Geschichten mit Verve

07.09.2012
Fünf Jahre nach dessen Tod hat Harry Rowohlt mehrere Kurzgeschichten des US-Autors Kurt Vonnegut ins Deutsche übersetzt und als Hörbuch veröffentlicht. Dabei zeigt sich: Harry Rowohlt aber nicht nur ein hervorragender Übersetzer, sondern auch ein begnadeter Vorleser.
Rowohlt: "Der Sommer war friedlich im Schlaf gestorben, und der Herbst, der Vollstrecker mit der leisen Stimme, schloss das Leben sicher weg, bis der Frühling kam, um es zurückzuverlangen."

Welch ein poetischer Anfangssatz! Aber: Achtung! Der Autor heißt Kurt Vonnegut. Und der hatte einen ungemeinen Spaß daran, mit seinen Lesern Achterbahn zu fahren.

Kenner seines Werkes wird es dann auch wenig wundern, welch bizarre Geschichte auf diese Sätze folgt: Henry Bauer ist Angestellter bei der Hörgerätefirma "Akustiplus". Er hat ein Hörgerät erfunden, das mit seinen Besitzern spricht und das den liebevollen Namen "Confido" trägt. Und das will er nun, trotz Bedenken seiner Frau, vermarkten.

Rowohlt: "Das Ding ist größer als Fernsehen und Psychoanalyse zusammengenommen, und die schreiben beide schwarze Zahlen. Hör auf, dir Sorgen zu machen."

Erst gegen Ende der Geschichte stellt sich heraus, dass das Gerät seinen Besitzern all ihren Neid und ihre Komplexe spiegelt. Schweren Herzens begräbt Henry seine Schöpfung im Garten. Confidos letzte Worte.

Rowohlt: "Man sieht sich, Blödmann, man sieht sich!"

"Confido" ist eine der Kurzgeschichten, die zu Beginn seiner Karriere schrieb, bevor er 1969 mit seinem Roman über die Zerstörung Dresdens "Slaughterhouse 5", zu deutsch "Schlachthof 5", Weltruhm erlangte.
In seinen Erzählungen und Romanen konstruierte Vonnegut nach und nach einen eigenen Kosmos.

Viele seiner Koordinaten – wie den Planeten Tralfamadore oder den Science Fiction Autor Kilgore Trout – wird man in den frühen Kurzgeschichten vergeblich suchen. Dafür existiert aber bereits die imaginäre Stadt "Illium". Hier lebt Fuzz Littler, Protagonist der Geschichte "AZUR". Littler ist Angestellter für "Öffentlichkeitsarbeit" in der

Rowohlt:
"Allgemeinen Schmied und Gieß."

Dem eines Tages der Zufall in die Existenz pfuscht:

Rowohlt: "Das Schicksal sandte Frittierfett aus der Kantine in Gebäude 181 den Fahrstuhlschacht hinauf, das Frittiertfett sammelte sich in der Technik des Aufzugs, fing Feuer, und Gebäude 181 brannte bis auf die Grundfesten ab."

Fuzz zieht in einen Kellerraum neben dem Schwimmbad. Die Firmenleitung vergisst ihn. Dann schwingt das Pendel des Schicksals zur anderen Seite - Fuzz wird eine wunderschöne 18-jährige Schreibkraft namens Francine Paeffko zugeteilt. Überhaupt gab Vonnegut seinen Figuren gerne bizarre Namen - die Rohwolt hier auf seine unnachahmliche Art und Weise zum Klingen bringt. Wie zum Beispiel

Rowohlt:
"Dr. Lomar Horthy"

oder

Rowohlt:
"Norbert Honnicker"."

Aber zurück zu Francine und Fuzz:

Rowohlt/Tina Kemnitz:
""Francine: Wann kommen die Leute her und was tun wir für sie?
Fuzz: Leute?
Francine: Ist das hier nicht die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit?
Fuzz: Doch."

Aber: Die Öffentlichkeit verschmäht die beiden und ihren Keller.
Rowohlt:
"Fuzz kam sich vor wie der Gastgeber der längsten und langweiligsten Party, die man sich nur vorstellen kann."

Ungewöhnlich für Vonnegut - es gibt ein Happy End. Francine holt Fuzz aus seinem bleiernen Keller-Dasein.

Rowohlt: "Sie verließen das Gebäude zusammen; die Eingangstür schloss sich hinter ihnen mit einem großartigen, widerhallenden ‘Ka-Bumm’!"

"Harry Rowohlt übersetzt und liest Kurt Vonnegut" - dieses Ereignis könnte man auch als "Gipfeltreffen des verschrobenen Humors" bezeichnen.

Rowohlt: "‘Auch Frauen haben ein Anrecht auf ein paar Dinge!’, sagte seine Mutter. ‘Sie dürfen wählen und in Kneipen. Was wollen sie jetzt noch? Am Kugelstoßen der Herren teilnehmen?’"

- sagt der Modelleisenbahnfanatiker Earl in der Geschichte "Die Hand immer am Regler", bevor seine Mutter ihn zurechtweist, indem sie, als Bomberpilotin verkleidet, sein liebstes Spielzeug ruiniert.

Rowohlt:
"Aaaaarghh!"

Rowohlt liest die Geschichten mit Verve, was dem Autor selbst eher abging.

Vonnegut:
"Billy Pilgrim was down in a meatlocker on the night that Dresden was destroyed. There were sounds like giant footsteps above ... .”

Da kann sich das deutsche Publikum fast glücklich schätzen, einen derart kongenial aufgemöbelten Vonnegut zu bekommen. Zusammen mit Tina Kemnitz, die die weiblichen Gegenparts zu Vonneguts Nerds liest, ramentert und knarzt Rowohlt, was das Zeug hält.

Rowohlt:
"Bis die Hölle überfriert!"

Oder, um es mit Kurt Vonnegut zu sagen: "God bless you, Mr. Rowohlt!"

Besprochen von Ralf Bei der Kellen

Kurt Vonnegut: "Stories"
2 CDs, 120 Minuten, Kein & Aber, Zürich 2012