Generalstreik "Tag ohne Frauen"

"In Mexiko ist ein Frauenleben nichts wert"

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Silhouette eine Frau, die mit erhobenem rechten Arm im Dunkeln vor einem Feuer steht, das auf einem Platz in Mexiko City brennt.
Lautstarker Protest: In Mexiko-Stadt prostestieren am Internationalen Frauentag etwa 80.000 Frauen gegen Gewalt. © imago images / Agencia EFE / Sashenka Gutierrez
Hedwig Richter im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 09.03.2020
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Nach den jüngsten Frauenmorden fordern mexikanische Frauen mit Nachdruck ein Ende der Gewalt: am heutigen Montag etwa mit einem Generalstreik. Die Historikerin Hedwig Richter erinnert daran, dass auch in Deutschland alle drei Tage eine Frau getötet wird.
Zehn Frauen werden jeden Tag in Mexiko getötet, oft von ihren Männern, Freunden oder von Familienangehörigen. "Ein Frauenleben ist dort – je nach Stadt – einfach nichts wert", sagt die Historikerin Hedwig Richter. "Die Polizei kümmert sich nicht um eine Frauenleiche."
Erst kürzlich wurde ein siebenjähriges Mädchen entführt, vergewaltigt und ermordet. Ihre Leiche fand man später in einem Plastiksack. Oder der Fall der 25-jährigen Ingrid Escamilla: Am 9. Februar wurde die junge Frau von ihrem Freund erstochen und zerstückelt. Einige mexikanische Medien veröffentlichten Fotos der entstellten Leiche - offenbar hatten Polizisten die Bilder verkauft.
Der Tod des Mädchens und Ingrid Escamillas hat Mexiko aufgerüttelt und auch dazu geführt, dass am gestrigen Frauentag allein in Mexiko-Stadt etwa 80.000 Frauen auf die Straße gingen. Sie entzündeten ein Feuer auf dem zentralen Zócalo-Platz und malten die Namen ermordeter Frauen auf den Boden.
Für heute ist ein Generalstreik der Frauen geplant, an dem nicht nur erwerbstätige Frauen teilnehmen sollen. Auch Hausfrauen sollen die Arbeit niederlegen.

Auch in Deutschland werden viele Frauen getötet

Hedwig Richter begrüßt den lautstarken Protest der Mexikanerinnen: "Ich finde es unwahrscheinlich beeindruckend, wie die Frauen auftreten, wie sie da ihre Rechte einfordern, auch die Bilder, die sie produzieren."
In Deutschland hielte die Historikerin einen solchen Generalstreik der Frauen nicht für sinnvoll. Hier sei die Situation anders, sagt sie, auch wenn in Deutschland Frauen ebenfalls häufig Opfer von Gewalt sind. "Alle drei Tage, sagt man, wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Und das, obwohl wir hier wirklich ein starker Rechtsstaat sind."
In Europa gebe es andere Mittel, mit denen man für Frauen kämpfen sollte. Zum Beispiel die Quote. "Man plant eine Tagung oder es soll ein Posten neu besetzt werden, und ganz automatisch kommen einem nur Männer in den Sinn – es geht mir teilweise auch so – und die Quote ist dieses wunderbare Mittel, das uns daran erinnert, dass es Frauen gibt. Und siehe da, es gibt diese Frauen, sie sind sehr, sehr gut, sie passen auf den Posten, sie passen in die Tagung."
(uko)

Die Historikerin Hedwig Richter ist seit 2019 Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Zuvor forschte sie am Hamburger Institut für Sozialforschung und war Privatdozentin an der Universität Greifswald. Richter studierte Geschichte, deutsche Literatur und Philosophie an der Universität Heidelberg, der Queen's University Belfast sowie der Freien Universität Berlin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit europäischer Geschichte, Geschlechterfragen sowie Demokratie- und Diktaturforschung.

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