Geschlossene Gesellschaft

03.08.2009
In seinem Prosaband schreibt der indische Autor Aravind Adiga über die Schattenseiten der indischen Gesellschaft. Klassenprivilegien und die Ausbeutung der Armen spielen darin ebenso eine Rolle wie die allgegenwärtige Korruption.
Schon mit seinem äußerst erfolgreichen Debütroman "Der weiße Tiger" hat der indische Autor Aravind Adiga den Volkszorn seiner Landsleute auf sich gezogen. Denn "Der weiße Tiger", 2008 erschienen und im gleichen Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet, ist eine zwar satirische, aber im Kern doch realistische Kritik an den gesellschaftlichen Missständen im vermeintlich "leuchtenden" Indien. Adiga aber legt mit seinem neuen Prosaband - einem Zyklus von ineinander verwobenen Geschichten - noch einmal nach.

Denn "Zwischen den Attentaten" entführt uns zwar für sieben Tage in eine (nur halb fiktive) Stadt in Südindien, deren historisch gewachsene Vielfalt an Sprachen, Religionen und Nationen wie eine touristische Idylle anmutet. Doch Adiga erzählt mit plastischer Eindringlichkeit und bösem Witz erneut von einem Indien, das an sich selbst krankt - am Kastenwesen und den Klassenprivilegien, der Ausbeutung der Armen und Ärmsten, dem Problem der religiösen Unruhen und der allgegenwärtigen Korruption.

Im Vordergrund seiner Geschichten stehen daher diejenigen, die sich ganz unten befinden in der rigiden Hierarchie der indischen Gesellschaft. Adiga ergreift dabei dezent, aber vernehmlich Partei für sie, indem er das Machtgefälle zwischen oben und unten beleuchtet.

Da ist ein Sohn aus privilegiertem Haus, der eines Tages in der Schule eine Bombe wirft - aus Rache dafür, dass er wegen seiner Mutter, die einer niederen Kaste angehört, von allen gehänselt wird. Da ist die Dienerin brahmanischer Herkunft, die seit 40 Jahren wie eine Sklavin von einem Dienstherrn zum anderen herumgereicht wird. Da sind die Kinder der tamilischen Wanderarbeiter, die betteln gehen, um Drogen für die Väter zu besorgen. Und nicht zuletzt ist da auch der Journalist, der an die Wahrheit glaubt - und erkennen muss, dass selbst das geschriebene Wort in Indien käuflich ist.

"Zwischen den Attentaten" ist dabei als Titel so anspielungsreich wie doppeldeutig: Zum einen verweist er auf die Jahre 1984 und 1991, in denen die Geschichten spielen und in denen Rajiv Gandhi an der Macht war, der 1991 ebenso durch ein Attentat stirbt wie 1984 seine Mutter Indira Gandhi. Rajiv Gandhi aber wollte ein Indien ohne Machtmissbrauch und Korruption. Das blieb ein frommer Wunsch - bis heute, darf man sagen.

Zum anderen spielt der Titel an auf die Wut und die Verzweiflung, von der Adigas Figuren getrieben sind. Und beides, Wut und Verzweiflung, macht Adiga körperlich wie seelisch spürbar - auch wenn er seinen Figuren ebenso Momente des Widerstands, des Aufbegehrens zugesteht. Von diesem Ringen um Würde in einem Land, in dem die gesellschaftlichen Gegensätze von grausamer Ewigkeit sind, legt Adiga, der sich hier als glänzender Beobachter und Menschenkenner erweist, auf so lebhafte wie eindringliche Weise Zeugnis ab.

Besprochen von Claudia Kramatschek

Aravind Adiga: Zwischen den Attentaten. Geschichten aus einer Stadt
Aus dem Englischen von Klaus Modick
C. H. Beck Verlag, München 2009
384 Seiten, 19,90 Euro