Geruchsforscher: Ein tolles Sinnesinstrument

Hanns Hatt im Gespräch mit Jürgen König · 07.06.2010
Für seine Forschungen wird der "Botschafter des Riechens" Professor Hanns Hatt mit dem Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet.
Jürgen König: Wer wissenschaftliche Erkenntnisse besonders gut vermitteln kann, hat die Chance, mit dem Communicator-Preis und 50.000 Euro belohnt zu werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Heute erhält den Communicator-Preis der Geruchsforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum. Guten Tag, Herr Hatt!

Hanns Hatt: Hallo, guten Tag!

König: Seit Jahren erforschen Sie Düfte, Gerüche, den menschlichen Geruchssinn, Sie haben Fernsehsendungen dazu gemacht, etwa die mehrteilige ZDF-Sendung "Vom Reiz der Sinne", Sie haben auch eine ganze Reihe von Büchern dazu veröffentlicht. Nun machen derlei ja viele Wissenschaftler. Was zeichnet einen herausragenden Vermittler von Wissenschaft aus?

Hatt: Ja ich glaube, man muss schon die ganze Breite immer sehen, um Menschen darauf hinzuweisen, dass sie eine Nase haben. Und da reichen eben Bücher und eine Fernsehsendung nicht, sondern man schaut, dass man a) in vielen Vorträgen, dass man in allen möglichen Radiosendungen, dass man in vielen Gesprächen mit den Menschen einfach versucht, als Botschafter des Riechens aufzutreten und den Leuten zu sagen, Mensch Leute, geht mit offener Nase durch die Welt! Denkt daran, es gibt nicht nur Augen und Ohren, sondern die Nase als ein ganz tolles Sinnesinstrument, das einem Informationen über die Welt vermittelt, die um einen herum ist, die man nicht sieht, aber riecht, die faszinierend sein können!

König: Ihr größter wissenschaftlicher Erfolg war vor einigen Jahren die Entdeckung, dass menschliche Spermien auch einen Riechrezeptor besitzen. Also nicht nur die Nase kann riechen, sondern auch die Spermien, bei ihnen ist das ein Riechrezeptor für Maiglöckchenduft. Das Buch dazu hieß "Das Maiglöckchen-Phänomen", wurde ein internationaler Bestseller. Dieser Duftstoff, Burgeonal heißt er, weist den Samenzellen im Eileiter den Weg. Sie haben dann auch eine Substanz gefunden, mit der sich dieser Duftstoff blockieren lässt und die Geruchsorientierung der Spermien ausschaltet. Daraus entstand die Idee, ein neues, hormonfreies Verhütungsmittel zu entwickeln. Wie weit sind die Forschungen dazu gediehen?

Hatt: Also diese Daten sind natürlich Grundlagenforschungsdaten und müssen nun von der Industrie umgesetzt werden. Also wir sind eben eine reine Universität-, Wissenschaftlergruppe hier, die nun nicht die Möglichkeiten hat natürlich, Präparate zu entwickeln, die man auch beim Menschen anwenden kann, das dauert in der Regel viele, viele Jahre oder Jahrzehnte. Und wenn ich ganz ehrlich bin, es ist ein ganz kompliziertes Thema in Deutschland, weil eigentlich jede Art von Versuchen an menschlichen Samen und Eizellen zumindest in dieser Interaktion nach dem Embryonenschutzgesetz hier verboten sind. Also ich kann nicht mal sagen, ob die Firmen daran arbeiten. Also hier in Deutschland dürfen sie es glaube ich gar nicht so richtig und die im Ausland werden es vermutlich tun, leider bin ich aber nicht genau über den letzten Stand informiert.

König: Die Geruchsforschung, Herr Hatt, ist ja ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet. Warum eigentlich? Warum hat die Wissenschaft den Riechsinn so lange so stiefmütterlich behandelt?

Hatt: Ich glaube, das hat viele Gründe. Der Hauptgrund ist natürlich, dass Riechen ein relativ komplexes Sinnessystem ist. Die Nase selber ist schlecht zugänglich, die Erforschung der Methoden, um diese Reaktion der Riechzellen zu testen, ist sehr kompliziert geworden. Und das alles zusammen hat natürlich die Sache nicht erleichtert. Und zusätzlich, der Mensch hat ja immer so das Gefühl, er hat mit dem Riechen nicht so viel am Hut, das ist so etwas, was diese Tiere machen, die da mit der Nase unten am Boden rumkrabbeln, und wir selber tragen ja die Nase hoch sozusagen und interessieren uns eher für das Sehen und Hören und denken, das sind die kognitiven Eigenschaften. Also alles das zusammen hat eigentlich dazu beigetragen, dass sich niemand so richtig dafür interessiert hat.

