Geschichte eines Hauses in Chemnitz

Systeme scheitern, Häuser zerfallen

Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz
Marx steht noch, der Marxismus ist vergangen: ein Eindruck aus Chemnitz. © picture alliance / dpa
Moderation: Sigrid Brinkmann · 10.03.2015
Für sein neues Buch hat der Journalist und Verleger Volker Dittrich sich mit drei Jahrzehnten in der Geschichte eines Hauses in der einstigen Karl-Marx-Stadt befasst. "Wem gehört das Haus in Chemnitz?" erzählt ein Stück gesamtdeutscher Geschichte des 20. Jahrhundert. Im Deutschlandradio Kultur gibt Dittrich einen Einblick.
1928 ließ der jüdische Fabrikant Walther Sachs in der Parkstraße in Chemnitz eine Villa im Bauhausstil erbauen. Die rechte Haushälfte überschrieb er seiner älteren Tochter Gerda und ihrem Mann. Die Familien flohen 1933 nach Holland und mussten die Villa in der Parkstraße verkaufen. Die Käufer der beiden Haushälften wurden ins Grundbuch eingetragen und zahlten die Kaufsumme auf ein Devisenkonto.
Eine Haushälfte verfällt bis heute
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Villencharakter aufgelöst und das Haus in mehrere Wohnungen zergliedert. Die Zweitbesitzer lebten noch einige Jahre in der ehemaligen Villa, verließen dann aber alle bis 1959 die DDR. Nach Öffnung der Grenzen und dem Ende der DDR erhoben die Erben der Zweitbesitzer Anspruch auf die beiden Haushälften in der Parkstraße. Und kurze Zeit später auch eine Tochter der Familie Sachs, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hatte. 1992 hörte Volker Dittrich von einem Freund davon, der in dem Haus lebte und begann für eine Radiosendung über die Villa und deren Bewohner zu recherchieren.
Der Autor Volker Dittrich zu Gast in der "Lesart" im Deutschlandradio Kultur
Der Autor Volker Dittrich zu Gast in der "Lesart" im Deutschlandradio Kultur© Matthias Horn / Deutschlandradio
Er besuchte die Tochter von Walther Sachs in New York, interviewte Bewohner, die während des Zweiten Weltkrieges und danach in dem Haus gelebt hatten. Ein Stück gesamtdeutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Eigentumsfrage blieb bis 2002 ungeklärt. Die Bewohner, von denen manche über 40 Jahre in dem Haus gelebt hatten, verließen nach und nach die ehemalige Villa in der Parkstraße, die immer mehr verfiel. 2003 erhielten beide Haushälften neue Eigentümer. Eine Haushälfte wurde nach alten Bauhausplänen restauriert und wird wieder bewohnt.
Die zweite Haushälfte zerfällt bis heute. Volker Dittrich hat das Haus in der Parkstraße über 30 Jahre nicht aus den Augen verloren. Wichtige Dokumente gesammelt, berührende Gespräche mit den Bewohnern über deren Lebenswege und Schicksale geführt. Auch von den jetzigen Eigentümern erhielt er beeindruckende Dokumente und Fundstücke, die bei der Restaurierung ans Licht kamen und weitere Facetten der Lebensgeschichten der Bewohner hervorbrachten. So entstand dieses faszinierende Buch über ein Haus und deren Bewohner über einen Zeitraum von fast hundert Jahren.

Volker Dittrich: Wem gehört das Haus in Chemnitz?
Verlag Jonas, Marburg 2015
224 Seiten, 15 Euro

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