Gerhard Stadelmaier: "Deutschlandglotzen"

Großkritiker drischt aufs Fernsehprogramm ein

04:18 Minuten
Illustration: Ein Mann sitzt alleine vor dem Fernseher auf dem Sofa und schaut auf eine Tabelle.
Verachtung und Bösartigkeiten - diesmal zum Fernsehen: Der Ton von Theaterkritiker Gerhard Stadelmeier entspricht dem aus seiner Arbeit bei der "FAZ". © Getty Images / fStop Images / Malte Müller
Von André Mumot · 14.11.2020
Audio herunterladen
Ex-"FAZ"-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier hat sich im Pandemie-Frühjahr vor den Fernseher gesetzt. In seinem Buch "Deutschlandglotzen“ arbeitet er sich ab an Corona-Berichterstattung, Talk-Shows, Werbung. Eine hervorragende Warnung.
Wieder sind die Theater zu. Zu Hause bleiben sollen wir. Und nun? Gerhard Stadelmaier hat im Pandemie-Frühjahr etwas getan, was für ihn offenbar nichts Selbstverständliches ist. Er hat sich vor den Fernseher gesetzt und hat versucht zu begreifen, was er dort zu sehen bekommt: "Welche Figuren, welche Masken treten da auf?", fragt er. "Was für Stücke werden aufgeführt?" Um diesen aus der Lockdown-Langeweile hervorgegangenen Fragen nachzugehen, müsse er, "den Theaterkritiker in sich wecken." Das klingt wie eine Drohung und ist auch eine.
Der Feuilleton-Veteran ist zurück. Und mit ihm dieser seit 2015 nicht mehr in der "FAZ" zu lesende Ton der angesäuerten Verachtungsgefühle und spitzzüngigen Bösartigkeiten – diesmal gerichtet auf ein Medium, das immer noch von einem Großteil der Bevölkerung analog genutzt wird. Nur die jüngeren Leute, die 14- bis 29-Jährigen greifen schwerpunktmäßig für Information und Unterhaltung auf andere Quellen zurück, aufs Internet, oder wie Stadelmaier es nennt: "Die asoziale, von kapitalistischster Datenausbeutung bestimmte Massenmedienkrake."
Porträt des Autoren Gerhard Stadelmaier. 
Er findet keinen Moment kurzer Beglückung im ach so profanen Fernsehprogramm: Gerhard Stadelmaier.© picture alliance/dpa/Susannah Vergau
Wer nun aber glaubt, der unruheständlerische Großkritiker wolle in "Deutschlandglotzen" rührend altmodische Sendeformate hochleben lassen, kennt ihn schlecht. Zumal er sich auf die öffentlich-rechtlichen Sender beschränkt und wenig Gelegenheit auslässt, gegen die "Zwangsabgabe" der Rundfunkgebühr zu wettern.

Theaterliteratur hineingewebt

Der erste Teil des Bandes widmet sich vor allem der Corona-Berichterstattung, ist beinahe so etwas wie ein Pandemietagebuch, das sich an Politiker- und Virologenaussagen entlanghagelt, an Ohnmachtsgefühlen und Wut auf alles und jeden.
Trost bietet tatsächlich nur die alte Theaterliteratur, die Stadelmaier mit Verve in seine Texte hineinwebt. Tschechows Ärzte treten in Kontakt mit Professor Drosten und seinen Kollegen, Macbeth und Merkel finden zueinander, und Außenminister Heiko Maaß, zu Gast bei Anne Will, könnte "in jeder Molière-Komödie den Sohn des Hauses spielen, der die Braut, die er gern hätte, erst kriegt, nachdem sie ihm vom Hausherrn zuerst (…) untersagt wurde."

Weitschweifige Abneigungsprotokolle

Überhaupt die Talk-Shows. In ihrer Analyse läuft Stadelmaier zu großer geistreicher Form auf, stellt klar, dass es sich weniger um Gesprächsformate handelt als um ein "durchlaufendes Verkündigunsgritual" vorgefasster Haltungen. Mit hemmungsloser Leidenschaft schmäht er die Gastgeber: Frank Plasberg ist für ihn "ein zur kleinbürgerlichen Oberlehrkraft heruntergekommener Königsdarsteller", Anne Will "eine der tonangebenden Gouvernanten-Primadonnen des Ersten Deutschen Fernsehens."
An Krimiserien wie den "Rosenheim-Cops" arbeitet er sich ebenso ab wie an den "Roten Rosen", an Werbung für Inkontinenzmedikamente und den gängigen Satiresendungen. Es sind weitschweifige, gewohnt kunstvoll überformulierte Abneigungsprotokolle, in die sich natürlich auch noch kleine Tiraden gegen geschlechtergerechte Sprache mischen.

Traurige Überlegenheitsvorführerei

Keine Freude, nirgends. Kein Moment kurzer Beglückung im ach so profanen Fernsehprogramm, kein Verständnis für ein Publikum auf der Suche nach Ablenkung und politischer Orientierung. Die Methode Stadelmaier ist in "Deutschlandglotzen" immer noch dieselbe: eine traurige, unversöhnliche Überlegenheitsvorführerei, ausgestellter Gegenwartszorn, virtuos und hoffnungslos.
Als Warnung eignet sich das Buch in den aktuellen Lockdown-Zeiten gleichwohl hervorragend: Nicht bitter werden, lautet die Devise, und schon gar nicht vorm Fernseher.

Gerhard Stadelmaier, Anne Hamilton (Hrsg.): "Deutschlandglotzen. Ganze Tage vor dem Fernseher"
zu Klampen Verlag, Springe 2020
200 Seiten, 20 Euro

Mehr zum Thema