Genderforschung

Was Blattgemüse mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun hat

Illustration - Spinat, aufgenommen am 14.07.2016. Spinat (Spinacia) , auch Gartenspinat, Gemüsespinat ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Fuchsschwanzgewächse. Immer am 16. Juli feiert man in der USA den Tag des frischen Spinats (engl. Fresh Spinach Day – auch: National Fresh Spinach Day) . Foto: Manfred Krause | Verwendung weltweit
Berlin - Spinat - Tag des frischen Spinats © dpa/Manfred Krause
Christine Bauhardt im Gespräch mit Christine Watty · 18.12.2017
Frauen kochen, Männer machen das Geld: In vielen patriarchalischen Gesellschaften ist das immer noch so. In Kenia stecken die Frauen viel Arbeit in die Kultivierung von Blattgemüse. Die Agrarökonomin Christine Bauhardt hat untersucht, warum immer die Männer den wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen.
Christine Watty: Die Gender Studies, also die Geschlechterforschung war in der letzten Zeit diversen Angriffen ausgesetzt. Die AfD, aber zum Beispiel auch jemand wie Alice Schwarzer halten diese Forschungsgebiete für einigermaßen obsolet. Ein Aktionstag heute möchte für mehr Respekt und Aufmerksamkeit für diesen Bereich werben. Geforscht wird zum Beispiel natürlich auch in den naturwissenschaftlichen Bereichen darüber, wie Geschlecht und Ernährung zusammenhängen. Und was das genau heißt, bespreche ich mit Christine Bauhardt. Sie ist Leiterin des Fachgebiets Gender und Globalisierung an der Humboldt-Universität in Berlin. Schönen guten Morgen, Frau Bauhardt!
Christine Bauhardt: Schönen guten Morgen!
Watty: Sie haben in Kenia geforscht, und zwar über die Verwertung und Zubereitung sogenannter Spider Plants. Was sind das für Pflanzen, diese Spinnenpflanzen?
Bauhardt: Spider Plant ist ein Begriff für einheimisches Blattgemüse, was in Subsahara-Afrika überall wächst. Es gibt über 200 Sorten dieser einheimischen Blattgemüse, und in unserem Forschungsprojekt konzentrieren wir uns auf sieben von diesen verschiedenen einheimischen Blattgemüsen, die hauptsächlich konsumiert werden. Spider Plant ist sozusagen eine Varietät innerhalb verschiedener sogenannter indigener Blattgemüse. Das sind Blattgemüse, die in Afrika wachsen und weitgehend wild wachsen. Wenn man es von außen betrachtet, könnte man sagen, das ist quasi Unkraut. Es sind Pflanzen, die schon lange zur Ernährungssicherung der Menschen in Afrika dienen und die eben schon kultiviert wurden, bevor die Kolonisierung dann eben neue Gemüsesorten wie zum Beispiel Kohlsorten eingeführt hat. Und diese Blattgemüse zeichnet sich dadurch aus, dass es sehr nährstoffreich ist und sehr gut eigentlich für eine gesunde Ernährung. Vom Geschmack her sind all diese Gemüsesorten relativ bitter, und sie sind nicht so leicht konsumierbar, wie man sich das vielleicht von Spinat vorstellen würde. Man erntet ihn, man kocht ihn und man verzehrt ihn.

Auch Kleinbauern sollen profitieren

Watty: Bis dahin hört sich das alles noch an, als könnten Sie auch als Biologin dorthin gereist sein, um sich einfach mal die Pflanze anzuschauen. Sie sind aber Geschlechterforscherin. Wieso interessieren Sie sich genau für diese Pflanzenart?
Bauhardt: Uns interessiert eigentlich im Zusammenhang eines größeren Forschungsprojekts, das im Bereich der Agrarökonomie angesiedelt ist – ich arbeite in der Agrarökonomie der Humboldt-Universität –, und dort untersuchen wir Fragen der Ernährungssicherung. Und insbesondere interessiert die Agrarwissenschaft natürlich, wie kann man speziell in Afrika den Hunger bekämpfen? Und da ist natürlich ein traditioneller Ansatz – da geht es darum, die Ernten zu erhöhen und die landwirtschaftlichen Produkte so in Wert zu setzen, dass besonders Kleinbauern die Möglichkeit haben, durch die Vermarktung ihrer Produkte Einkommen zu erzielen.
Das untersuchen wir in diesem Forschungsprojekt, und unsere Fragestellung aus der Sicht der Geschlechterforschung ist, zu fragen, stimmt eigentlich diese Annahme, dass es einfach reicht, mehr landwirtschaftliche Produkte zu produzieren und gleichzeitig ihre Vermarktung zu sichern und über die Kommerzialisierung Einkommen zu sichern?

