Gescheiterte Generation

09.09.2009
Keith Gessen begleitet in seinem ersten Roman drei junge Männer, Marc, Sam und Keith, durch ihr drittes Lebensjahrzehnt. Die Elite-Studenten haben zu schönsten Hoffnungen Anlass gegeben - aber nun treten sie auf der Stelle, ihre Projekte zerschlagen sich, ihre Frauen verlassen sie.
1926 hat der amerikanische Autor F. Scott Fitzgerald seinen Erzählungsband "All the Sad Young Men" veröffentlicht. Fitzgerald war damals erst 30 Jahre alt, aber er hatte den größten Erfolg seines Lebens schon hinter sich. Sein Roman "Diesseits vom Paradies" war 1920 erschienen und als Porträt der neuen amerikanischen Generation gefeiert worden. Fitzgeralds große Hoffnungen auf ein glamouröses, aufregendes, relevantes Leben waren Mitte der 20er-Jahre aber schon erschöpft. Von dieser Enttäuschung erzählen seine Geschichten in "All the Sad Young Men", und dieses Motiv hat Keith Gessen nun 80 Jahre später mit seinem ersten Roman "All the Sad Young Literary Men" ganz demonstrativ wieder aufgenommen.

Keith Gessen begleitet drei junge Männer, Marc, Sam und Keith, durch ihr drittes Lebensjahrzehnt. Alle drei haben an Ivy-League-Unis studiert, in Harvard, Yale und Princeton. Die drei haben zu schönsten Hoffnungen Anlass gegeben, mit wissenschaftlichen Arbeiten, Essays und Zeitungsartikeln auf sich aufmerksam gemacht. Aber nun treten sie auf der Stelle, ihre Projekte zerschlagen sich, ihre Frauen verlassen sie, sie halten sich nur noch gerade so über Wasser.

Sie könnten der Politik die Schuld daran geben und das tun sie versuchsweise auch: Als sie aus der Universität ins Leben treten wollten, da kamen die bösen Bush-Republikaner und nahmen ihnen ihr Land weg. Aber natürlich müssen sie die Gründe für ihr frühes Scheitern bei sich selbst suchen, sie müssen sich fragen, ob sie gut genug sind, hart genug, energisch genug, rücksichtslos genug, um sich durchzusetzen. Das sind diese drei traurigen jungen Männer gewiss nicht.

Mark schreibt an einer Dissertation über einen Menschewiki, über einen der Verlierer in der russischen Oktoberrevolution. Sein Buch kommt nicht voran, im schnelllebigen universitären Betrieb fühlt er sich bald ähnlich marginalisiert wie sein Held. Die Frauen in Marks Leben haben es auch rasch satt, dass Mark alles mit der Situation im vorrevolutionären Russland vergleichen muss.

Sam kommt aus einer Familie strikt säkularer Juden. Er will Schriftsteller werden, er will den "großen zionistischen Roman" seiner Zeit schreiben und ist immerhin mutig genug, dafür alle anderen Karrieremöglichkeiten in den Wind zu schlagen. Jahrelang studiert er das zionistische Schrifttum, er unterliegt allerdings schon bei den regelmäßigen Küchentischdiskussionen über die Lage im Nahen Osten. Natürlich schreibt er nie auch nur einen Teil des "großen zionistischen Romans", stattdessen wird er in seinem Brotjob zum Experten für Excel-Tabellen. Einen noch weniger vergeistigten Job hat der Harvard-Absolvent Keith, er schlägt sich als Möbelpacker durch.

Keith Gessen erzählt mit einem leisen Witz von seinen drei verhinderten Helden, ohne aber ihre Ratlosigkeit, ihre Verzagtheit und Trauer an Pointen zu verraten. Gessen kommt ohne Larmoyanz aus, ohne falsche Anklagen, ohne Wehleidigkeit. Deshalb kommen einem diese drei Looser nahe, sie sind wenigstens ehrlich in ihrem Scheitern. Zum Schluss gönnt Keith Gessen den dreien so etwas wie eine Erlösung aus ihrem Warten vor der Tür des Lebens, auf ganz unterschiedliche Weise.

Sam fährt nach Israel und erlebt dort die zionistische Realität endlich am eigenen Leibe, vor einem israelischen Panzer, der auf ihn schießt. Mark verteidigt womöglich tatsächlich seine Dissertation. Keith findet im Obama-Wahlkampf und in der überraschenden Schwangerschaft seiner Freundin seinen politischen Optimismus wieder: "Wir konnten das Weiße Haus zurückerobern und die Parlamentsgebäude und Rathäuser und Stadträte. Um eine dauerhafte linke Mehrheit zu sichern, Gwyn, meine Liebste, würden wir viele linksgerichtete Babys machen."

Besprochen von Frank Meyer

Keith Gessen: All die traurigen jungen Dichter
Übersetzt von Stephan Kleiner
Dumont Verlag, Köln 2009
300 Seiten, 19,95 Euro