"Geschäfte mit dem Teufel"

Von Michael Hollenbach · 15.10.2010
Ladislaus Löb selbst gehörte zu den rund 1700 Juden, die mit Hilfe von Rezsö Kasztner 1944 in Verhandlungen mit Adolf Eichmann freigekauft wurden. In seinem Buch "Geschäfte mit dem Teufel" versucht Löb, die historische Leistung des umstrittenen Judenretters herauszustellen.
Ladislaus Löb war Professor für Deutsche Sprache und Literatur im englischen Brighton. Als er das Buch über Reszö Kasztner begann, war ihm klar, dass dies keine wissenschaftliche, objektive Darstellung wird, denn Löb verdankt Kasztner sein Leben:

" Weil ich als elfjähriges Kind keine Chance gehabt hätte, nicht nach Auschwitz zu kommen und in Auschwitz sofort zur Vergasung selektioniert zu werden."

Doch der kleine Ladislaus gehörte mit seinem Vater – seine Mutter war früh gestorben – zu den 1670 auserwählten Budapester Juden, die noch im Sommer 1944 nach Palästina ausreisen sollten. Rezsö Kasztner, Leiter des jüdischen "Komitee für Hilfe und Rettung" in Budapest, hatte mit den Nazis Verhandlungen aufgenommen. In Gesprächen mit Adolf Eichmann ging es um die Rettung von möglicherweise eine Million Juden gegen 10.000 Lastwagen sowie Geld. Hinter dem Deal steckte Heinrich
Himmler. Ladislaus Löb über die Motive des SS-Führers:

" Entweder ein Alibi für sich als Judenretter oder diese Lastwagen wären an der Ostfront eingesetzt worden, das hätte den Russen keine Freude gemacht, das hätte dann die Allianz gespalten, und Himmler hat auch wahrscheinlich geträumt von einem Separatfrieden mit Amerika und Großbritannien."

An die Option, eine Million Juden zu retten, hat niemand geglaubt. Kasztner habe sich erhofft, so Löb, durch die Verhandlungen Zeit zu gewinnen, die Deportationen nach Auschwitz zu verzögern und zumindest einige Juden zu retten. Er erhielt dann die Zusage, dass knapp 1700 Budapest Richtung Westen verlassen durften:

"Ungefähr 150 von uns waren sehr reich, aus denen hat Kasztner auf alle möglichen Arten das Geld für uns erpresst, wir waren alle 1000 Dollar wert, von Himmler festgesetzt."

Doch die Güterzüge rollten nicht in die Freiheit Richtung Palästina, sondern die Fahrt endete im KZ Bergen-Belsen:

"Ich habe mitbekommen die Angst der Erwachsenen, ich habe mitbekommen den Schock, in Bergen-Belsen anzukommen, wir haben ja keine Ahnung gehabt, wie ein Konzentrationslager aussieht, es war erschreckend und es war auch sehr enttäuschend, dass wir nicht auf dem Weg nach Palästina waren."

Fünf Monate blieben die ungarischen Juden zwischen Hoffen und Bangen in Bergen-Belsen, dann war klar: Sie können in die Schweiz ausreisen. Ladislaus Löb erinnert sich an den Weg in die Freiheit:

"Wir waren bei Lindau am Bodensee angekommen; hinter uns in Deutschland war alles verdunkelt, vor uns über dem Bodensee die Schweiz, alle Lichter haben gebrannt, gespiegelt im See, das haben die nicht gemacht, um uns zu empfangen, das haben die gemacht, damit die Alliierten die Schweiz nicht bombardieren. Aber für uns war das eine symbolische Sache, für uns war das das Paradies."

Nach Kriegsende ging knapp die Hälfte der geretteten Juden – auch Kasztner selber – nach Palästina. Doch dort wurden sie von ihren Landsleuten keineswegs freundlich empfangen. In den 40er und 50er-Jahren seien die Juden in Palästina sehr aggressiv und offensiv gewesen, um ihre zionistischen Ziele zu erreichen, sagt Ladislaus Löb. Überlebende des Holocaust wurden in dieser Atmosphäre nicht mit Empathie aufgenommen, sondern eher mit dem Vorwurf konfrontiert, warum sie sich nicht gegen die Nazis gewehrt hätten.

"Als Kasztner nach Israel kam, hat er gehofft, dass er da als Nationalheld begrüßt wird, aber die haben gesagt: Du hast doch nur gemauschelt, du hast Geschäfte gemacht, ohne die israelische Atmosphäre zu verstehen, kann man es gar nicht verstehen."

Kasztner wurde vorgeworfen, er habe mit dem Teufel paktiert, um 1700 Seelen zu retten. Stattdessen hätte er, der von den Verbrechen in Auschwitz wusste, lieber die ungarischen Juden aufrütteln und zum Widerstand animieren sollen.

"Absoluter Unsinn, nach meiner Meinung. Es war absolut unmöglich","

meint Ladislaus Löb. Diese Widerstandsbereitschaft habe es 1944 unter den ungarischen Juden nicht gegeben. Rezsö Kasztner wurde 1953 in Tel Aviv schuldig gesprochen, "seine Seele dem Teufel verkauft zu haben", wie es der Richter ausdrückte. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, vor dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zugunsten eines Nazis ausgesagt zu haben. Im März 1957 ermordeten jüdische Extremisten Kasztner. Bis heute ist er in Israel sehr umstritten. Auch Ladislaus Löb will ihn keinesfalls glorifizieren:

""Er war arrogant, ehrgeizig, er war nicht ganz ehrlich, aber für das, was er gemacht hat, hat man eine solche Persönlichkeit gebraucht, er hat sehr viel Mut gehabt, er war schlagfertig, hochintelligent, er konnte gut bluffen, er hat Chuzpe gehabt, aber ein aufrechter Zeitgenosse war er nicht, und er hätte auch nichts erreicht, wenn er das gewesen wäre."
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