Gerechtigkeit im Theater

Von Thomas Franke · 01.03.2013
In den letzten zehn Jahren wurden in drei Moskauer Prozessen russische Künstler verurteilt: "Achtung Religion", "Verbotene Kunst" und im letzten Jahr die Verhandlung gegen die Aktionskünstlerinnen von Pussy Riot. In der russischen Hauptstadt werden diese Prozesse vom Schweizer Milo Rau nachgestellt.
Der Saal des Sacharov Zentrums in Moskau. Ein historischer Ort, hier fand 2003 die Ausstellung "Achtung Religion" statt. Vier Tage nach der Eröffnung wurde sie von militanten Christen gestürmt, Ausstellungsstücke wurden beschädigt. Das russische Parlament forderte, gegen die Macher vorzugehen, ein Abgeordneter, der daraufhin von der Geburt eines totalitären Staates unter der Führung der orthodoxen Kirche sprach, wurde kurz darauf ermordet.

Heute Abend war der Saal angeordnet wie ein Gerichtssaal. Ein Tisch für die Richter, die Geschworenenbank, Verteidiger und Kläger. Die sind echt. Keine Schauspieler. Eine der Verteidigerinnen ist die Juristin Anita Soboleva:

"Ich habe als Anwältin an den echten Prozessen ´Achtung Religion` und ´Verbotene Kunst` teilgenommen. Dort haben wir nicht beweisen können, dass wir recht haben. Denn das waren politische Prozesse, bei denen bereits vorher feststand, dass die Angeklagten verurteilt werden. Obwohl der Richter auf unserer Seite war, musste er doch die Position der Anklage einnehmen. Hier nun haben wir die Möglichkeit, unabhängigen Richtern unsere Position zu beweisen und einen Freispruch zu erreichen. Zumindest hoffen wir das."

Der Vertreter der Anklage ist nicht weniger profiliert. Maxim Shevchenko. Er ist eines der publizistischen Sturmgeschütze der Konservativen:

"In Russland wir haben keine Möglichkeit, zusammen diese Probleme zu besprechen. Wir haben zwei Parteien, zwei Gruppen, von Gläubigern und von sogenannten Künstlern. Aber für mich ist diese Leute diese Aktionisten sind keine Künstler, für mich. Und in diesem Prozess ich hoffe, dass wir können einen Diskurs besprechen. Und diese Problemen in viele viele Nuancen zu verstehen. Vielleicht."

Eingerichtet und erdacht wurde das dreitägige Gerichtsspektakel vom Shootingstar des deutschsprachigen Dokumentartheaters, Milo Rau:

"Da werden Kräfte zusammengeführt, die eigentlich gar nicht zusammenführbar sind, in einem anderen Rahmen. Und mir ist das klar geworden, als ich das heute gesehen hab. Ich bin immer froh, wenn die Situation nicht explodiert. Ich bin froh, wenn niemand von der Bühne rennt, eigentlich."

Beide Seiten zeigten heute den Geschworenen Bilder: Die Verteidigung Bilder von zerstörten Kunstwerken. Die Ankläger Fotos von den Exponaten der Ausstellungen. Sie seien beleidigend für Gläubige, pornografisch und benutzten Fäkalsprache. Und auch ein Foto der Performance von Pussy Riot in der Kirche fehlte nicht. An dieser Stelle wurde eines sehr deutlich. Shevchenko, der sonst nicht auf den Mund gefallen ist, sagte:

"Er sei bereit, über die ersten beiden Prozesse zu reden, jedoch nicht über Pussy Riot. Er könne diesen Namen nicht in den Mund nehmen, weil es unaussprechlich sei. Das sei keine Kunst, das sei reines Rowdytum gewesen."

Dann holte er richtig aus:

"Diese sogenannten Künstler sind die Avantgarde eines liberalen totalitären Staates, den ich als liberalen faschistischen Staat bezeichne, der versucht, in unser Land vor zu dringen."'"

Der erste Tag wird beschlossen mit den Ansichten zweier Künstler. Interessant ist nicht die Position der freigelassenen Pussy Riot Aktivistin Katja Samuzevich. Interessant ist ihr konservativer Gegenpart, immerhin Gewinner des Kandinski Preises 2007. Er spricht von Künstlern als Sekte, gesteuert vom State Department der USA. Das könne man nicht von – so wörtlich – liberalem Faschismus trennen.
Erschreckender weise ist er nicht der einzige, der das glaubt. Leider nimmt die russische Gesellschaft von Milo Raus dreitägigem Spektakel fast keine Notiz. Milo Rau auf die Frage, welche Wirkung er sich in der russischen Gesellschaft erhoffe:

""Schwierig zu sagen, das ist natürlich äh ... eine Wirkung in dieser Gesellschaft … das kann ich jetzt auf Anhieb, tut mir leid, dass kann ich jetzt nicht sagen."
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