Geruchssinn

Wenn Menschen nicht mehr riechen können

Eine Frau riecht an einem Blumenstrauß
Nicht nur Düfte können Menschen mit Anosmie nicht mehr wahrnehmen - auch ihr Geschmackssinn leidet. © AFP PHOTO/JIM WATSON
Von Britta Kuntoff  · 11.12.2014
"Ich lebe in einer ganz sterilen Welt", sagt eine Betroffene. Geht der Geruchssinn verloren, hat das für Menschen schwerwiegende Folgen. Experten sprechen von Anosmie. Rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung sind betroffen.
Marli de Soyres: "Ich lüfte dauernd, weil ich gar nicht weiß, wie es riecht in meiner Wohnung."
Dr. Florian Uecker: "Morgens aufstehen zum Beispiel. Dass man selbst nicht weiß im Extremfall, muss man duschen, ist der Körpergeruch sehr stark nach dem Schlafen oder ist Mundgeruch vorhanden?"
Seit drei Jahren kann Marli de Soyres nichts mehr riechen. Anosmie nennen das die Fachleute.
"Ich hatte einen Unfall, einen Treppensturz mit einem Hirntrauma und Schädelbasisbruch und einer Hirnblutung im Frontalhirn. Die Geruchsnerven sind abgerissen bei mir und können deswegen auch ihre Funktion nie mehr finden.

Ich habe immer liebend gerne guten Kaffee getrunken. Inzwischen kann ich mir natürlich auch ganz billigen Kaffee kochen, denn das Aroma kann ich nicht mehr erfassen. Ich kann ihn ja auch nicht riechen. Den schönen Kaffeeduft, der mich früher auch belebte, den habe ich ja nicht mehr, aber ich gucke in die Tasse und sehe die Farbe. Damit muss ich mich eben zufrieden geben."
Schon eine Grippe kann das Riechvermögen stören
Mit dem Geruchssinn hat Marli de Soyres auch den größten Teil ihres Geschmacksvermögens verloren. Denn über die Zunge nimmt man lediglich Geschmacksvarianten wie süß, sauer, salzig und bitter wahr - alles andere sind Nuancen des Riechens.
"Wenn ich Fleisch esse, und es ist sehr zart, dann ist das mein Genuss. Ob das Rindfleisch, Schweinefleisch, Geflügel oder ein scharf gewürztes Lamm ist, das ist das Gleiche. Es ist die Konsistenz im Mund, die mir noch einen gewissen Genuss vermittelt, aber eben nicht mehr der Geschmack. Den kann ich leider nicht mehr definieren."
Die Mutter sechs erwachsener Kinder gehört damit zu den fünf Prozent der Bundesbürger, die weder den frischen Duft des Meeres noch den herben Geruch des Sitznachbarn in der U-Bahn wahrnehmen können.
"Häufig sehen wir Patienten, die über einen viralen Infekt, zum Beispiel eine Grippe, klagen und sagen, seitdem ist das Riechen gestört. Eine andere Erklärung ist, dass Patienten aufgrund von Medikamentennebenwirkungen eine Riechunfähigkeit haben. Das sind Medikamente, zum Beispiel Chemotherapeutika bei Tumorerkrankungen, aber auch ganz banale Medikamente wie ein Antibiotikum, das man doch zum Teil sehr bedenkenlos verschreibt und auch einnimmt."
Riechen ist ein komplexer Vorgang, erklärt der Berliner HNO-Mediziner Florian Uecker. Mit jedem Atemzug erschnuppert man Duftmoleküle, die über die Nasenhaupthöhle bis oben ins Nasendach zu den Riechzellen gelangen. Die sind ungefähr zwischen den Augen lokalisiert.
"Dort werden die Moleküle dann empfangen und senden elektrische Signale in das Riechorgan, in den so genannten Bulbus olfactorius, und dieser gehört schon zum zentralen Gehirn und leitet die Signale schließlich weiter bis in die sogenannte Riechrinde, wo wir dann verbunden mit emotionalen Zentren das Riechen wahrnehmen."
Viele Betroffene verlieren an Gewicht und Selbstwertgefühl
Wegen dieser Verbindung des olfaktorischen Sinnes mit den emotionalen Zentren wecken Gerüche Erinnerungen. Gute wie böse. Gerüche können aber auch warnen.
Marli de Soyres: "Meinetwegen ich hab was in der Pfanne, das brötschelt, das Telefon geht, ich geh ans Telefon und werde in ein Gespräch verwickelt und werde durch den Geruch, dass da etwas anbrennt, nicht mehr gewarnt: Hör mal, du hast doch was auf dem Herd."
Weil Essen und Trinken kein Wohlbehagen mehr auslösen, verlieren viele Menschen ohne Geruchssinn stark an Gewicht und ihr Selbstwertgefühl leidet.
Florian Uecker: "Das erleben wir in der Sprechstunde mit den Patienten immer wieder, dass diese sich sozial zurückziehen aus dem Alltag und teilweise auch Strategien entwickeln, um das zu kompensieren, zum Beispiel übertriebene Körperhygiene. Und Ängste entwickeln, auch Ängste, die so weit gehen, dass man sie psychosomatisch behandeln muss."
Wie wichtig ein Sinn ist, merkt man meist erst, wenn er fehlt, sagt Marli de Soyres auch heute noch. Das Leben wird fader.
"Ich habe keinerlei Gerüche mehr, weder Blumen noch ein schönes Holzfeuer. Jede Saison hat ja so ihre Gerüche, ich lebe in einer ganz sterilen, eigentlich sauberen Welt."