König: Können Sie mir mal erklären, wie der Geruchssinn funktioniert?

Hatt: Also wir sind ja von einer Welt von Düften umgeben in der Atemluft, die wir nicht sehen, aber es sind, wie Staubkörner schwirren die hier rum und wenn ich die Luft einatme, transportiere ich damit auch die Moleküle in meine Nase, in die oberste Etage. Dort warten Riechzellen, die nun mit diesen Molekülen Kontakt aufnehmen. Und zwar interessanterweise haben wir 350 Typen von solchen Zellen in der Nase, jeder einzelne Typ kann einen bestimmten Duft erkennen. Die eine kann nur Vanille riechen, die andere nur Moschus und so weiter, von jedem Zelltyp natürlich ganz viele. Also das heißt, jedes Duftmolekül, das ich einatme, Vanillemolekül, sucht nun die Vanillezelle, macht mit ihr Kontakt und induziert dort, löst dort einen Strom aus, einen richtig messbaren, elektrischen Strom, man kann ihn in Ampere messen. Und dieser Strom fließt über die Nervenfasern, durch den Schädelknochen hindurch werden die Nervenleitungen, sind die gelegt, in das Riechhirn und informiert das Gehirn, die Vanillezelle ist erregt worden. Das löst dann einen Vanilleduft aus.

König: Kann man Riechen trainieren?

Hatt: Man muss es trainieren, sonst kann man es nicht gut. Man muss trainieren und üben wie mit allem im Leben und je mehr man übt und trainiert, umso besser kann man riechen.

König: Sie machen das auch?

Hatt: Ich mache das auch, ich selber habe keine besonders gute Nase, ganz mittelmäßig, aber ich benutze die Nase bewusst ständig, wenn ich in einen Raum gehe, dann schaue ich mich nicht nur um, sondern ich rieche mich um, wenn ich irgendwo im Zug sitze, an einem Gangplatz oder im Flieger, dann schaue ich die Menschen nicht nur an, sondern ich rieche sie auch an. Und jeder sollte das mal ausprobieren, ist fantastisch, was man da für neue Informationen kriegt über Mensch, Natur und auch Räume oder über auch Gegenstände, wo man vielleicht kaufen will, dass der Duft, den dieser Gegenstand abgibt, vielleicht ein ganz wichtiger Entscheidungsmerkmal ist, das uns dann bewegt, dieses Produkt zu nehmen und nicht ein anderes.

König: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit dem Geruchsforscher Professor Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum, er wird heute mit dem Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet. Kann man sich eigentlich vor Gerüchen schützen?

Hatt: Nicht einfach, weil man kann natürlich die Augen und die Ohren zuhalten, die Nase kann man nur sehr bedingt zumachen, denn man muss ja mal atmen, und solange wir atmen, riechen wir auch, ist so ein alter Satz. Und deswegen tut man sich da natürlich etwas schwer, ja.

König: Gerüche wirken ja intensiv auf unser Fühlen und Denken ein, Gerüche wecken Erinnerungen, machen Appetit, können vielleicht, weiß nicht, uns auch die Angst nehmen. Warum ist das so, was genau passiert da im Gehirn?

Hatt: Also wir wissen, dass die Riechzellen in der Nase, diese Nervenfortsätze, die sie ins Gehirn schicken, die werden zuerst in diesem Riechhirn verarbeitet und von dort gibt es dann einen einzigen direkten Draht zu den Zentren im Gehirn, die für Emotionen, Stimmungen, Gefühle, aber auch für Erinnerungen zuständig sind. Hippocampus heißt das, Erinnerungszentrum, limbisches System, das alles, was mit den Emotionen zu tun hat. Und dorthin werden diese Informationen der Düfte – 24 Stunden am Tag, die Nase schläft nie, sie riecht auch die ganze Nacht, während wir schlafen zum Beispiel –, sendet sie diese elektrischen Ströme in das Gehirn in diese Zentren der Emotionen, der Erinnerungen, und dort wird auch diese Information abgespeichert, obwohl wir es gar nicht bemerken. Und das ermöglicht uns natürlich auch, mit Düften diese Erinnerung, diese Bilder wieder hervorzurufen, die wir zusammen mit den Düften wahrgenommen haben. Und wenn das 30 Jahre her ist, dann kann ich mit einem Duft, wie wenn ich einen, ja einen Lichtschalter anknipse, sofort wieder das Bild hervorrufen, mit dem ich den Duft vor 30 Jahren in einem Klassenzimmer verbunden habe oder meine Freundin damals oder das Bohnerwachs in der Schule.

