Gerald Hüther über Instagram für Kinder

Ein schönes Geschäft für Mark Zuckerberg

11:33 Minuten
Macha Meril aus dem Film "A Married Woman" von Jean-Luc Godard, 1964.
Wenn man Kindern wirklich helfen wolle, sollte man vielmehr Gelegenheiten schaffen, bei denen sie anerkannt würden, sagt Gerald Hüther. © imago / Mary Evans Archive
Moderation: Julius Stucke · 16.04.2021
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Facebook denkt über eine Instagramversion für Kinder nach. Neurobiologe Gerald Hüther sieht das kritisch: Soziale Medien würden von ungestillten Bedürfnissen profitieren. Mediencoach Iren Schulz ist skeptisch, ob das Netzwerk für Kinder geeignet ist.
Das soziale Netzwerk Instagram gehört zu Facebook. Dessen Unternehmenschef Chef Mark Zuckerberg denkt über eine Instagramversion speziell für Kinder nach. Die einen finden diese Idee ganz gruselig. Kinderschützerinnen und -schützer haben einen offenen Brief geschrieben und sagen: "Der unerbittliche Fokus der Plattform auf das Aussehen, die Selbstdarstellung und die Vermarktung stellt eine Herausforderung für die Privatsphäre und das Wohlbefinden von Jugendlichen dar."
Andere sehen vielleicht auch Vorteile: besser so als unkontrolliert. Iren Schulz berät als Mediencoach Familien zur Mediennutzung. Neurobiologe Gerald Hüther sieht soziale Medien sehr kritisch. Wir haben mit beiden darüber diskutiert, ob es eine gute Idee ist, Kinder gezielt an soziale Netzwerke und digitale Alltagstools heranzuführen, bei denen sie irgendwann vermutlich sowieso landen würden.


Kinder seien gerne mit Gleichaltrigen zusammen, würden sich gerne vernetzen und auch gerne Medien nutzen, um ihre entwicklungsspezifischen Fragen zu Themen wie Freundschaft und Streiten zu beantworten, sagt Iren Schulz. Von daher sei solch eine Idee nachzuvollziehen und es sei auch nicht überraschend, dass die Kinder selbst diese Medien für sich entdecken würden.
Wenn man sich die Angebote aber genau anschaue, seien sie "nicht für Kinder geeignet", sagt Schulz. Bei Jugendlichen könne man sicher noch einmal anders darüber argumentieren, aber bezogen auf Kinder könne man festhalten: Sowohl die Inhalte, denen Kindern auf Instagram begegnen würden, als auch in puncto Sicherheit und Datenschutz sei die Plattform "optimierbar", so Schulz.
Allerdings führe es in einer Gesellschaft, in der Medien in jedem Alltagsbereich elementar verankert seien, wahrscheinlich eher in eine "Sackgasse", wenn man bestimmte Altersgruppen davon komplett ausschließen würden, so Schulz. Man könne doch vielmehr versuchen, gezielte und sichere Angebote für Kinder zu schaffen.

Bedürfnisbefriedigung mit digitalen Medien

Gerald Hüther wiederum sagt, er habe gar kein Problem mit digitalen Medien, aber ein Instagram für Kinder sei ein "schönes Geschäft" für Mark Zuckerberg. Digitale Medien seien zunächst auch nur Werkzeug wie ein "Rechenschieber oder Hammer und Meißel", das könnten auch Kinder nutzen.
"Das Problem ist, dass wahrscheinlich 90 Prozent dieser digitalen Medien für einen anderen Zweck genutzt werden, und der heißt Affektregulation. Und der ist insbesondere bei Kindern sehr stark ausgeprägt. Affektregulation heißt, ich habe Langeweile, ich habe ein Bedürfnis, ich möchte gern mal gesehen werden. Ich möchte mich selber darstellen."
All das seien Gefühle, die man wunderbar mithilfe digitaler Medien stillen und regulieren könnte, erklärt Hüther. Die Hersteller hätten das schon längst verstanden. Der Neurobiologe gibt weiter zu bedenken, dass ein digitales Gerät zum Stillen der Bedürfnisse nach Verbundenheit und Anerkennung ja auch nur genutzt werden würde, wenn man diese Bedürfnisse überhaupt erst habe.

Kinder haben keine Lobby

Wenn man Kindern also wirklich helfen wolle, sollte man vielmehr Gelegenheiten schaffen, in denen sie merken, dass sie anerkannt werden, dazugehören, sich um etwas kümmern dürfen und wichtig in dieser Gesellschaft sind.
"Das haben sie alles nicht. Sie werden von uns beschult, sie werden von uns beschäftigt, sie bekommen auch das Gefühl vermittelt, dass sie gar nicht gebraucht werden." Kinder hätten keine Lobby, sie würden in unserer Gesellschaft keine Möglichkeit erhalten, ihre Bedürfnisse zu stillen, und das sei das "Einfallstor" für die Hersteller digitaler Medien zur Affektregulation, sagt Hüther.
Wiederum sollten Kinder aber auch Langweile haben, weil durch Langeweile auch Kreativität entstehe, sagt Schulz. Und gerade in diesen Pandemiezeiten seien die Vernetzungsmöglichkeiten der digitalen Medien auch wichtig für den gemeinsamen Austausch. Sie hätten das Potenzial, Bedürfnisse zu stillen, die anders gerade nicht zu stillen seien. Nur seien eben auch Regeln und ein angemessener Rahmen dabei wichtig.
(jde)
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