Gentrifizierung in Prenzlauer Berg

Kaufhalle adé

05:08 Minuten
Eine geschlossene Supermarkttür, auf der als Schild "Macht's Jut, Nachbarn" steht.
Supermarkt mit Kultstatus: Seit 1978 konnte man hier einkaufen © Deutschlandradio / Sonja Heizmann
Von Sonja Heizmann · 03.04.2019
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Ein Supermarkt im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg schließt. Für die Menschen aus dem Kiez stirbt damit ein Stück Geschichte und gelebte Nachbarschaft. Zum Abschied gibt es Whisky und Tränen.
"So jetzt die Äpfel noch hier ran, dass wir hier das leer haben und dann sieht das noch ein bisschen schön aus." - "Alles klar, mach ich."
Ein ungewohntes Bild, 1500 Quadratmeter Verkaufsfläche, die immer prall gefüllt waren, leeren sich. Jetzt liegen nur noch ein paar Äpfel in den Kisten, in der acht Meter langen Fleischtheke vereinzelt Hühnerbrüste und Wurstringe.
"Heute sieht es genauso aus wie vor 30 Jahren, als die Wende kam, da waren auch alle Regale leer. Da haben sie noch fotografiert, die leeren Regale, weil das war so kurios." Seit 40 Jahren kauft diese ältere Frau hier ein. Nach der Wende wurde in der Kaufhalle im Bezirk Prenzlauer Berg ein neues Sortiment eingeräumt und eine neue Zeit brach an. Auch heute kommen die Kunden in den Supermarkt, um zu fotografieren und das Ende einer Ära zu erleben.

Ein Stück Identität

"Was wir schon in den letzten Monaten in der Nachbarschaft darüber gesprochen haben, das war so was von Thema, so oft habe ich mich noch nicht über eine Kulturinstitution unterhalten." Hier geht ein Treffpunkt, eine Institution verloren, sagt dieser Kunde.
Für andere sogar ein Stück Identität: "Is' halt nen Stück Kiez, ick wohn schon ewig hier. Is' wieder ein Stück weg, ist schon traurig. Man wird so ein Stück immer wieder mit ausradiert, det is eben ein Teil Geschichte von uns." Für viele, wie für diese 55-jährige Frau, die schon zu DDR-Zeiten hier lebte, war die Kaufhalle immer da, in einem sich ständig verändernden Kiez.
Ein Supermarktregal, das nur noch zur Hälfte mit Konserven gefüllt ist.
Halbleere Regale wie zu Zeiten der Wende.© Deutschlandradio / Sonja Heizmann
Nun soll der Flachbau einem L-förmigen Neubau weichen, der die komplette Straßenecke schließen wird. Auf sechs Stockwerken werden hier rund 187 Wohnungen entstehen. "Wir wissen ja, dass das alles irgendwelche Paläste werden und irgendwann kann man hier halt och nich mehr wohnen." Was die Zukunft bringen wird, ist ungewiss. Fest steht, dass der Markt heute zum letzten Mal geöffnet hat, dann die Regale abgebaut werden und das Gebäude abgerissen wird.
Im Pausenraum treffen sich die Verkäuferinnen ein letztes Mal auf eine Zigarette. "Wir schließen nachher die Tür ab...Ick hatte eigentlich damit gerechnet, dass ich meine 30 hier voll mache, aber habe es nicht geschafft." Viele von ihnen arbeiten schon seit Jahrzehnten hier. Sie sind ein gewachsenes Team, das jetzt auf unterschiedliche Märkte in Berlin verteilt wird.

Besondere Nähe zu den Kunden

"Ick war damals 23, wo ich hier angefangen habe, jetzt 49, man ist hier alt geworden und dadurch lernt man die Kunden mit den Jahren kennen. Man wees die Geschichten von den Kunden, man merkt auch viel, wer weggestorben ist von den Älteren." - "Das kriegt man so mit hier, oder wie die Kinder groß werden, man sieht die Mütter schwanger, dann liegen sie im Kinderwagen, dann kommen sie mit dem Fahrrad, dann schieben sie selber den Wagen, det is schön." Dass sie so nah dran waren an den Kunden, viele seit Jahren immer wieder kamen, hat die manchmal monotone Arbeit im Kiezladen besonders gemacht.
"Ick wünsch Ihnen wat...und der Nächste...." Auch für den Fleischverkäufer. "Det is ja det, wat eine Filiale ausmacht, dass Du nicht nur Laufkundschaft hast, sondern Stammkunden, die auch mal freundlich sind, die auch mal ein Schwätzchen mit Dir machen. Das ist heute ja alles nur noch schnell, schnell, jeder will nur bloß noch schnell was zu essen haben und raus und weg und Wiedersehen, Du brauchst doch dieses Zwischenmenschliche, diese Beziehung, diese Gespräche, das gab's hier."

Viele Kunden mussten wegziehen - wegen steigender Mieten

In den letzten Jahren allerdings nicht mehr so oft wie früher, weil immer mehr Stammkunden weggezogen sind, die sich die Mieten hier nicht mehr leisten konnten. Über die Jahre hat sich Vieles verändert – im Laden und im Kiez, erzählen die Mitarbeiter: "Vom Sortiment, nicht mehr so fleischlastig, mehr veganer." - "Hier wird nicht auf den Preis geguckt. Die kaufen nur Bio. Bio, Bio, Bio, den ganzen Korb voller Bio, na dann wundert man sich, wenn man so 60 Euro im Korb hat, das ist ja über meinem Wochenbudget. Das ist Wahnsinn!"
Hier prallten manchmal Welten aufeinander, die Verkäufer, die bei 30 Arbeitsstunden pro Woche um die 1400 Euro netto im Monat verdienten und die Einkäufer in einem Kiez, der vom Arbeiterbezirk zu einem der wohlhabendsten der Hauptstadt geworden ist. Und trotzdem hängen Kunden und Mitarbeiter beide irgendwie aneinander - manche der Kundinnen und Kunden haben hier sozusagen ihre Kindheit verbracht.

Blumen, Wein und Whisky zum Abschied

Zum Abschied bringen die Kunden heute Blumen, Pralinen, Wein und Whisky. Am späten Nachmittag strömen um die 40 Nachbarn mit Liedtexten in den Händen in den Laden und stellen sich an den Kassen auf. Für einen Moment steht der gesamte Betrieb still.
"Oh Supermarkt, oh Supermarkt, hier gab‘s so viele Sachen..." Tränen fließen, auf beiden Seiten. "Vielen, vielen Dank für alles und die Treue, die ihr uns gehalten habt."
Als zwei Stunden später endgültig Ladenschluss ist, wollen 20 Bier trinkende Jugendliche, die zum Großteil im Kiez aufgewachsen sind, noch nicht gehen. Sie blockieren den Ausgang, nehmen auf ihre Art Abschied.
Ein Verkäufer bringt es auf den Punkt: Ich glaube, es war noch nie so schwer, einen Supermarkt zu schließen.
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