Generationenfrage

Wohlfühlort mit falschem Etikett

Von Hans v. Trotha · 26.11.2013
Seit "Generation X" gilt der kanadische Autor Douglas Coupland als Generationen-Spezialist. Dass er ein feines Gespür für gesellschaftliche Veränderungen hat, beweist er auch in seinem neuen Roman. Der spielt in einer Flughafenbar ‒ nahe am Weltuntergang.
Der Kanadier Douglas Coupland ist Spezialist für den Generationenroman. Nach Generation X schrieb er 2009 Generation A, einen Roman über den Alltag zwischen Youtube, Google und Twitter. Daraufhin wurde er eingeladen, eine Vorlesungsreihe zur Zukunft der Gesellschaft zu halten. Er bestand darauf, das Thema in Romanform abzuhandeln. Das Ergebnis liegt jetzt auf Deutsch vor: Spieler Eins. Roman in 5 Stunden.
In einer trostlosen Flughafenbar treffen vier Menschen aufeinander. Karen, geschiedene Mutter einer Tochter und bekennende Kollapsitarierin, also ein Mensch, der in beständiger Erwartung des Weltuntergangs lebt, wartet auf ein Internet-Date. Rick, geschiedener Vater eines Sohnes, Ex-Alkoholiker und Bar-Keeper, wartet auf einen Fernseh-Guru, der Seelenheil gegen Erspartes verspricht. Dann sind da noch Luke, ein Pastor, der seinen Glauben verloren hat und mit dem Renovierungsfonds seiner Gemeinde durchgebrannt ist, und Rachel, eine sehr junge, sehr schöne Frau, die unter verschiedenen Formen von Autismus leidet und auf die Frage, was sie vom Leben erwarte, antwortet: „Ich würde mich gern von einem Alphamännchen schwängern lassen, um meinem Vater zu beweisen, dass ich sehr wohl ein menschliches Wesen bin und kein Monster oder Alien.“
Der Roman besteht aus fünf Teilen à fünf Kapiteln, wobei jedes Kapitel aus der Perspektive einer der Figuren erzählt ist. Als fünfte Stimme kommt Spieler Eins hinzu. Er hat den Überblick über das Leben, den Tod, die Zeit. Er ist die gewagteste Konstruktion des Buchs, das mit Grenzerfahrungen nicht geizt. Die Auflösung der Figur hält schließlich der lang geschürten Erwartung stand – das ist wirklich gut gemacht.
Spannend und intelligent konstruiert
Überhaupt ist und bleibt es spannend. Nach der eher geplänkelten Ouvertüre setzt Coupland ein dramatisches Weltuntergangsszenario in Gang. Bevor der Strom ausfällt, sehen sie in der Bar noch im Fernsehen, dass der Ölpreis auf 900 Dollar pro Barrel gestiegen ist. Das bringt die Welt schlagartig aus den Fugen – Generation Öl. Beim Versuch, die Bar zu verlassen, wird Karens Date von einem Scharfschützen erschossen, rund um den verödeten Flughafen herrscht Weltenbrand, vom Himmel rieselt tödlicher Fallout. Die vier sitzen in der Bar fest wie Überlebende in einer Arche. In dieser Grenzsituation offenbaren sie sich einander, und ihnen offenbart sich die Welt.
Das ist intelligent konstruiert, psychologisch genau, voller Humor und Sprachwitz, wobei ein wenig überrascht, wie angemessen der Begriff "Offenbarung" ist. Der Grundton bekommt zunehmend etwas glaubensgesättigt Evangelikales, also etwas sehr Amerikanisches. Aber wer weiß – womöglich geht es uns angesichts des real da draußen stattfindenden Weltuntergangs dereinst allen wie Rachel, die zu der Erkenntnis gelangt: "Vielleicht war Gott der Wohlfühlort, und sie hatte ihn ihr Leben lang falsch etikettiert." Übrigens entlässt Coupland seine vier Hauptfiguren und uns nach fünf dramatischen Teilen in lauter kleine, sehr menschliche Happyends. Dafür ist man nach all der Aufregung ganz schön dankbar.

Douglas Coupland: Spieler eins. Roman in 5 Stunden
Aus dem Englischen von Clara Drechsler
Tropen Verlag, Stuttgart 2013
246 Seiten, 19,95 Euro

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