entschuldigung an. So ist es nicht gemeint, aber –
Es könnte mehr getan werden
Frenzel: Die Frage ist ja auch, muss man das dann nicht vielleicht besser zusammenkriegen, also muss man dann vielleicht bei der Empörung, die wir alle empfinden und auch ausdrücken, sich nicht vielleicht manchmal ein bisschen zügeln, weil man sich gleich die Frage stellen muss, was würde ich denn tun?
Nassehi: Ja, dieses "Was würde ich tun?" wäre ja etwas, was wir tatsächlich selber auch tun könnten. Ich glaube, man kann selbst schon eine ganze Menge dabei tun, wenn es etwa um die Flüchtlingsfragen geht, vielleicht auch in Kommunikation mit anderen, vielleicht auch stärker machen diese Frage zu fragen, haben wir wirklich ein Überfremdungsproblem, haben wir ein Problem, dass ein reiches Land wie die Bundesrepublik mit diesen Flüchtlingen nicht angemessen umgehen kann?
Es ist ja ganz interessant, das wissen wir aus unmittelbarer Anschauung, dass Leute, die womöglich erst Flüchtlinge sehen, wenn sie da sind, ein ganz anderes Verhältnis zu ihnen bekommen, weil sie feststellen, dass sie mit ganz ähnlichen Problemen zu tun haben wie wir selbst auch. Vielleicht braucht man dann gar keine universalistische Argumente, sondern stellt fest, auch da handelt es sich um Familien, die ihre Kinder durchbringen müssen, auch da handelt es sich um Leute, die über den Tag kommen müssen, auch da handelt es sich um Leute, die irgendwie Lebenspläne machen müssen. Und dann stellen wir fest, dass die Lebensweisen und Lebensformen sich viel ähnlicher sind, als es von weit weg erscheint.
Frenzel: Ich hab ja die Befürchtung, den Verdacht fast, dass wir solche Berichte wie Amnesty oder deren Arbeit auch ganz gut gebrauchen können zur Beruhigung unseres Gewissens. Können Sie verstehen, was ich damit meine?
Die Welt ist eben komplex
Nassehi: Ja, ich kann das sehr gut verstehen, was Sie meinen, und als Soziologe habe ich auch immer das Problem, wenn ich sage, wir leben in einer komplexen Welt, in der es fast nicht möglich ist, die Wirkungen zu erzielen, die wir gerne hätten. Also, wenn Sie etwa daran denken, dass wir ja, wenn es um die Region des Nahen Ostens geht, ja seit Jahrzehnten diese und jene Formen von Interventionen versuchen, auch Hilfen durchaus möglich sind und so weiter, dass das aber relativ wenig Wirkung erzeugt, könnte man ja fast sagen, der Soziologe entlastet uns, indem er uns sagt, die Welt ist eben so komplex und ihr könnt euch nur um eure Sachen kümmern.
Vielleicht muss man eine andere Form finden, über diese Komplexität der Welt nachzudenken und festzustellen, dass manche Kausalitäten, die wir so im Kopf haben, oft nicht funktionieren. Vielleicht muss man manchmal eher militärisch intervenieren, als wir das wollen. Vielleicht muss man aber auch feststellen, dass die meisten militärischen Interventionen, die wir kennen, nicht die Wirkungen erzielt haben, die wir gerne hätten. Vielleicht muss man manchmal darüber nachdenken, ob die Gesprächspartner, die wir in manchen Ländern haben, wirklich die richtigen sind.
Vielleicht muss man dann auch sehen, dass wir natürlich auch mit eigenen Interessen arbeiten, wenn es etwa um Waffenlieferungen und ähnliches geht. Also, diese ganze Komplexität mal darzustellen, könnte womöglich dabei helfen, nicht so naiv an die Dinge heranzugehen und festzustellen, dass wir selbst auch Spieler in diesem Spiel sind. Wir gucken nicht von außen als gute Menschen drauf, sondern wir sind mittendrin.
Frenzel: Und wenn wir das tun, wenn wir diese Komplexität darstellen, können wir dann am Ende noch irgendwas mit links und rechts anfangen?
Nassehi: Na ja, gut, das ist jetzt eine sehr abstrakte Frage. Ich hab mich da gerade mit beschäftigt, ein Buch dazu geschrieben tatsächlich, ob links und rechts Alternativen sind.
Frenzel: Dann bringen Sie diese These jetzt auf 30 Sekunden.
Nassehi: Ja, ich bringe sie auf 30 Sekunden. Also, wir denken links insofern, als wir die Idee davon haben, wie wir uns eine Gesellschaft vorstellen. Wir bauen sie um, wir wollen eine Umbauperspektive haben, weil wir wissen, wie eine richtige Gesellschaft aussehen soll. Aber dann haben wir das Problem, dass wir dann erstens viel zu universalistisch handeln müssten, und zweitens ist quasi die Idee des Rechten, dass wir denken, dass Gesellschaften besser funktionieren, wenn sie ethnisch oder kulturell homogen sind, mindestens genauso naiv wie die Idee, die gesamte Gesellschaft umbauen zu können.
Und so müssen wir uns doch weiter in der Mitte bewegen und durch kleine Schritte womöglich weiterkommen, aber die Komplexität dieser Gesellschaft nicht verleugnen, indem wir einfach glauben, dass der kausal eindeutige Satz auch auf eine kausal eindeutige Welt trifft. Sie sehen, auch die Erklärung ist leider komplex.
Frenzel: Komplex, aber interessant. Armin Nassehi, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Nassehi: Ebenso, danke schön!
Mehr zum Thema