Geschäftsführer "Athleten Deutschland"

Im Sport "wird die Grenze des Sagbaren neu debattiert"

07:44 Minuten
Der Boxer Muhammad Ali am 20. Juni 1967. Nach seiner Verurteilung durch eine weiße Jury zu fünf Jahren Gefängnis spricht er mit Journalisten.
1967 positionierte sich US-Box-Legende Muhammad Ali gegen den Vietnamkrieg. Eine weiße Jury verurteilte ihn zu fünf Jahren Gefängnis. © imago images / UPI Photo
Johannes Herber im Gespräch mit Thorsten Jabs · 16.08.2020
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In den USA hat die politische Positionierung von Sportlern bereits eine gewisse Tradition - teils mit harten Sanktionen. Hierzulande beginne die Debatte dazu erst, sagt Johannes Herber, der mit seinem Verein Kaderathletinnen und -athleten vertritt.
Thorsten Jabs: Das berühmteste Beispiel für politischen Protest eines Sportlers ist wohl die US-Box-Legende Muhammad Ali. Als er sich 1967 geweigert hatte, in Vietnam zu kämpfen, weil ihn kein Vietcong jemals "Nigger" genannt habe, verlor er seinen Weltmeistertitel und wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Auch im 21. Jahrhundert sind es vor allem schwarze US-Sportler wie Basketball-Star LeBron James, die sich politisch äußern, weil sie gegen Rassismus Stellung beziehen. Weltweit bekannt geworden ist Football-Star Colin Kaepernick, weil er sich beim Abspielen der US-Hymne hingekniet hatte und ihn später kein Verein mehr beschäftigen wollte.
Sportlerinnen und Sportler, die sich politisch äußern, riskieren also Konsequenzen, etwa Anfeindungen oder wirtschaftliche Einbußen bis zum Jobverlust. Darüber spreche ich mit Johannes Herber. Er hat länger Basketball in den USA gespielt und ist Geschäftsführer der Interessengemeinschaft "Athleten Deutschland", einem Verein, der derzeit die Interessen von etwa 900 von rund 4000 Kaderathletinnen und –athleten in der Bundesrepublik vertritt. Herr Herber, der Präsident von Werder Bremen, Hubertus Hess-Grunewald, hat einmal erklärt, dass es ein Widerspruch sei, Werder und die AfD gut zu finden. Solche klaren politischen Aussagen hört man in Deutschland eher selten. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Johannes Herber: Ich finde, die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil ich doch auch Sportlerinnen und Sportler und auch Vereine sehe, die schon eine klare politische Haltung haben, und auch der DOSB zum Beispiel und die Deutsche Sportjugend haben sich ja auch gerade stark gegen rechts positioniert. Ich denke, dass wir das auch immer öfter sehen. Gleichwohl gibt es vielleicht in Deutschland nicht so eine große Tradition wie in Amerika – Sie haben es gerade angesprochen, Muhammad Ali gibt es zum Beispiel, dann natürlich Tommie Smith und John Carlos, die 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko protestiert haben, jetzt Colin Kaepernick, Megan Rapinoe.
Athlete Activism ist dort schon ein Schlagwort, darüber wird viel gesprochen und es wird mittlerweile auch tatsächlich verstärkt angenommen. Wir sehen zum Beispiel in der NBA, wo jetzt auch Liga und Spielergewerkschaft gemeinsam überlegen, wie man die gesellschaftlichen Anliegen der Sportler besser promoten kann - und da auch tatsächlich für sozialen Wandel sorgen kann. Wir stehen in Deutschland, glaube ich, da noch ein bisschen am Anfang der Debatte, wissen noch nicht ganz genau, wie wir damit umgehen sollen, wenn Sportlerinnen und Sportler sich da stärker positionieren wollen. Aber ich glaube, es ist sehr gesund, dass wir jetzt beginnen, die Debatte zu führen.

Viel Wirkung möglich

Jabs: Wie sehen Sie den Blick der Gesellschaft auf Sportler? Werden Sportler aus Ihrer Sicht gerade in Deutschland als mündige Bürger wahrgenommen - oder sind sie eher nur so was wie Gladiatoren, die ihren Beitrag zur Unterhaltungsindustrie Sport zu leisten haben, also: "Geh kicken und sprich nicht über Politik."
Herber: Klar, es gibt diese Haltung auch von Menschen, die sagen, halt die Klappe und spiel einfach und kümmere dich nur um die Dinge, die in deinem Bereich liegen, die deinen Job umfassen. Aber ich glaube nicht, dass das die allgemeine Haltung ist. Ich glaube schon, dass sich das mittlerweile stark verschoben hat. Sportlerinnen und Sportler, die sich politisch äußern und die das vernünftig tun, die das differenziert und respektvoll tun, ich glaube, die können viel bewirken. Und die ernten auch auf der Gegenseite dann Respekt und Sympathie für die Haltung, die sie vorbringen.
Jabs: Aber es kann ja vielleicht doch sein, dass dem Verein oder einem Verband das nicht passt. Was passiert denn, wenn sich Sportlerinnen und Sportler politisch äußern und diese Reaktion ein bisschen ungünstig für den Sportler ausfällt? Gibt es von den Vereinen und Verbänden da auch Restriktionen, oder was passiert dann?
Herber: Wir haben ja die Olympische Charta, die so eine Art Quasi-Verfassung für den Weltsport darstellt und die von globaler Spitze her eigentlich die Regeln dann für den gesamten Sport vorgibt. Da gibt es die berühmte Regel 50.2, und die besagt eben, dass man auf den Sportstätten, auf dem Podium zum Beispiel und während des Wettkampfs eben keine politischen Botschaften aussenden sollte. Dafür gibt es dann harsche Sanktionen, bis hin zum Ausschluss von den Olympischen Spielen. Diese Regel hat sich natürlich dann so durch den Sport hinweg über die Verbände hin durchgesetzt.
Das ist im Moment immer noch gang und gäbe, dass überhaupt Meinungsäußerungen, die im Rahmen der Wettkämpfe stattfinden, sanktioniert werden können. Aber wie gesagt, ich sehe schon, dass da eben jetzt auch im Hinblick auf die "Black-Lives-Matter"-Proteste und die Solidaritätsbekundungen dazu in der Bundesliga, dass da eine Verschiebung stattfindet; und dass sozusagen die Grenze des Sagbaren und auch die Orte, wo man das sagen kann, dass das jetzt neu debattiert wird.

