George Packer: "Die letzte beste Hoffnung"

Die USA sind nicht gespalten – sondern gevierteilt

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Das Cover des Buches "Die letzte beste Hoffnung" von George Packer auf pastelligem Hintergrund.
Essay über den Status quo: George Packer schreibt, was seiner Meinung nach in den USA alles schiefläuft. © Deutschlandradio / Rowohlt
Von Nana Brink · 21.08.2021
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Politisch und literarisch meisterhaft beschreibt George Packer den Niedergang der USA. Das Land sei nicht nur gespalten, sondern in vier Amerikas zersplittert. Der Ausweg, den Packer vorschlägt, ist enttäuschend – aber völlig richtig.
Es gibt wohl keinen besseren Zeitpunkt, um George Packers Buch über die Zukunft Amerikas in die Hand zu nehmen, als diesen August 2021. Mit dem schmählichen und überstürzten Abzug aus Afghanistan ist das Image der Großmacht USA an einem Tiefpunkt angelangt.
Die älteste Demokratie der Welt, Heimat von Microsoft, Apple und Amazon, gedemütigt durch eine Moped-Bande bärtiger Islamisten aus der Steinzeit. Und das Schlimmste: "Wir sind selbst schuld daran."

Das Schweigen als Symptom einer Niederlage

Wie es dazu kommen konnte, schildert Packer in seinem luziden und glänzend formulierten Essay schon schlaglichtartig zu Beginn. Während der Pandemie im Sommer letzten Jahres, in der seine Familie von New York aufs Land zieht, fährt er jeden Tag an einem Schild mit der Aufschrift "Trump" vorbei.
Es steht plötzlich im Garten seiner Nachbarn, die er gut kennt und schätzt. Und er fragt sich: Wie kann das sein? Es sind doch vernünftige Leute? Aber anstatt zu fragen, meidet er den Kontakt und – schweigt. "Aber dieses Schweigen löst einfach gar nichts. Es ist vielmehr Teil des Verfalls. Die Amerikaner wissen es, die ganze Welt weiß es."
Das Schweigen ist für Packer das Symptom für diese "seltsame Niederlage" der amerikanischen Demokratie – so der Titel des ersten Kapitels. Was folgt, ist eine schonungslose Anamnese dieser "Krankheit des Schweigens", die im Covid-19-Virus beste Bedingungen gefunden hat. Wie in einem Brennglas habe die Pandemie alle Versäumnisse der letzten Jahrzehnte ans Licht gebracht: "eine korrupte politische Klasse, eine sklerotische Bürokratie, eine herzlose Wirtschaft und eine polarisierte und gedankenlose Öffentlichkeit".

Vier Amerikas kämpfen um Vorherrschaft

Nun gibt es Bücherregale voll mit Erklärungsversuchen über die zerrüttete amerikanische Gesellschaft der Trump-Ära, aber was Packer hier unternimmt, ist eine – auch literarisch – meisterliche Analyse der "vier Amerikas", die das Land prägen. Ihre Überschriften wie das "freie Amerika" oder das "gerechte Amerika" zeugen von feinsinniger Ironie, ohne je selbstgerecht zu werden. Sein Resümee allerdings ist ernüchternd: "Ich möchte in keiner Republik leben, die von einem dieser Narrative regiert wird".
Das "freie Amerika" etwa – es hat in der Reagan-Ära seine Wurzeln und ist geprägt von weißen Unternehmern und Arbeitern, die gegen den Sozialstaat und jede Einmischung der Regierung in ihre Individualrechte zu Felde ziehen. Stramm konservativ und republikanisch.
Oder das "smarte Amerika" – es reflektiert die Babyboomer-Generation mit Bill und Hillary Clinton als Heldenfiguren, eine neue sozialliberale, individualistische Leistungsgesellschaft, eher demokratisch und kosmopolitisch, grundsätzlich skeptisch gegen jede Form des Patriotismus.
Ohne den, so Packer, ginge es aber leider nicht, denn "wer das Ziel hat, den Klimawandel zu verlangsamen oder die Ungleichheit zu bekämpfen, der braucht die nationale Solidarität, die auf dem Patriotismus aufbaut" – der aber schon mal sein hässliches Gesicht zeigen kann im "wahren Amerika": weiße Nationalisten mit Verachtung fürs Establishment, ein "uralter Ort" des anti-intellektuellen Amerikas, stockkonservative Evangelikale, isolationistisch – und die eigentliche Basis von Trump.
Dagegen hat sich das "gerechte Amerika" der Millennials aufgelehnt, und zwar nicht nur gegen die "White Supremacists", sondern auch gegen das "smarte Amerika" ihrer Eltern – zu denen sich Packer durchaus selbst zählt – und deren Selbstgerechtigkeit. Das "gerechte Amerika" hat die Identitätspolitik aus den Hörsälen in die Feuilletons gebracht: "Der Kampf um Identität – er bot jungen Menschen Sinnstiftung und Gemeinschaft, einen Weg aus der Anomie der digitalen Konsumwelt. Etwas, was ihnen das liberale, kapitalistische Amerika nicht zu geben vermochte."
Und dann schreibt Packer etwas Unerhörtes: Das "gerechte Amerika" ähnele dem "wahren Amerika" – ausgehend von komplett entgegengesetzten Positionen – in der Skepsis gegenüber der Idee von Amerika als einer Demokratie für alle.

Die Lösung ist so enttäuschend wie wahr

Was also ist dann die "letzte beste Hoffnung"? Seine Antwort darauf ist so enttäuschend wie wahr und scheinbar von ewiger Gültigkeit – und kann nur von einem Amerikaner gesagt werden: "Uns wird niemand retten. Die letzte beste Hoffnung sind tatsächlich wir selbst".
Darin spiegelt sich der Mythos von Amerika, das sich nach jedem Schicksalsschlag – sei es der Bürgerkrieg, Vietnam oder 9/11 – immer wieder selbst neu erfinden. Zu allererst jedoch müssten "wir Amerikaner" das Schweigen überwinden.
Wer Amerika wieder zu einem geeinten Land machen will, "sollte Twitter- und Facebook-Accounts abschalten" und zu seinem Nachbarn gehen, um ihn zu fragen: Warum hast du Donald Trump gewählt? Oder Joe Biden?

George Packer: "Die letzte beste Hoffnung. Zum Zustand der Vereinigten Staaten"
Übersetzt von Elisabeth Liebl
Rowohlt
256 Seiten, 26 Euro

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