Gerd Kroske über seinen Dokumentarfilm "SPK Komplex"

Vom Patientenkollektiv zur kriminellen Vereinigung

Der Berliner Rudi Mährländer, hier mit einem Foto von sich selbst, gehörte dem "Sozialistischen Patientenkollektiv" an - Filmstill aus "SPK Komplex"
Der Berliner Rudi Mährländer, hier mit einem Foto von sich selbst, gehörte dem "Sozialistischen Patientenkollektiv" an - Filmstill aus "SPK Komplex" © Salzgeber & Co. Medien GmbH
Gerd Kroske im Gespräch mit Susanne Burg · 14.04.2018
Ein neuer Dokumentarfilm über das Sozialistischen Patientenkollektivs beleuchtet das gesellschaftlichen Klima im deutschen Vorherbst. Der Regisseur sieht die Radikalisierung des Kollektivs als Vorwegnahme der RAF und des Stammheim-Prozesses.
Susanne Burg: "SPK Komplex", so heißt ein neuer Dokumentarfilm, der sich mit einem brisanten Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzt: mit den Folgen des Jahres 1968, mit dem gesellschaftlichen Klima im deutschen Vorherbst. Regisseur Gerd Kroske tut das, indem er die Entstehung und Entwicklung des SPK beleuchtet – des Sozialistischen Patientenkollektivs. Gegründet 1970 durch 52 Psychiatriepatienten unter der Leitung von Wolfgang Huber, Assistenzarzt an der Poliklinik Heidelberg. Kroske interviewt unter anderem Zeitzeugen und benutzt auch Tonaufnahmen von Wolfgang Huber aus der Zeit.
O-Ton Wolfgang Huber: Über meine Person ist Ihnen alles Wissenswerte aus der Presse bekannt.
O-Ton Publikum: Nein!
O-Ton Huber: Nein? Umso besser. Sachlich unqualifiziert, Verhalten unärztlich. Mein Verhalten ist eines Arztes unwürdig.
Burg: Soweit Wolfgang Huber, zu hören im Film "SPK-Komplex". Ich freue mich, dass der Regisseur des Films im Studio ist. Willkommen Gerd Kroske!
Gerd Kroske: Guten Tag!
Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske zu Besuch beim Deutschlandfunk Kultur
Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske zu Besuch beim Deutschlandfunk Kultur© Deutschlandradio/Maurice Wojach
Burg: Sie haben mehrere Filme über die DDR und die Wende gedreht, unter anderem "Leipzig im Herbst", ihr Film "Striche ziehen" erzählt dann von einer Kunstaktion, die fünf Freunde aus Weimar 1986 in Westberlin durchführten. Was hat Sie jetzt an diesem Kapitel bundesdeutscher Geschichte, westdeutscher Geschichte interessiert, dem SPK?
Kroske: Ich habe ja zu bundesdeutschen Milieus schon mehrere Filme gemacht, nämlich drei. Das ist eine Hamburg-Trilogie geworden über einen Boxer, über einen Puff-Besitzer und einen Maler und Radiokabarettisten. Im Zusammenhang dieses letzten Films über Heino Jaeger, "Look before you kuck" heißt der, im Jahr 2012, hatte ich einen Protagonisten, der schon verstorben war, aber Anfang der 60er-Jahre bis Ende der 90er-Jahre mehrere Psychiatrie-Episoden hatte.
Und in dem Zusammenhang habe ich mich mit Psychiatriegeschichte beschäftigen müssen – also westdeutscher spezieller – und mitgekriegt, dass natürlich dieser Protagonist Heino Jaeger damals in dem Film drei sehr verschiedene Epochen von deutscher Psychiatrie erlebt hat. Anfang der 60er-Jahre war es ein völlig anderer Zustand als Ende der 90er. Und in diesen Recherchen damals ist mir das erste Mal das SPK aufgefallen. Das habe ich mal zur Seite gelegt, und dann sammelte sich da über einen längeren Zeitraum immer mehr Material an, und dann war da irgendwann der Punkt, wo ich dachte, da muss ich jetzt weiter gucken.
Burg: Also so ein paar Eckdaten hatte ich ja eben schon gegeben, aber wir sollten vielleicht das Sozialistische Patientenkollektiv noch mal in der Zeit verorten. Das SPK kritisierte ja unter anderem die damalige Verwahrpsychiatrie. Wo stand denn die Psychiatrie 1970 und was waren die Forderungen des SPK?
Kroske: Eine ganz klare Forderung war eine Auseinandersetzung mit der Nazi-Ära der deutschen Psychiatrie. Man muss dazu sagen, dass an dieser Klinik ja bis Ende der 80er-Jahre noch Pfleger aus der Nazizeit in der Psychiatrie beschäftigt waren.
Burg: Genau, in Heidelberg dann.
Kroske: Das war in Heidelberg. Das war natürlich ein Riesenthema, und das SPK waren einfach die ersten, die das überhaupt aufgriffen nach dieser Verwicklungsgeschichte. Heidelberg selber ist ja eine Universitätsstadt, auch zu der Zeit längst gewesen, mit, glaube ich, 12.000 Studenten, und es gab überhaupt keine psychologischen Beratungsstellen für Studenten.
Einer, der das mit abfing, war Wolfgang Huber. Und die haben da angefangen, Studenten psychologisch zu betreuen. Dann haben sie angefangen, einfach weil es auch so viele wurden, gruppentherapeutisch zu arbeiten und eine klare Abgrenzung auch zu dem, was sonst in der Verwahrpsychiatrie üblich war, dass die Leute hospitalisiert wurden und dort ein Leben lang eigentlich verbrachten.

