Generationenwechsel bei der Para-EM

Leichtathlet Heinrich Popow beendet Karriere

Heinrich Popow (GER / TSV Bayer 04 Leverkusen) beim Weitsprung während der Rio 2016 Paralympic Games am 17.09.2016 im Estadio Olimpico Joao Havelange in Rio de Janeiro
Para-Sportler Heinrich Popow: "Näher an der Gesellschaft dran als der olympische Sport." © Beautiful Sports
Von Heinz Schindler · 05.08.2018
Heinrich Popow wird nach der Para-EM in Berlin seine Karriere beenden. Er ist in 18 Jahren zu einem Weltstar der Szene geworden. In seiner Karriere als Sprinter und Weitspringer hat er tiefe Spuren hinterlassen – und dem Nachwuchs den Weg geebnet.
Die 18 Jahre dauernde Karriere Heinrich Popows dokumentiert den Wandel im Para-Sport. Denn inzwischen geht es auch hier in der Berichterstattung mehr um die Leistungen der Athleten, nicht allein um ihre Schicksale – die wiederum machen sie ja erst zu dem, was sie sind: Spitzensportler, von denen einige sogar Vermarkter in Anspruch nehmen, und im Nebenberuf sind sie Mutmacher.

"Ich bin der Meinung, dass der paralympische Sport näher an der Gesellschaft dran ist als der olympische Sport. Wir sind heutzutage an 'nem Punkt angekommen, wo Menschen mit Leistungsdruck umgehen müssen. Wir haben hohe Depressions- und Burnout-Quote in der Gesellschaft, weil Menschen sich Dinge vielleicht nicht zutrauen", sagt Heinrich Popow. "Und wenn man dann in den Parasport guckt und sieht, aus was für Mitteln die Menschen die Leistung bringen, dann ist das nur 'nen positiver Impuls. Es motiviert die Menschen, Dinge anzugehen – und nicht vielleicht mit zwei Beinen und zwei Armen zu sagen: 'Ja, ich kann das nicht'."

Anfänge bei Bayer Leverkusen

Für den Paralympics-Sieger von 2016 wird die EM der Schlusssprung seiner aktiven Laufbahn sein. Jeglichen Wehmut will er in der Vorbereitung ausblenden. Doch natürlich erinnert auch er sich an die Anfänge bei Bayer Leverkusen, ebenso wie Jörg Frischmann. Der Geschäftsführer im Para-Sport und ehemaliger Kugelstoßer erinnert sich.

"Damals weiß ich noch genau: ich saß im Wettkampfbüro und mein Abteilungsleiter kam zu mir und sagte: 'Frischi, da kommt gleich einer, der will hundert Meter laufen. Ich glaube nicht, dass der im Ziel ankommt.' Damals ist er gelaufen und das war damals ein schüchterner Junge, der aus dem Westerwald kam. Der dann häufig von seinem Vater hier zum Training gefahren wurde. Und wenn man dann sieht, den Heinrich Popow, den wir heute erleben: das ist ein Weltstar im Behindertensport und er ist ein ganz wichtiger Influencer auch für junge Menschen einfach, die zum Sport zu bringen."

Popow kann sich in junge Leute hineinversetzen. Ihm selbst wurde im Alter von neun Jahren infolge eines Tumors sein linkes Bein bis zum Oberschenkel amputiert. Mehr als die Hälfte seines Lebens ist der 35-jährige im Leistungssport aktiv. Doch sein Rückblick dreht sich weniger um seine aktuellen Weltrekorde im 100-m-Sprint und im Weitsprung, und auch nicht um 29 Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften sowie bei Paralympics.

Persönlichkeitsentwicklung

"Ich bin gereift, ich hab' mich entwickelt. Der Glaube an mich selbst ist größer geworden. Ich kann ganz anders mit Rückschlägen umgehen. Und der Leistungssport hat mir da geholfen, nicht irgendwie in der Pubertät meine Amputation vielleicht als Grund für negative Dinge, die man im Leben dann macht, zu nehmen und damit auch durchzukommen. Deswegen war der Leistungssport zum richtigen Zeitpunkt da, um aus mir die Person zu machen, die ich bin. Und dafür bin ich dankbar."

In zwei Wochen geht er in seine letzten Wettkämpfe bei der Paraleichtathletik-Europameisterschaft. Die Bilder im Kopf dazu, mit denen viele Athleten im mentalen Bereich arbeiten, hat Heinrich Popow schon tief verinnerlicht.

"Ja, mein Bild ist so: Nach Berlin zu gehen, in Topform zu sein und aufs höchste Treppchen zu gehen. Das ist ein ganz einfaches Bild. Es ist, einen Wettkampf zu machen. Es gibt ja Athleten, die kommen dann über den Wettkampf, aber ich will den einen Sprung erwischen. In Rio hab ich's auch mit dem ersten Versuch gemacht und in Berlin werde ich's auch mit dem ersten versuchen."

Dem Nachwuchs den Weg geebnet

Seine sportlichen Nachfolger stehen schon längst in den Startblöcken und gehen in Berlin ebenso auf Titeljagd wie der Altmeister selbst: Leon Schäfer, Felix Streng oder Johannes Floors, 23, Staffel-Gold- Gewinner über viermal 100 m bei den Paralympics und Weltmeister.

"Wir sind da auch in Deutschland in 'ne Struktur reingekommen, die ja unter anderem durch Heinrich aufgebaut wurde. Durch 'nen Förderungspool, der auch schon da war. Die haben richtig super Vorarbeit geleistet und da bin ich sehr, sehr dankbar für, dass für uns der Einstieg in den Leistungssport, in die Para-Leichtathletik nochmal einfacher war und wir hier noch mehr Unterstützung und Anerkennung gefunden haben."

Wenn über dem Berliner Jahn-Sportpark, der Europameisterschaft und der aktiven Laufbahn von Heinrich Popow die Sonne untergeht, wird sie in Japan aufgehen. Denn der gelernte Orthopädie- Techniker wird unter anderem die Leichtathleten der Gastgeber der nächsten Paralympischen Spiele in Tokio beraten.
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