Gemischtes Doppel

Von Dirk Fuhrig · 17.03.2011
26 000 Euro, das ist für einen kleinen Verlag eine Menge Geld. Mit dieser Summe ist der Kurt-Wolff-Preis dotiert, mit dem die gleichnamige Stiftung kleine, ambitionierte, besondere Verlage auszeichnet. Diesmal den Transit-Verlag aus Berlin.
Sie war jung und brauchte das Geld. Gudrun Fröba kam aus Oberfranken nach Berlin. 1970 war das, sie wollte Kunstgeschichte studieren. Und sie war gerade 18 geworden:

"Ich hab Schreibmaschine schreiben gelernt als Schülerin und bin gefragt worden, ob ich nicht die Satzmaschine bedienen könnte. Der Verlag hatte sich ne richtig schöne Linotype besorgt. Und da ich mit zehn Fingern schreiben konnte, wurde ich halt gefragt. Ich konnte das Geld gut gebrauchen."

Gudrun Fröba sitzt am langen Esstisch in ihrer weitläufigen Altbau-Wohnung in einer Gegend von Berlin-Charlottenburg, die mit ihren modernen Cafés und Bio-Läden kein bisschen nach altem Westen aussieht. Dabei kommt Gudrun Fröba aus reinstem Berliner Vor-Wende-Milieu, Stichwort "Kreuzberg":

"Also, ich hab nix mit der Studentenbewegung zu tun gehabt, da bin ich viel zu jung für. Ich hab dann höchstens später, als die Spaßguerilla oder die Spontis, da hat man mitgemischt und bei Hausbesetzungen. Und alternative Formen des Arbeitens, wozu der Verlag ja auch gehörte, das war toll, ich finde, das war ein privilegiertes Leben."

Alternatives, privilegiertes Arbeiten, das hieß: Verlagsräume im Mehringhof, einer alten Fabrik in Kreuzberg, die sozialen und kulturellen Unternehmen bis heute eine selbstverwaltete Basis bietet. Dort entstand also der Transit-Verlag. Von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt von Rainer Nitsche, der für das Lektorieren zuständig ist, und Gudrun Fröba, die sich um die Gestaltung der Bücher kümmert – eine private und unternehmerische Partnerschaft seit mehr als 30 Jahren.

Rainer Nitsche: "Begonnnen haben wir mit mehr politischen Büchern oder mit Kulturgeschichten. Das erste Buch hatte den schönen Namen 'Züge aus der Vergangenheit'. Das war ein Buch über die Berliner S-Bahn.

Damals war die S-Bahn ja voll unter Kommando der DDR-Reichsbahn. Schwerpunkt waren die völlig verfallenen Bahnhöfe im Westen. Und da hatten wir schon den Text von Uwe Johnson über die S-Bahn, und Günter Kunert hat wunderbare Texte über die S-Bahn geschrieben, aus den 20er-Jahren waren auch Sachen dabei. Dann war es auch aktuelle politische Geschichte.

Also, es war eine Mischung aus verschiedenen Genres, die normalerweise in Büchern nicht so zusammengefallen sind."

Das Programm ist unerhört breit gefächert. Getreu dem Verlags-Motto: "Bücher für Leser, deren Neugierde noch nicht vertrocknet ist und die Texte lieben, die sich quer zur gängigen Oberflächlichkeit stellen". Von Architektur bis Literatur. Krimis, Reisebücher, Judaika – aber auch Bücher zur Musik, etwa über das Bandoneon und den Tango des Carlos Gardel.

Rainer Nitsche wuchs, wie seine spätere Frau auf dem Land auf:

"Beim Abitur musste man angeben, was man werden will, und alle gaben an, was ihre Väter waren, also Rechtsanwalt, Arzt, Zahnarzt oder Kinderarzt. Und ich hatte ein Faible für Verlage aus irgendeinem Grund, ich weiß nicht mehr, ich wollte Verlagslektor werden. – Frage: Was war Ihr Vater?! – Schulmeister. In Angeln, an der dänischen Grenze. - Frage: Schulmeister ist ja so ein schönes altes Wort - Ja, das hieß plattdeutsch Schoolmeester."

Und die Schoolmester-Gattin, Rainer Nitsches Mutter also, richtete bei ihnen zu Hause eine Dorfbibliothek ein:

"Ich hab da alles kreuz und quer gelesen, philosophische Sachen, ich weiß nicht, Nikolaus von Kues und Stendhal 'Rouge et le Noir', das hab ich mit 12 oder 13 gelesen. Ich hab natürlich gar nix kapiert, aber es war so ne Geschichte, durch die man sich irgendwie anders fühlte. Also, es hat mich gereizt, und von daher kam das wahrscheinlich."

Rainer Nitsche ist im Januar 66 Jahre alt geworden. Nach Berlin war er in den 70er-Jahren gekommen als Mitarbeiter einer Dependance des Luchterhand-Verlags. Und zuvor - wilde Jahre in England:

"In London war es dann sowieso verrückt. Das war die Zeit, wo es mit der Musik und Literatur losging, Liverpool Poets. Da war ich bei der BBC. Erich Fried war da Redaktionsleiter, da hat man Kontakt zu einer anderen Art von Literatur bekommen. Das war toll."

London, Berlin - und jetzt immer öfter Hof. Hof an der Saale. In Oberfranken. Da, wo sich Frankenwald und Fichtelgebirge Gute Nacht sagen. Bis 1989 finsteres Zonenrandgebiet. Hier begann die Transit-Strecke für Fahrten von Westdeutschland nach Westberlin. Von da war Gudrun Fröba einst aufgebrochen:

"Die Stadt war furchtbar in den 60er-Jahren, ein Graus. Ich bin wirklich von dort geflohen, mit fliegenden Fahnen nur weg nach Berlin. Aber die Stadt hat sich sehr verändert und auch die Menschen, das ist eigentlich sehr schön."

Die Schönheiten Oberfrankens, eine leichte Berlin-Müdigkeit, neu erwachte Liebe zur deutschen Provinz – und das schöne alte Bauernhaus von Fröbas Großmutter: lauter gute Gründe für einen Teilumzug. Der Verlag läuft sowieso ortsunabhängig – Transit besteht ja nur aus zwei Menschen: Rainer Nitsche und Gudrun Fröba. Eine schwere Linotype braucht man heutzutage fürs erfolgreiche Büchermachen nicht mehr.

Verlagshomepage

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