SPK bezog erstmals gesellschaftliche Ursachen von Krankheit mit ein

Burg: Das Sozialistische Patientenkollektiv, es gab ja da eine Radikalisierung und in der bundesdeutschen Rezeption, später wurde es gerne so als eine Geschichte dieser Kriminalisierung, des Scheiterns eigentlich gesehen. Bevor wir das etwas differenzierter beleuchten – worin bestehen denn die Leistungen des SPK? Welche Forderungen von damals werden vielleicht auch heute noch in der Psychiatrie praktiziert?
Kroske: Das, was damals als Forderung so radikal klang, also dass man sich nicht nur mit einer Krankheit im medizinischen Sinne beschäftigt, sondern da auch gesellschaftliche Ursachen mit heranzieht, das ist ja heute eigentlich üblich. Bei jeder Burn-out-Studie ist natürlich klar, welche gesellschaftlichen Zusammenhänge mit reinspielen. Damals war es eben nicht so, das war ein völlig neuer Ansatz. Dazu muss man wissen, dass es natürlich weltweit so eine Bewegung gab, es gab Basaglia in Italien oder R.D. Laing in England, der Wohnprojektgruppen betreuter, oder Cooper in Amerika, der auch gruppentherapeutisch arbeitete.
Foucault muss man in dem Zusammenhang nennen, der mit Wahnsinn und Gesellschaft so ein Schlüsselwerk eigentlich geschrieben hat, und diesen Moment beschreibt, wann eine Differenz aufgemacht wird zwischen Kranken und Kriminellen – das sind alles so Themen die da miteinspielen und die so geistige Urheber des Ganzen sind. Und diese Radikalisierung ist natürlich, dass von Anfang an da auch ein politischer Ansatz dahinter war, also dem Zeitgeist entsprechend sich natürlich auch politisch zu betätigen. Da war in Heidelberg speziell so ein Vakuum entstanden, weil der SDS dort verboten war nach so einer Demonstration gegen McNamara, und es gab eigentlich dann bloß noch den Kommunistischen Bund Westdeutschland mit seinen A- und B-Gruppen oder das SPK in Heidelberg als so einen linker Zufluchtsort. Das spielt da mit rein, dass natürlich dann sehr viele politisierte Studenten auch ins SPK strömten und so.

Kritisches Infragestellen der Interpretationen

Burg: Dann gab es ja auch die Auseinandersetzung mit der Uni Heidelberg und mit der baden-württembergischen Landesregierung. Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Interpretationen darüber wie kriminell diese Vereinigung des SPK wurde, wie stark die Verbindungen dann zur RAF waren. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen, sich da mit einer Machete erst mal durch diesen Wust an Interpretationen und Materialien zu arbeiten.
Kroske: Erst mal durch so eine kritische Infragestellung. Das was ja bekannt ist, oder oft kolportiert wird, ist ja das, was Stefan Aust geschrieben hat in seinem Baader-Meinhof-Komplex. Da gibt es ein Kapitel, das ist überschrieben mit der Überschrift "Irre ans Gewehr". Das ist eigentlich eine Überschrift aus der "Bild"-Zeitung, wenn man das weiter recherchiert. Und dann gibt es so Darstellungen von Wolfgang Kraushaar, die sich aber eigentlich auf Zeugenaussagen eines Kronzeugen des BKA, Gerd Müller, stützen. Also das sind alles nicht so die richtigen Quellen für mich.
Dann war ich sehr viel in Archiven, und dann findet man natürlich sehr schnell auch Zusammenhänge, so aus den verschiedenen Regierungsbezirken, und je nachdem wie das in Archiven verwahrt wird: Was sehr schnell deutlich wird, also mir klar war, dass es sich dabei eben nicht wie oft beschrieben um so einen universitären Konflikt handelt, sondern dass das schon einen klaren politischen Ansatz gibt, aber auch auf der Gegenseite zu der Zeit. Ich habe Dokumente gefunden, die aus dem Innenministerium stammen zu einem Zeitpunkt, wo man von einer Radikalisierung des SPK noch gar nicht sprechen kann, wo aber schon völlig klar schriftlich niedergelegt ist, dass man das nicht wünscht, und dass man das zerschlagen will – und erst mal von der medizinischen Seite anfängt, wie kann man dem Huber irgendwie die Approbation streitig machen oder aberkennen und welche Gründe müssen dafür vorliegen – das ist irgendwie sehr früh angelegt. Das spitzt sich natürlich dann entsprechend zu, weil die sich natürlich auch zur Wehr setzen.
!Burg:!! Sie setzen sich zur Wehr, sagen Sie. Wie würden Sie denn die Radikalisierung des SPK beschreiben?
Kroske: Das, was mit der RAF passiert, ist eigentlich nie so richtig nachweisbar. Das was sich belegen lässt ist, dass es da natürlich, wie ein Protagonist das auch nennt, Überschneidungen gab und sicherlich auch Hilfestellungen. Das war nicht so verwunderlich, weil das irgendwie zwei Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung damals mit auch gemacht hätten, also es gab eine Allensbach-Umfrage Anfang der 70er-Jahre, und da hätte die Mehrzahl der jungen Leute RAF-Leute unterstützt, logistisch, oder durch einen Ausweis, oder, oder, oder. So richtige Tatbeteiligung, und so weiter, ist ja auch strafrelevant nie nachgewiesen worden.
Natürlich gab es eine Schießerei in Wiesenbach, die hat sich nie aufgelöst – die wurde in Verbindung mit der RAF gesehen und als so eine Art Rekrutierungspfad beschrieben. Man kriegt da nie so richtig die Wahrheit raus. Dass was aber dokumentiert ist, das sind Briefe von Gudrun Ensslin, wo sie ziemlich scharf mit dem SPK abrechnet. Also die werden eigentlich von denen als Kleinbürger gesehen, die die Welt aus ihrer psychiatrischen Sicht viel zu klein angehen. Und das, was Zeitzeugen beschreiben, die da involviert waren, die sagen, es gab da natürlich immer eine gewisse Nähe, aber keine wirklich praktisch relevante. Dafür ist das ganze Projekt – das SPK gab es 18 Monate – und fast zeitgleich ist ja auch die erste Generation der RAF verhaftet gewesen.

