Georg Klein: "Bruder aller Bilder"

Der Pakt der Toten mit den Lebenden

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Cover des Buchs "Bruder aller Bilder" auf orangem Hintergrund
Georg Kleins Roman "Bruder aller Bilder" hebt realistisch und beschaulich an, aber das täuscht sehr über die weiteren Geschehnisse. © Deutschlandradio / Rowohlt Verlag
Von Manuela Reichart · 27.08.2021
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Im Roman "Bruder aller Bilder" ist die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits fließend. Der Schriftsteller Georg Klein beginnt wirklichkeitsnah zu erzählen und wird immer geheimnisvoller.
Ein alter Sportreporter, eine junge Journalistin, eine elegante Zeitungsverlegerin, ein seltsamer Naturbursche: Um dieses Quartett dreht sich der neue Roman "Bruder aller Bilder" von Georg Klein, in dem die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits virtuos aufgelöst werden.
Eine süddeutsche Kleinstadtzeitung: Die Verlegerin gehört zur alten Schule ihrer Profession, der Sportreporter schreibt die erfolgreichste Kolumne, die Jungjournalistin ist mit ihrem Artikel über eine Trachtenmodemesse auf einem guten Weg, der Feuilletonchef ist ein freundlicher "Virtuose der Vorsicht", die kompetente Sekretärin zugewandt. Idyllische Arbeitszustände herrschen in Georg Kleins neuem Roman, der beschaulich und realistisch beginnt.

Das Rätsel des Sportplatzes

Der alte Sportjournalist hat die junge Kollegin für ein paar Tage zu Recherchezwecken angefordert. Ihr Mobiltelefon muss sie zu Hause lassen, was genau sie ansonsten tun oder lassen soll, das wird ihr jedoch nicht mitgeteilt. Die beiden fahren zu einem Sportplatz. Hier gibt es ein Problem, bei dessen Lösung ein alter Freund des Reporters, ein Naturkundler der besonderen Art, helfen soll.
Die junge Frau lernt diesen Mann kennen, der auf einem verwunschenen Anwesen mit Plumpsklo und Telefonzelle lebt. Ihm, dem so genannten Auskenner, wird sie dann eine Kindheitserinnerung erzählen, die im Roman zum ersten Mal die Grenze zwischen Realität und Imagination lockert: Wie sie, die stets eine Einzelgängerin und nicht interessiert an Gemeinschaft war, plötzlich hinter das Gesicht einer "Klassenkameradin und Beinahefreundin" schauen konnte.

Nichts ist mehr, wie es scheint

Ein "Antlitzwechsel" habe damals in der Turnhalle stattgefunden, das Gesicht dieses Mädchens und der anderen Schülerinnen sei ins Tierhafte verschoben worden: "Nur ich kann das sehen, hatte sie damals gedacht, nur ich darf jetzt ein einziges Mal erkennen, was diese Mädchen hinter ihren Näschen, Bäcklein und ihren Schmollmündern vor mir und vor sich selbst verbergen."
Am Ende des Romans, wenn nichts mehr ist, wie es scheint, wenn das Jenseits eine Stimme hat und der Auskenner in beiden Sphären zu Hause ist, wenn die Toten einen Pakt eingehen mit den Lebenden, wird die Anekdote gewichtig. Die außersinnliche Fähigkeit hat die Nachwuchsjournalistin für ihre Aufgabe prädestiniert.

Fließende Grenzen

Dieser spannend aufgebaute Roman, der ganz wirklichkeitsnah anfängt, führt – wie oft in den Geschichten von Georg Klein – bald ins Geheimnisvolle: Heiter und mit Kolorit aus dem publizistischen Arbeitsleben beginnt er und wechselt dann auf fantastische Weise in eine traumverlorene Wirklichkeit. Eine Tote beobachtet eine Lebende, eine Frau verschwindet, eine erotische Begegnung führt in die Irre und der rosa Nagellack der Redaktionssekretärin hat am Ende ebenso wenig Bedeutung wie die schwarzen Herrenschlafanzüge, die die junge Journalistin von ihrer Mutter geerbt hat.
Dass die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits fließend ist, davon erzählt Georg Klein, und man folgt staunend und – wie es an einer Stelle heißt – "ausnahmswach" seiner Sprach- und Fabulierfähigkeit.

Georg Klein: "Bruder aller Bilder"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
272 Seiten, 22 Euro

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