Geschichte einer Suche

02.08.2007
Aus einem nachgelassenen Tonband ihrer Großmutter erfährt Nele Niebuhr den Teil der Familiengeschichte, der ihr verschwiegen wurde. Mehr bewusst als unbewusst zieht sie für ihr eigenes Leben die Konsequenz. Laissa Boehning erzählt in ihrem raffiniert komponierten Debüt deutsche Nachkriegsgeschichte.
Die 36-jährige Larissa Boehning erzählt in ihrem ersten Roman die Geschichte einer Suche. Aus einem nachgelassenen Tonband, das ihre Großmutter kurz vor ihrem Tod besprochen hat, erfährt Nele Niebuhr den Teil der Familiengeschichte, der verschwiegen oder falsch erzählt wurde. Sie begibt sich auf eine Reise zu ihrem Großvater, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg dem 3. US Corps angehörte. Dieser farbige Soldat war der Vater ihrer Mutter. Sie erfährt auch, dass der Amerikaner Harold McGee im thüringischen Salzbergwerk Merker, in dem die Nazis Gold und Kunstgegenstände gebunkert hatten, ein Bild von Degas gefunden und in seinem Stiefel versteckt mitgenommen hat, um es ihrer Großmutter zu schenken. Die Geschichte, die das Tonband wiedergibt, unterscheidet sich von den Geschichten, die man Nele erzählt hat.

In die Stunden eines Transatlantikfluges berichtet sie ihrem Sitznachbarn, einem alten Museumsmann, Spezialist für Naziraubkunst und Restitution, von den Erlebnissen, die hinter ihr liegen. Die Autorin schildert mittels Vor- und Rückblenden die Kriegsverhältnisse, unter denen ihre Großmutter und Urgroßmutter lebten und hungerten, gibt Einblick in das Leben ihrer Eltern, die das Prinzip der Lüge in ihrem Leben fortsetzen, schildert ihr Treffen mit einer jungen amerikanischen Ausreißerin und berichtet von ihrer eigenen unglücklichen Liebe zu Eric.

Seit Nele die Tonbänder kennt, hat sie begriffen, was die Wiederholung von Lüge und Verschweigen in ihrer Familie angerichtet hat. Mehr bewusst als unbewusst zieht sie für ihr eigenes Leben die Konsequenz. Verlässt ihren Freund Eric, verweigert sich einem neuen Job, findet ihren Großvater, der zu alt und zu starr ist, um zu glauben, dass seine Enkeltochter vor ihm steht, sieht das Bild von Degas, das sie nicht anfassen darf und erkennt in seinen Zügen die Züge ihrer Mutter wieder.

Laissa Boehning erzählt in diesem raffiniert komponierten Buch deutsche Nachkriegsgeschichte. Eine Spur, einmal gelegt, zieht sich durch die Generationen.

Rezensiert von Verena Auffermann

Larissa Boehning. Lichte Stoffe. Roman.
Eichborn Berlin Presse.
2007. 325 Seiten. 19,95 Euro.