Genitalverstümmelung

Verbrechen oder Gottes Wille?

Das Messer einer früheren Beschneiderin liegt bei einer Informationsveranstaltung in Dakar, Senegal, auf dem Tisch (Foto vom 24.4.2002). Das Beschneidungsritual ist seit 1999 im Senegal verboten, wird aber vor allem auf dem Land heimlich weiter ausgeführt.
Weltweit werden immer noch Mädchen beschnitten. Im Senegal mit solchen Messern. © picture alliance / dpa / Wolfgang Langenstrassen
Von Cornelia Wegerhoff · 23.10.2014
Seit 2008 ist die Beschneidung von Mädchen am Nil gesetzlich verboten. Doch insbesondere auf dem Land ist die Praxis immer noch Alltag. Jetzt wird erstmals ein Fall vor Gericht verhandelt: Die kleine Suhair ist nach dem Eingriff gestorben.
Suhair war 13 Jahre alt, als ihr Vater sie im vergangenen Sommer in dem kleinen ägyptischen Dorf Dahleya zu einem Arzt brachte. In der Praxis warteten schon drei andere Mädchen. Gemeinsam mit Suhair wurden sie in einen Operationsraum geführt. Dort sah Mohamed el Bataa seine Tochter lebend zum letzten Mal. Der Arzt nahm hinter verschlossener Tür an allen vier Mädchen einen ganz speziellen Eingriff vor: Er schnitt ihnen einen Großteil ihrer Schamlippen weg. Das ist in Ägypten zwar bereits seit 2008 gesetzlich verboten, doch vor allem auf dem Land immer noch Sitte. In den Schamlippen stecke die „weibliche Begierde“, lautet die Begründung der Befürworter des Eingriffs. Beschnittene Mädchen seien „züchtiger“ und „reiner“. Suhair wurde beschnitten und ist tot.
"Ihre Klassenkameraden sagten: Das ist ein Verbrechen. Aber die Eltern-Generation in Dahleya sagte: Nein, das ist eine Tradition, wir Frauen sind hier alle beschnitten. Dazu, dass Suhair dabei ums Leben gekommen ist, erklärten sie lapidar : Nun, das war dann der Wille Gottes."
Dr. Vivian Fouad ist Mitarbeiterin des Nationalen Bevölkerungsrates, einem staatlichen Gremium Ägyptens. Seit Jahren organisiert sie Aufklärungskampagnen gegen Genitalverstümmelung. Seit Jahren muss sie trotz allem über Todesfälle wie die von Suhair berichten. Nachdem in Ägypten 2012 Präsident Mursi und die Muslimbruderschaft an die Macht kamen, nahm die verbotene Praxis sogar wieder zu.
Mursi erklärte Beschneidung zu Privatsache
"Die Muslimbrüder haben den Leuten das Signal gegeben, behaltet Eure Tradition, so wie sie ist. Dafür gibt es Belege. Mohamed Mursi hat in einem seiner ersten, großen Interviews zum Thema Mädchenbeschneidung und frühe Heirat gesagt, das ist eine Sache der Familie, zwischen Mutter und Tochter. Das war mit Absicht und ist sehr kritisch zu sehen. Denn das zuvor erlassene gesetzliche Verbot wurde von einem Präsidenten zur Privatsache, zur Familiensache erklärt. Das war eine Katastrophe."
Doch seit dem traurigen Tod von Suhair el Bataa im vergangenen Sommer, kurz vor dem Sturz der Islamisten, verändere sich etwas in Ägypten, hofft Vivian Fouad.
"Die Freunde des Mädchens sagen öffentlich, dass die Beschneidung falsch war. Das ist ein wichtiges Signal. Und, dass dieser Fall vor Gericht kommt. Das ist der erste Mal in Ägypten. Bei allen anderen Todesfällen konnte nicht mal nachgewiesen werden, dass die Mädchen beschnitten worden waren. Da wurde dann von ärztlichen Kunstfehlern gesprochen."
Im Fall von Suhair el Bataa ist im Bericht des Gerichtsmediziners von einer allergischen Reaktion auf Penicillin die Rede. Laut Vivian Fouad eine Begründung, die sehr häufig vorgeschoben wird, um die Folgen der Genitalverstümmelung herunterzuspielen. Die Eltern Suhairs zeigten den Arzt nach dem Tod ihrer Tochter an. Der bot sogar Schweigegeld an, doch sie wolle Gerechtigkeit für ihr Kind, forderte die verzweifelte Mutter. Selbst waren sich die Eltern keiner Schuld bewusst. Die ägyptische Staatsanwaltschaft sah das anders. Und stellte den Vater im Juni zusammen mit dem Arzt vor Gericht. Seither behauptet der Vater, der Arzt hätte eigentlich nur eine Warze an den Schamlippen seiner Tochter entfernen sollen. Trotz des gesetzlichen Verbotes von Genitalverstümmelungen hat Ägypten immer noch das Land mit der höchsten Betroffenenrate weltweit. Vivian Fouad vom Nationalen Bevölkerungsrat hat Zahlen, die aber eine positive Entwicklung anzeigen:
"Die Zahlen steigen in der jüngeren Generation nicht mehr an. Die Beschneidungsquote von Frauen zwischen 15 und 49 Jahren liegt bei 90 Prozent. Aber unsere Statistik zeigt, dass Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren nur noch in 50 Prozent der Fälle beschnitten sind. Es war sehr wichtig, dass sich auch die religiösen Institutionen mittlerweile klar geäußert haben."
Mit dem Islam hat Genitalverstümmelung nichts zu tun
Denn – obwohl immer wieder von Eltern und Ärzten stur behauptet: Mit dem Islam hat die Genitalverstümmelung nichts zu tun. Nicht mal in Saudi-Arabien, dem Land der heiligen Stätten Mekka und Medina, ist es üblich, Mädchen zu beschneiden. Und auch Scheich Mohamed El Agamy, im ägyptischen Religionsministerium zuständig für Fragen und Auslegung des Koran, erklärt immer wieder in Interviews:
"Die Beschneidung von Mädchen und Frauen ist nur eine Tradition. Sie hat keinerlei religiösen Hintergrund. Es gibt dazu kein Wort im Koran. Während die Beschneidung von Jungen ausdrücklich erwähnt wird."
Diese Botschaft versucht auch Umm Mohamed allen Frauen, die sie kennt, mit auf den Weg zu geben. Auch sie wurde beschnitten, als sie zwölf war. Fast 40 Jahre ist das jetzt her. Aber der Tag, an dem es passierte, hat sich in ihr Gedächtnis eingebrannt:
"Da war ein Friseur. Eines Tages brachten die Eltern unseres Viertels alle Mädchen, die in einem Alter waren, zu ihm. Wir wussten nicht wieso. Wir haben uns sogar noch gefreut, denn jede hatte zur Feier des Tages ein neues, weißes Kleid geschenkt bekommen. Und unsere Hände wurden zu diesem Anlass mit Henna bemalt. Dann kam der Schock, denn wir wurden ausgezogen und an Händen und Beinen festgehalten. Der Friseur kam - mit einer Rasierklinge. Ich frage mich bis heute, was ich verbrochen habe, dass meine Eltern mir das angetan haben."
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