Geschichte einer verlorenen Freundschaft

18.12.2012
In diesem eindrucksvollen Debüt sucht eine junge Frau ihr bayerisches Heimatdorf auf, um herauszufinden, warum ihre damals beste Freundin sich für immer von ihr abgewandt hat und warum sie in einem braven Job bei der Krankenkasse gelandet ist. Sie selbst hat die Enge des Dorfes zwar verlassen, ist aber alles andere als glücklich geworden.
Irgendwann kehren alle an den Ort ihrer Kindheit zurück. Die einen mit warmem Herzen, die anderen skeptisch, von Rachegefühlen geleitet – seit jeher ein dankbares Sujet für das Genre des Entwicklungsromans, zumal wenn dieser Ort in der Provinz liegt und die Helden von dort in die große Welt aufbrachen.

In Stephanie Gleißners erstem Roman sucht die Erzählerin ihr bayerisches Heimatdorf auf, um herauszufinden, warum ihre damals beste Freundin Johanna sich für immer von ihr abgewandt hat, warum sie statt Karriere zu machen in einem braven Job bei der örtlichen Krankenkasse gelandet ist.

Johanna und Annemut – die beiden gingen früher miteinander durch dick und dünn. Sie waren ein exzentrisches Gespann und hatten nur eines im Sinn: nicht dazuzugehören, anders zu sein als die anderen. Den Ton gab Johanna gab an, schön, stolz und unerreichbar.

Statt mit Modemagazinen beschäftigte sie sich mit Heiligen und Märtyrern. Nicht aus Bedürftigkeit. Sie suchte keinen Trost, keine Orientierung, sie fühlte sich einfach als eine von ihnen, auf "Augenhöhe" mit den selbsternannten Außenseitern. Randalierende Schüler ohrfeigte sie schon mal im Bus, andere, die ungerecht behandelt wurden, tröstete sie. Johanna wurde bewundert, vor allem von Annemut, die ihrem Vorbild in allem zu gleichen suchte – bis zu den ersten Flirts, bis Jungs, Sex und Erotik wichtig wurden. Bis die eine in der anderen die Verräterin entdeckte.

Stephanie Gleißner (1983 geboren) erzählt die Geschichte einer verlorenen Freundschaft aus der Perspektive der stets unterlegenen Protagonistin. In einer komplexen Konstruktion aus Vor- und Rückblenden, aus erinnerter Vergangenheit und Gegenwart schildert sie eine symbiotische Beziehung vor dem Hintergrund des Lebens im "Hinterland", wo Anderssein nicht vorgesehen ist, "wo immer alles so sein soll, wie es schon immer war".

Präzise und mit untrüglichem Gespür für feinste seelische Regungen entwirft sie ein gestochen scharfes Bild menschlicher Abgründe ("Meine Hände, die ich, seit ich zehn war, immer zu Fäusten geballt mit mir herumtrug, um die abgekauten Fingernägel zu verbergen."). Ebenso entsteht ein nahezu klischeefreies Abbild von der beklemmenden Enge einer überschaubaren Dorfgemeinschaft, wo die Lebensabläufe von der Ab- und Anwesenheit der Väter bestimmt werden; wo man "kein großes Aufheben um den Tod macht, nur um die Gräber"; wo die Alten gehässig tratschen – aus Rache dafür, dass man sie nicht mehr für voll nimmt, dass man sie nicht mehr mitkommen lässt im Reden über Festplatten und Laktoseintoleranz.

Dass auch die Flucht nach draußen keine Freiheit garantiert, zeigt die in Mittenwald aufgewachsene Gleißner eindrucksvoll. Ganz gleich, wohin die Erzählerin aufbricht, in ein Studium, ins Ausland, in die Beziehung mit einem verheirateten Mann oder immer wieder in die Clubs: überall herrschen enge, allen Eigensinn strangulierende Reglements. "Jungsein", resümiert die Autorin in ihrem eindrucksvollen Debüt, ist ein trügerisches Versprechen, ein falsch verstandener Fetisch. "Jungsein" ist nichts als "eine große Last."

Besprochen von Edelgard Abenstein

Stephanie Gleißner: Einen solchen Himmel im Kopf
Aufbau-Verlag, Berlin 2012
224 Seiten, 16,99 Euro