Geschichte eines großen Mannes

30.12.2009
Walter Heinrich setzt sich in seinem Buch "Die Stunde des Pelikan" mit Maximilian Kolbe auseinander. Im Jahr 1982 sprach Papst Johannes Paul II. den "Märtyrer von Auschwitz" heilig.
"Die meisten Probleme Polens könnten gelöst werden, wenn die, die mehr besitzen als sie benötigen, denen etwas abgäben, die weniger haben als sie brauchen." "Das klingt ziemlich kommunistisch, Pater." "Es ist aber christlich, Eure Exzellenz." "Wo ist der Unterschied?" "Dass es freiwillig geschieht und auf Gott bezogen ist."

Maximilian Kolbe hat sieben Jahre in Rom studiert, ist promovierter Theologe, geweihter Priester und Franziskanermönch. Er ist ein tuberkulosekranker, introvertierter Dozent für Kirchengeschichte in Krakau, den seine Studenten nur "Marmelade" nennen. Zwischen 1922 und 1939 baut er die Klosterstadt Niepokalanow bei Warschau auf, schart knapp 800 Mönche um sich und treibt die Zeitschrift "Ritter der Immaculata" bis zu einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren voran. "Ihre Brüder sind dünn wie Bohnenstangen und tragen übel geflicktes Schuhwerk, aber Sie – Sie besitzen die teuersten Druckmaschinen, die es gibt."

Dem Warschauer Reporter erscheint das ziemlich kapitalistisch. "Die Maschine druckt umso mehr, je aufwendiger sie ist. Ihr Ziel liegt in der Leistung. Der Mensch dagegen ist umso vollkommener, je weniger Aufwand er treibt. Sein Ziel liegt in der geistig-seelischen Entwicklung."

Dass Pater Kolbe am 29. Juli 1941 in Auschwitz freiwillig an Stelle eines jungen Familienvaters in den Hungerbunker ging, hat ihn als Märtyrer berühmt gemacht. Dass Kolbe insistierte, ganz und gar Pole zu sein, als ihm die Gestapo einen deutschen Pass und freies Geleit anbot, wissen wenige. Dass er sich andrerseits den polnischen Nationalisten im bewaffneten Partisanenkampf verweigerte, erzählt dieses Buch. Und dass er heutzutage wahrscheinlich als ein unangenehm radikalfrommer, erzkatholischer Marienverehrer empfunden würde - auch das lässt Walter Heinrich anklingen.

Der Diogenes-Verlag hat den Text im Herbst 2009 zweitveröffentlicht, ursprünglich geschrieben hat ihn der heute 75-jährige Schauspieler und Theaterregisseur Walter Heinrich aber schon Mitte der Achtzigerjahre. Wenn junge Männer "Jünglinge" oder "Burschen" sind und "bangen Gemüts" aus Fenstern "lugen", weil ihnen etwas "nicht aus dem Sinn will" - dann kann man diesen Stil betulich antiquiert finden. Ich finde ihn charmant nostalgisch. Viele Szenen sind wie ein Drehbuch geschrieben, und das lässt zum Beispiel die greisen Ordensoberen, den fürstlichen Gönner, den leiblichen Bruder wie in einem alten Schwarzweißfilm treppauf, treppab durch die ärmlichen Verhältnisse stolpern.

Sechs Kapitel lang darf ein skeptischer Warschauer Zeitungsreporter all jene Fragen äußern, die ein moderner nichtkatholischer Leser an Maximilian Kolbe hätte. Dabei ist der stets weise, fromme Held nie um eine bestechende Antwort verlegen. Damit schrammt der Roman nur knapp an einer Hagiografie vorbei. Trotzdem: Walter Heinrich erzählt ohne Ergriffenheitstremolo in der Stimme und - er schont seine Leser nicht, wenn es ab Seit 214 um die grässlichen Details der Deportation, der Verzweiflungstaten unter den Gefangenen und um die sadistischen Einfälle der KZ-Schergen geht.

Statt erschossen oder gehängt zu werden, sollen zehn willkürlich "Ausgesuchte" in einem lichtlosen Kellerverlies nackt und ohne Nahrung langsam verrotten. "Blockwart Borgowiec fand den Gesang störend. Erst am vierten Tag hörte die Liedersingerei auf. So nach und nach starben sie dann doch. Aber je weniger sie wurden, umso unheimlicher wurde ihre Stille, die lauter tönte als das Hungergeschrei aus den anderen Zellen."

Besprochen von Andreas Malessa

Walter Heinrich: Die Stunde des Pelikans. Die Lebensgeschichte des Maximilian Kolbe
Diogenes Verlag Zürich 2009, 327 Seiten, 21,90 Euro