Georg Trakl: "Dichtungen und Briefe"

So schön kann Schwermut klingen

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Buchcover des Bands "Dichtungen und Briefe" der neuen Georg-Trakl-Werkausgabe
Dunkle Ahnungen und flüchtige Euphorie: Eine neue Georg-Trakl-Werkausgabe enthält bisher unveröffentlichte Gedichte und Briefe des Autors. © Otto Müller Verlag
Von André Hatting · 28.09.2020
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In einer historisch-kritischen Werkausgabe wird Georg Trakl neu zugänglich gemacht. Die Edition enthält einige Überraschungen und unveröffentlichte Briefe und zeigt den expressionistischen Dichter als Meister der Melancholie.
Georg Trakl ist eine Ausnahme-Erscheinung in der Literatur des Expressionismus. Der Weltschmerz einer Else Lasker-Schüler oder die Großstadtekstase Georg Heyms lesen sich gut in der Pubertät. Bei einer späteren Wiederbegegnung befremdet das Pathos eher, als dass es beglückt.

Roter Wein und blaue Astern

Ganz anders beim Meister der Melancholie, Georg Trakl. Das Gedicht "Verfall" ist sein größter Hit und ziert bis heute zu Recht viele Schulbücher.
Verfall
Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.
Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnengitter, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

Bei ihm ist immer Herbst

Dieses perfekte Sonett ist zugleich der Trakl in nuce: Bei diesem Dichter ist immer Herbst, sogar in den wenigen Sommergedichten. Die ganze Natur ahnt den Tod, überall unheilvolle Zeichen und Symbole, es scheint, als hätte Trakl in den Gedichten bereits gewusst, wie traurig sein kurzes Leben enden wird.
Es ist eines von Sex and Drugs and Rock 'n' Roll, aber unter tragischem Stern: Die jüngere Schwester Grete liebt er mehr als nur platonisch, was ihn sein Leben lang quält. Mit 18 bricht er die Schule ab und beginnt in seiner Heimatstadt Salzburg ein Praktikum in einer Apotheke.

Freitod an der Front des Ersten Weltkriegs

So kommt er an die harten Drogen, mit denen er fortan herumexperimentiert. An der Front des Ersten Weltkriegs erleidet er einen Nervenzusammenbruch und spritzt sich mit Kokain in den Tod. Das ist 1914, und Georg Trakl ist gerade einmal 27 Jahre alt.
Zum Werk des Österreichers gehören neben den Gedichten vier Prosatexte und kleinere Dramenfragmente. Vor einem halben Jahrhundert ist die bislang einzige historisch-kritische Ausgabe erschienen. Sie ist ebenso wie die Taschenbuchausgabe vergriffen.

Ein Brief an den Gönner Ludwig Wittgenstein

Umso erfreulicher, dass der Otto Müller Verlag nun endlich eine neue Werkausgabe präsentiert. Sie enthält einige Überraschungen wie bislang unveröffentlichte Briefe, darunter einen an Ludwig Wittgenstein.
Daraus erfahren wir, dass der berühmte Philosoph das Werk des jungen Dichters so sehr geschätzt hat, dass er ihn mit 20.000 Kronen unterstützte. Das entspräche einer heutigen Kaufkraft von über 100.000 Euro.

Verse aus der Schülerzeitung

Darüber hinaus druckt dieser Band auch erstmals neu entdeckte Gedichte wie zum Beispiel "Aufforderung", veröffentlicht in einer Schülerzeitung 1907, da war Trakl 20:
Säume nicht! Kurz ist der Tag
Und flüchtig die Stunde der Jugend.
So euphorisch und motivierend wird es bei Georg Trakl nie mehr zugehen. Dämmerung zieht auf, Finsternis kehrt ein, Depression dominiert. Aber wie schön kann Schwermut klingen!
Schlaf und Tod, die düstern Adler
Umrauschen nachtlang dieses Haupt

Georg Trakl: Dichtungen und Briefe
Hg. von Hans Weichselbaum
Otto Müller Verlag, Salzburg 2020
620 Seiten, 39 Euro

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