Schlechtes Gewissen bei den Alt-Ordinarien

Burg: Wie schwierig war es eigentlich, diese Zeitzeugen zum Sprechen zu bewegen. Sie interviewen ja auch verurteilte RAF-Mitglieder wie Carmen Roll oder Karl-Heinz Dellwo?
Kroske: Da war sehr schwierig, aber unterschiedlich. Der Punkt ist ja der bei solchen Recherchen, es findet sich ja nicht so ein Kompendium, wo alle versammelt sind, oder ein Telefonbuch, wo man irgendwie dann nachschlagen kann, sondern man muss das irgendwie sehr geschickt einfädeln. Im Falle von Karl-Heinz Dellwo war nicht ganz so schwierig, weil er aber auch zu denen zählt, die sich aus der Generation der RAF sich überhaupt öffentlich äußern – es gibt ja auch sehr viele, die sich gar nicht äußern, prinzipiell nicht, auch mir gegenüber nicht.
Am schwierigsten hatte ich es eigentlich mit den Alt-Ordinarien der Heidelberger Universität, ich habe da mit zwei Medizinern gesprochen, die da in diesem Konflikt sehr maßgeblich involviert waren, aber auf der Gegenseite. Die haben sich völlig blödsinnig so rausgeschummelt, also eine wirklich anerkannte Psychiatriegröße Deutschlands, heute 92 Jahre alt, der hat dann erklärt, seine Frau hätte ihm geraten, nicht vor eine Kamera zu gehen, er sei dafür schon zu alt. Der Mann geht aber noch dreimal die Woche in Mannheim in seiner Klinik arbeiten. Ich habe mit dem auch ein Gespräch geführt, anderthalb Stunden, der hatte ein brillantes Erinnerungsvermögen, das hätte ich gern in manchen Punkten. Und ein anderer Klinikdirektor, der hat sich dann genau so, so ähnlich. Also die haben natürlich auch ein schlechtes Gewissen, weil sie wissen, was sie da angerichtet haben, und das halte ich Ihnen mal zugute.
Burg: Sie haben auch Gudrun Ensslin erwähnt, wenn es jetzt so um das Klima im deutschen Vorherbst geht, welches neue Licht wirft denn Ihrer Meinung nach die Auseinandersetzung mit dem SPK in diesem Zusammenhang?
Kroske: Das, was man erkennen kann, ist natürlich so eine, fast Vorwegnahme, also auch der Stammheim-Prozess. Obwohl die Strategie im SPK-Prozess eine andere war, weil die Stammheimer haben ja nicht sich total verweigert, sondern durchaus sehr weit ausufernde Statements abgeliefert – das hat ja Huber und seine Frau überhaupt nicht gemacht. Da sind wir wieder am Anfang der Geschichte, dass das schon, und da sehe ich das auch als einen politischen Vorgang und nicht mehr nur als so eine medizingeschichtliche Posse aus Heidelberg an der Uni, sondern schon in größeren Dimensionen.
Burg: Auf jeden Fall ein sehr interessanter Blick in die frühen 70er-Jahre der Bundesrepublik. "SPK-Komplex", so heißt der neue Film von Gerd Kroske. Donnerstag ist er im Kino zu sehen, vielen Dank für Ihren Besuch im Studio!
Kroske Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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