"Es kommt auf die Stellung des Athlethen an"

Jabs: Wenn Sportlerinnen und Sportler anecken, riskieren sie ja auf der einen Seite den Konflikt mit ihrem Verein oder ihrem Verband, aber auch mit ihren Fans vielleicht, die das nicht gut finden. Als Werbeträger ist das natürlich meistens lukrativer, politisch neutral zu sein, sag ich mal, um niemanden zu verprellen. Sind es vor allem wirtschaftliche Gründe, warum sich Sportlerinnen und Sportler da vielleicht auch manchmal zurückhalten?
Herber: Es gibt diesen berühmten Satz von Michael Jordan, der gesagt hat, "Republicans buy sneakers too", und das war natürlich ein ganz klares Statement dafür, dass er sich da nicht politisch in die ein oder andere Richtung bekennen wollte, um sich nicht wirtschaftlich zu schaden.
Jabs: Wofür er auch oft kritisiert wurde.
Herber: Wofür er auch oft kritisiert wurde und heutzutage sogar umso mehr. Ich glaube, es kommt immer ein bisschen auf die Stellung des Athleten an. Wenn er in einer Position ist - er oder sie -, wo sie nicht mehr angreifbar sind, wie LeBron James oder mit Megan Rapinoe ... Wenn jemand aber, ja, ich will sagen, eher vielleicht im Basketball jetzt ein Rollenspieler ist oder vielleicht eine Kadernominierung auf dem Spiel steht, dann kann ich mir schon vorstellen, dass man lieber sagt: Nee, ich streck jetzt nicht meinen Kopf raus und sag meine Meinung hier zu dem ein oder anderen Thema, weil ich einfach nicht riskieren will, dass das dann in einem Auswahlverfahren zum Tragen kommt in irgendeiner Form.
Dazu möchte ich auch noch sagen, es sind auch nicht alle Athletinnen und Athleten, die sich unbedingt jetzt politisch äußern wollen. Ich hab manchmal das Gefühl, das wird im Moment so stark an alle herangetragen und es entsteht schon fast so eine Erwartungshaltung, dass jetzt alle sich politisch äußern wollen. Aber da ist natürlich genauso, die Athletenschaft wie der Querschnitt der Gesellschaft. Da gibt es einige, die sind sehr politisch, und andere, die möchten sich einfach auf ihren Sport konzentrieren und da ihre Bestleistung bringen, und das ist auch völlig in Ordnung.

Kampf für die Freiheit, seine Meinung zu äußern

Jabs: Das ist ja wahrscheinlich auch wichtig, sich voll auf den Sport zu konzentrieren für manche, um überhaupt Leistungen bringen zu können, um eben gar nicht sich anderen Einflüssen ausgesetzt zu sehen. Aber wenn doch mal etwas passiert, also wenn jemand aneckt, was kann denn eine Interessenvertretung tun, um den Athletinnen und Athleten unter die Arme zu greifen, um sie zu unterstützen?
Herber: Ja, das ist natürlich eine schwierige Debatte, weil wir haben uns prinzipiell jetzt auch in den letzten Wochen immer stark dafür positioniert, dass Athletinnen und Athleten immer ihre Meinung sagen können, sofern sie eben in den Schutzgrenzen der Meinungsfreiheit ist – wenn sie nicht zum Hass anstiftet, sofern sie andere nicht verletzt, nicht zu Gewalt aufruft und so weiter und so fort. Wir kämpfen schon dafür, dass diese Beurteilung immer wieder gemacht wird und dass Athletinnen und Athleten diese Freiheit haben, das zu tun. Wenn jemand dadurch in eine schwierige Lage gerät, dann ist es unsere Pflicht, das zu prüfen, was er gesagt hat; dann aber auch klar zu trennen zwischen Inhalt der Aussage und dem Recht, das er hat, diese Aussage zu tätigen.
Jabs: Haben Sie da schon eine erste Bilanz, was Sie bewirkt haben?
Herber: Ja, ich glaube, "Athleten Deutschland" trägt zumindest in Deutschland, aber auch mittlerweile international dazu bei, dass die Athletinnen und Athleten viel, viel stärker gehört werden als früher. Es ist aber die eine Sache, gehört zu werden, als tatsächlich mitzuentscheiden. Ich glaube, da helfen uns keine Aufrufe auf Social Media und Hashtags, sondern wir brauchen tatsächlich bindende Reformen in den Satzungen der Verbände oder eine tatsächliche Anerkennung eines bilateralen Verhältnisses zwischen Verbänden und Athletenvertretungen, damit gleichgewichtige Regelungen ausgearbeitet werden können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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