Wer kocht, wer zieht den Nutzen?

Und wir aus der Geschlechterforschung haben eben festgestellt, dass es nicht reicht, diese Wertschöpfungsketten, also die Produktion, den Verkauf und den Konsum von agrarischen Produkten zu betrachten, sondern dass es aus der Sicht der Ernährungssicherung darum geht, wer kocht denn eigentlich das Essen? Wer bereitet aus diesen vergleichsweise bitter schmeckenden Pflanzen eine schmackhafte Mahlzeit zu? Und das sind natürlich die Frauen. Deswegen heißt eine unserer Thesen, es ist eben nicht die globale Agrarproduktion, die den Hunger bekämpft, sondern es sind die Frauen, die aus diesen Pflanzen schmackhafte Ernährung zubereiten.
Dorfbewohnerinnen füllen am Brunnen Wasser ab, im Hintergrund die Tanks, in denen das aufgefangene und gefilterte Regenwasser gelagert wird.
Dorfbewohnerinnen füllen Wasser ab,© picture alliance / dpa / Eva Krafczyk
Watty: Und die daran angehängte Feststellung ist, soweit ich weiß, auch, dass wiederum, sobald Geld eine Rolle spielt, Männer die Sache in die Hand nehmen. Dann könnte man aber bis dahin noch sagen, gut, dann organisieren die Männer den Verkauf und machen den wirtschaftlichen Teil, und die Frauen bereiten es zu. Also was hat die Geschlechterforschung oder Ihr Ansatz festgestellt, was womöglich auch veränderungswert ist?
Bauhardt: Wir haben eben festgestellt, dass unter den gegebenen Bedingungen, wenn dieses Blattgemüse noch nicht ökonomisch in Wert gesetzt ist, eben von den Frauen angebaut wird und von den Frauen produziert und auch geerntet wird. Also sie sind nicht nur diejenigen, die kochen, die Konsumentinnen, sondern sie sind eigentlich auch die Produzentinnen dieses Gemüses, und werden aber von daher in der Agrarforschung gar nicht so sehr zur Kenntnis genommen, weil die Produktion und der Anbau, in kleinen Hausgärten oder auf brachliegendem Land ökonomisch nicht relevant erscheint. Es sind keine großen Produktionen, die die Frauen dort produzieren, sondern es sind kleine für den Hausgebrauch und für die familiären Bedürfnisse zugeschnittene Produktionsmengen. Und von daher kann man sagen, und das wird auch so betrachtet in Kenia, dass eben dieses Blattgemüse eine Women's Crop ist, eine Frauengemüsesorte, weil sie komplett in den Händen der Frauen liegt.

Banal, aber entscheidend

Und in dem Moment, wo Geld ins Spiel kommt, wo die Kommerzialisierung stattfindet, wo die Produktion in größerem Maßstab organisiert wird, wo die Vermarktung dieser Produkte über lokale und regionale Märkte stattfindet, in dem Moment übernehmen die Männer sozusagen die Produktion der Frauen, vermarkten sie und erzielen dann eben auch die entsprechenden Einkommen.
Und da sehen wir quasi in so etwas völlig Banalem wie einer ökonomischen Wertschöpfungskette, dass die zutiefst vergeschlechtlicht ist, dass sie schon im Moment sozusagen eine weibliche Konnotation im Bereich der symbolischen Ordnung hat, die Frauen als die Produzentinnen, die Frauen als die Konsumentinnen, und dass es einen Wechsel gibt, dass es sozusagen einen Vergeschlechtlichungswechsel in dem Moment, wo Marktprozesse eintreten und damit eigentlich nicht das Ziel erreicht wird, das die Entwicklungspolitik sich oft auf die Fahnen schreibt, nämlich das Empowerment der Frauen durch Kommerzialisierung.
Das findet nämlich genau nicht statt. Den Frauen wird eigentlich ihre momentan noch relativ frei zugängliche Ressource dieses Blattgemüses genommen, und die Männer erzielen dann dadurch wirtschaftlichen Erfolg.
Watty: Danke schön an die Geschlechterforscherin Christine Bauhardt, Leiterin des Fachgebiets Gender und Globalisierung der Humboldt-Uni Berlin. Und über die Erkenntnisse rund um die Forschung an der Spider Plant, und wie sie eben eine Vergeschlechtlichung zwischen den Aufgaben in diesem Fall oder den Zuständigkeiten zwischen Männern und Frauen in diesem Fall in Kenia noch mal deutlich gemacht hat. Vielen Dank für das Gespräch! Und heute ist der Aktionstag Gender Studies.
Bauhardt: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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