König: Apropos Freundin: Sogar vor dem falschen Partner soll uns die Nase schützen können, habe ich gelesen. Stimmt das?

Hatt: Ja, das haben Kollegen von mir vor einigen Jahren schon herausgefunden, dass wir Menschen eben Entscheidungen nicht nur darüber treffen, wie jemand aussieht, ob ich ihn als Partner, Sexualpartner vor allem haben will, sondern dass auch sein Geruch eine wichtige Rolle spielt. Nämlich jeder Mensch hat einen eigenen individuellen Körpergeruch, der von seinem Genom erzeugt wird. Und da jeder Mensch natürlich ein anderes Genom hat, hat jeder Mensch auch einen anderen Geruch. Und Hunde können jeden Menschen dieser Welt an seinem Duft unterscheiden. Und wir – Frauen vor allem, Menschen, Frauen – benutzen auch diesen Duft des Mannes, diesen unterschiedlichen Duft, um Informationen über seine Gene zu erhalten interessanterweise. Das heißt also, wenn Frauen einen Mann riechen, dann können sie damit auch riechen, ist der genetisch zu ihnen selber ähnlich oder unähnlich. Und je unähnlicher er ist, je unterschiedlicher die Gene dieses Mannes sind und damit auch sein Geruch, umso besser, umso attraktiver ist er für die Frauen als Sexualpartner. Denn die Natur möchte natürlich immer zwei Menschen zusammenbringen, die möglichst neue Geninformationen zusammenbauen, Inzucht ist immer schlecht für die Natur.

König: Das heißt, fremdriechende Männer wirken auf Frauen attraktiv, und daraus weiter gefolgert müsste man dann auch herleiten können, dass Paare sich, weiß nicht, vielleicht häufiger scheiden lassen, wenn sie einander sehr ähnlich sind nasentechnisch gesehen.

Hatt: Genau, das ist das, was der Schweizer Wissenschaftler untersucht hat, das heißt also Scheidungsehen haben interessanterweise einen erhöhten ähnlichen Duft zwischen den Partnern als Glücksehen, die 30 Jahre zusammengelebt haben.

König: Sie haben das schon vorhin angesprochen: Die Marketingstrategen, die haben natürlich längst die Macht der Düfte erkannt. Reisebüros, habe ich gehört, sollen Sonnencremearomen verströmen in ihren Büros, um den Kunden in Urlaubsstimmung zu versetzen. Oder anderes Beispiel, selber erlebt: In Autobahnraststätten, da merkt man manchmal so bei den Toiletten schon einen Kaffeeduft, der da eigentlich gar nicht entstehen kann, weil die Cafeteria weit weg ist. Mit solchen Maßnahmen sollen bis zu sechs Prozent Umsatzsteigerung und eine um bis zu 16 Prozent höhere Verweildauer des Kunden im Geschäft erreicht worden sein. Was halten Sie davon?

Hatt: Ja, das sind Studien auch von einer Kollegin, die das sehr intensiv einmal im Rahmen ihrer, glaube ich, Habilitationsschrift untersucht hat, und ich denke das kann alles sehr gut genau so sein, wie sie es darstellt, denn Düfte sind natürlich verführerisch in jeder Hinsicht für uns. Also wir werden auf Düfte geprägt, wenn Sie zum Beispiel in der Kindheit mit einem bestimmten Duft aufwachsen, dann ist das eben Ihr Heimat-, Ihr Lieblingsduft. Und wenn ein Gegenstand oder eine Person später diesen Duft trägt oder Sie diesen Duft wiedererkennen, dann ist das automatisch für Sie ein sympathischer Duft und damit auch, vielleicht auch eine Entscheidung, etwas zu kaufen, weil das eben nach diesem Heimatduft riecht, wenn man das Beispiel nimmt. Also ich glaube, die Macht der Düfte im Marketing ist sehr, sehr hoch und ist natürlich bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.

König: Der Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, er geht in diesem Jahr an Hanns Hatt, Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum. Herr Hatt, vielen Dank für das Gespräch und herzlichen Glückwunsch!

Hatt: Danke schön!
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