Georges Aperghis erhält Ernst von Siemens Musikpreis

"Ich komponiere wie ein Maler"

08:28 Minuten
Georges Aperghis steht in einem begrünten Innenhof und lächelt — sein Blick geht an der Kamera vorbei.
Georges Aperghis in Paris, Oktober 2020 © Rui Camilo © EvS Musikstiftung
Georges Aperghis im Gespräch mit Mascha Drost · 16.06.2021
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Georges Aperghis kam als Autodidakt zur Musik. Lange Zeit schwankte er zwischen Malerei und Musik. Die Kunst beeinflusse ihn auch heute, erklärt der griechische Komponist. Er erhält in diesem Jahr den renommierten Ernst von Siemens Musikpreis.
"Musik ist der beste Weg, einen anderen Menschen zu verstehen", sagt der griechische Komponist Georges Aperghis. Er wird mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet. Was dieser Preis für ihn bedeutet und welchen Einfluss die Malerei auf sein Komponieren hat, hat er Mascha Drost verraten.
Mascha Drost: In jeder Biografie von Ihnen ist zu lesen, Sie hätten zwischen Malerei und Musik geschwankt. Warum spreche ich jetzt mit dem Komponisten Georges Aperghis und nicht mit dem Maler?
Georges Aperghis: Ich male auch jetzt. Ich komponiere wie ein Maler, glaube ich. Mit den Klängen, mit Farben, auch mit den Körpern der Schauspielerinnen und Schauspieler, wenn ich meine Musik inszeniere. Es ist für mich auch weiterhin eine Dopplung: Musik, also Klänge – und Bilder.
Drost: Sie haben sich der Musik zunächst als Autodidakt genähert. Wie war das, in einer Welt voller Spezialisten?
Aperghis: Als ich noch ganz jung war, in Athen, habe ich angefangen mit dem Klavier und mit Musiktheorie: Analyse, Fugentechnik, Kontrapunkt. Aber ich wollte keinem bestimmten Lehrer folgen. Ich habe lieber direkt mit Komponisten gesprochen, und ich hatte die großartige Gelegenheit, für einige Jahre in enger Verbindung mit Iannis Xenakis zu stehen. Er sagte mir, Du kannst nicht nur die Partituren von Bartok, Bach, Boulez oder Xenakis analysieren. Und so habe ich das alles ganz alleine, mit meinen eigenen Partituren, gelernt.

Paris war ein Schock

Drost: Und dann sind Sie als junger Mann nach Paris gezogen, welchen Einfluss hatte die Stadt und das musikalische Umfeld auf Ihre musikalische Entwicklung?
Aperghis: Es war ein Schock für mich. All diese Musik zu entdecken, die es in Griechenland nicht gab. Am Anfang war ich wirklich verloren, aber Stück für Stück habe ich dann meinen eigenen Weg gefunden.
Drost: War es vielleicht auch ein heilsamer Schock?
Aperghis: Es war sehr positiv. Jeden Tag habe ich neue Wege entdeckt, wie man Musik komponieren kann. Zwischen amerikanischen Komponisten, deutschen Komponisten, auch italienischen war es wie in einem Labyrinth. Ich habe damals auch meine Frau getroffen, die Schauspielerin war, und so habe ich auch Theater und Kino kennengelernt. Es waren zwei sehr verrückte Jahre.

Eine Melodie aus Silben

Drost: Einen großen Einfluss auf ihr Werk hat die Sprache, in einem Interview haben Sie einmal gesagt, Sie seien fasziniert von fremden Sprachen. Wann und wie wird bei Ihnen Sprache zu Musik?
Aperghis: Ich habe angefangen, nur mit Silben und Phonemen zu komponieren. Eine Melodie nur aus Silben zu komponieren. Die Bedeutung aus den Silben zu löschen und sie dann doch wieder in der Musik zuzulassen. Mit der Erinnerung des Publikums zu spielen. Das Publikum versteht immer etwas. Wenn auch nicht jeder dasselbe. Bevor das Gehirn arbeitet, hat man schon den Eindruck, etwas zu verstehen, hat man schon eine tiefe Empfindung. Wie ein Kind. Ich mag es, mit dieser Differenz zwischen Klang und Bedeutung zu arbeiten.

Ein Unübertroffener Meister im Geschichtenerzählen

Georges Aperghis charakterisiert Personen über die Musik. Mit ganz kleinen musikalischen Geschichten entfaltet Aperghis Charaktere, für die man mit Worten einen ganzen Roman bräuchte, erzählt Musikredakteur Rainer Pöllmann in der Sendung Fazit [AUDIO] .

Georges Aperghis in seiner Wohnung in Paris.
© Rui Camilo © EvS Musikstiftung
Drost: Ist Musik vielleicht sogar das bessere Mittel der Kommunikation?
Aperghis: Ich glaube schon. Sie wirkt unmittelbar. Ich war vor vielen Jahren mal auf Bali, um mit Gamelan-Instrumenten zu arbeiten. Und wir haben uns sofort verstanden. Ohne Worte, nur indem wir gemeinsam Musik gemacht haben. Danach hatten wir dann lange Diskussionen über Theologie und Theater. Aber ich glaube wirklich, Musik ist der beste Weg, einen anderen Menschen zu verstehen.

Über Musik nachdenken

Drost: Sie haben viele Jahre den direkten Kontakt zum Publikum gesucht, mit ihrem "Atelier Théâtre Et Musique". Warum war Ihnen das wichtig?
Aperghis: Es war eine Reaktion auf die Festivals und die Konzertveranstalter. Ich war jung, und ich hatte wenige Aufführungen. Ich habe mich also gefragt: Wer ist das Publikum? Ich wollte ein Publikum, das nicht vertraut ist mit Musik und Theater. Partituren und Texte zu lesen. Die Grundidee von "Atelier Théatre et Musique – ATÈM" war, rauszugehen zu den Leuten, dort zu arbeiten, aber dabei nicht alles zu erklären. Für mich war das sehr interessant, es war eine andere Art, Musik zu leben und über Musik nachzudenken.

"Ich fühle mich freier"

Drost: 2018 haben sie den Zyklus "Migrants" komponiert. Welche Rolle spielen Politik und Gesellschaft für Sie als Künstler?
Aperghis: Im Zentrum des Stücks steht ein Text von Joseph Conrad: "Im Herz der Finsternis". Ich wollte das Publikum bewegen. Ohne ihm zu sagen: Du musst das denken und jenes tun. Nur mit dem Text von Joseph Conrad. Ich appelliere an das Verantwortungsgefühl eines jeden Zuschauers. Und ich will sie bewegen, ohne weiteren Text und ohne Erklärungen.
Drost: Der Siemens Musikpreis ist einer der größten Musikpreise der Welt, einer der höchstdotierten. Was bedeutet es für Sie, diesen Preis zu erhalten?
Aperghis: Er gibt mir Stärke, weiterzumachen und Dinge zu wagen, die vielleicht verrückter sind als das, was ich bisher gemacht habe. Ich fühle mich freier - dank des Preises.

Der Ernst von Siemens Musikpreis ist einer der renommiertesten und höchstdotierten Musikpreise der Welt. In diesem Jahr wurde der Preis dem griechischen Komponisten Georges Aperghis verliehen. Die Vielfalt und Hintergründigkeit seiner Musik, sein progressiver Umgang mit Sprache werden genauso gewürdigt, wie seine grenzenlose Offenheit gegenüber Bereichen, in die die zeitgenössische Musik sonst kaum vorzudringen vermag, schreibt die Stiftung dazu als Begründung.

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