Georg-Büchner-Preis

Avantgardist von beharrlicher Radikalität

Der Schriftsteller Jürgen Becker posiert am 30.05.2014 in seinem Garten in Odenthal (Nordrhein-Westfalen).
Der Schriftsteller Jürgen Becker erhält den Georg-Büchner-Preis 2014. © dpa / Marius Becker
Von Denis Scheck · 30.05.2014
Jürgen Becker ist ein mehr als würdiger Büchner-Preis-Träger, kommentiert Denis Scheck. Mit ihm erhält ein Avantgardist den wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreis, der auch im Alter von 81 Jahren nichts von seiner beharrlichen Radikalität eingebüßt hat, mit der er die Grenzen von Lyrik und Prosa niederreißt.
"Beeil dich./Lass dir Zeit".
So lauten zwei Verse aus einem Gedicht Jürgen Beckers, aus dessen Lyrik sich das Denken in Paradoxien lernen läßt.
Die Jury des wichtigsten deutschen Literaturpreises hat sich Zeit gelassen mit dieser Auszeichnung, doch sie kommt zur rechten Zeit. Der Büchnerpreis zählt zu den liebenswerten Besonderheiten des literarischen Lebens in Deutschland. Die Jury dieses Preises ist nie in die Knie gegangen vor den Forderungen eines billigen Populismus. Der Büchnerpreis ist elitär - und das ist nicht nur gut so, sondern in Fragen der Kunst die einzige bewährte Überlebensstrategie.
Deshalb ist dem Georg-Büchner-Preis, der von einer aus den Reihen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gebildeten Jury verliehen wird, jene alle anderen Literaturpreise überstrahlende Bedeutung zugewachsen, die er heute besitzt. Der Büchner-Preis kanonisiert.
Natürlich hat auch die Büchnerpreis-Jury sich gelegentlich geirrt.So haben weder Arno Schmidt noch Ernst Jünger je den Büchnerpreis erhalten, die ganz sicher zu den bedeutendsten Autoren der Bundesrepublik zählen. Heute aber ist ein guter Tag für die deutschsprachige Literatur.
Avantgardist von beharrlicher Radikalität
Mit Jürgen Becker bekommt den wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreis ein Avantgardist, der auch im Alter von 81 Jahren nichts von seiner beharrlichen Radikalität eingebüßt hat, mit der er die Grenzen von Lyrik und Prosa vermisst - und zugleich niederreißt. Allein der Umgang Jürgen Beckers mit dem "Du", das sowohl seine Lyrik wie seine Prosa prägt und das Becker virtuos vom Monolog zum Dialog, also vom reflektiven Selbstgespräch zur personalen Anrede des Lesers und damit zum Appell und wieder zurück führt, zählt zu den großen Kunststücken von Jürgen Beckers Literatur. Epiphaniehaft leuchtet es in den eingangs zitierten Versen auf: "Beeil dich./Lass dir Zeit".
Jürgen Becker, der am Anfang seiner Karriere von der Fluxus-Bewegung beeinflusst wurde und Zeit seines Lebens in den Grenzgebieten von Bild und Sprache, Erinnerung und Beobachtung unterwegs war, hat ein Werk geschaffen, das wie alle große Literatur selbst eine Schule der Wahrnehmung ist.
Dass es neben Jürgen Becker von Uljana Wolf über Katja Lange-Müller Julia Franck und bis Antje Ravic Strubel, von Daniel Kehlmann über Thomas Hettche und Rainald Goetz bis Ingo Schulze mehr als zwei Dutzend würdige Kandidatinnen und Kandidaten für den diesjährigen Büchnerpreis gegeben hätte, ist mehr als eine gute Nachricht. Wir leben in einer literarisch reichen Zeit. Das ist der Schatz unserer Tage. Die Jury des Büchnerpreises sollte sich beeilen.
Und sich Zeit lassen.
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