Geschwister auf Wochenendausflug

05.02.2010
Nach fünf Bestsellern kennt man die Machart: Typisch für die Figuren, mit denen Anna Gavalda ihre Romane bevölkert, ist, dass sie – liebenswürdige Spinner – mehr oder minder gebeutelt durchs Leben taumeln. Immerzu haben sie mit ihrer Einsamkeit zu kämpfen; sie verlassen für eine Weile die Großstadt auf der Suche nach Neuem, nach dem Glück, und dabei finden sie manchmal auch sich selbst.
Ähnlich verfährt Gavalda auch in ihrem sechsten Buch, das im Gegensatz zu den 600-seitigen, schwergewichtigen Vorgängern mit weniger als einem Viertel des Umfangs auskommt.

Worum geht es? Drei Geschwister unternehmen einen Wochenendausflug aufs Land, um die Hochzeit eines entfernten Cousins zu feiern. Lola, die älteste, sensibel und kultiviert, hat gerade eine Scheidung hinter sich. Simon, grundgütig, schlägt sich als begabter Tüftler durchs Leben, legt sich nie mit anderen an, schon gar nicht mit seiner Frau Carine, einer geschäftstüchtigen Apothekerin, der Hygiene und Ordnungssinn über alles gehen; und da ist Garance, die Ich-Erzählerin, eine lebenslustige Single-Frau, die zu allem ihre spitzzüngigen Kommentare abgibt. Als sich herausstellt, dass der Vierte im Geschwisterbunde, Vincent, nicht zu der Familienfeier erscheint, büxen die Drei kurzentschlossen aus, verlassen das gediegene Fest samt Schwägerin und Ehefrau, um das Wochenende bei ihrem Bruder zu verbringen, der als Schlossführer irgendwo in der Pampa jobbt.

Das ist wie gewohnt nach Art einer Soap in rasantem Tempo erzählt, mit viel Freude am süffisant gesetzten Bonmot, am Spiel mit jeder Menge Klischees, die geschickt so überzeichnet werden, dass sie wie von selbst ihr ironisches Potenzial entfalten. Manche allerdings, in den Gegenfiguren zum Geschwisterquartett etwa, sind so dick aufgetragen, dass sie wie die Schwägerin, eine besserwisserische Nervensäge, nur zur Karikatur taugen. Oder wie der männliche Teil der Dorfbevölkerung, der zunächst eine hübsche Einlage nach dem Muster der "Ferien des Monsieur Hulot" liefert, dann aber mit seinen rauen Sitten nur noch sprichwörtliche Tölpel abgibt.

Liebevoll hingegen zeichnet Gavalda die Brüder und Schwestern, die ihr Zusammensein zu viert wie eine letzte kleine Flucht zelebrieren, einen "geschenkten Tag" auf der Schwelle zum endgültigen Erwachsenwerden. Während sich hinter der Fassade eine alles andere als glückliche Kindheit auftut mit Scheidung der Eltern, Abtauchen des Vaters, Internaten und periodischen Entfremdungen, fährt sie sich gegen etwaige Sentimentalitäten immer wieder frotzelnd selbst in die Parade: "Blöd, wie ich bin, hatte ich es fast geschafft, mich selbst zu Tränen zu rühren."

Auch hier setzt Gavalda auf ihren vielfach erprobten Trick, den sie selbst den "identifikationsstiftenden Flirt mit dem Leser" nennt. Stets aufs Neue die Perspektive wechselnd, lässt sie die Ich-Erzählerin in indirekter Rede mit Verhaltensempfehlungen zu den anderen Figuren sprechen - oder mit direkter Anrede an den Leser. Geschrieben in einer flapsigen Umgangssprache, findet Gavalda exakt den Ton der um die 30-Jährigen, die genauso reden, als wären sie ewig 17. So wird der "Geschenkte Tag" zu einem mitunter zwar zu glatt geratenen, gleichwohl melancholischen Abgesang auf die Wunschträume einer Generation, die sich für immer jung hält.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Anna Gavalda: Ein geschenkter Tag
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
Carl Hanser-Verlag, München 2010
140 Seiten, 12,90 Euro