Gemeinsames Weihnachten auf der Kippe

„Die Menschen wollen Klarheit und Verlässlichkeit“

06:47 Minuten
Ein Mundnasenschutz der mit weihnachtlichen Zweigen und roten Beeren bestückt ist und auf einem gelben Untergrund liegt.
Weihnachten und Corona: Wie soll das zusammen gehen? © Gettyimages / Iryna Veklich
Rolf van Dick im Gespräch mit Dieter Kassel · 07.12.2020
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Wenn ihr euch einschränkt, dann könnt ihr zusammen Weihnachten feiern: Dieses Versprechen der Regierung wird möglicherweise gebrochen. Der Psychologe Rolf van Dick wirft der Politik vor, die Einschränkungen nicht klar genug zu begründen.
Die Bayern preschen vor: Angesichts unverändert hoher Infektionszahlen und zunehmender Todesfälle will das Bundesland den Katastrophenfall ausrufen. "Die Lage ist leider ernst. Es reicht einfach nicht. Wir müssen mehr tun", sagt Ministerpräsident Markus Söder. Ab Mittwoch soll es landesweite Ausgangsbeschränkungen geben, der Landtag muss noch zustimmen.

Das Problem mit der Verlustaversion

Auch in anderen Bundesländern wird weiter über die Corona-Beschränkungen diskutiert, die in Aussicht gestellten Lockerungen für Weihnachten und Silvester stehen auf der Kippe. Der Sozialpsychologe Rolf van Dick von der Goethe-Universität Frankfurt wirft der Politik vor diesem Hintergrund schwere Versäumnisse vor.
Die Menschen wollten Klarheit und Verlässlichkeit, sagt er. Und sie wollten auch sehen, dass ihr Verhalten Effekte erziele. Anfang November sei ihnen versprochen worden, dass sie, wenn sie sich einschränkten, Weihnachten und vermutlich auch Silvester feiern könnten.
"Menschen hassen nichts mehr, als etwas abgeben zu müssen, was sie schon haben. Wir nennen das in der Psychologie die Verlustaversion", so van Dick. Deswegen sei es für viele momentan so problematisch, dass Weihnachten zur Disposition stehe.
Nach Ansicht von van Dick hätte die Politik die Corona-Beschränkungen anders begründen und kommunizieren müssen: "Wenn man den Menschen klar gemacht hätte, an was man diese Entscheidungen koppelt – und wir sehen ja, in den letzten 14 Tagen sind jeden Tag 300 bis 500 Menschen gestorben – wenn man das als Kriterium vorher klar gemacht hätte: Das hätte die Menschen tatsächlich dazu gebracht, sich stärker an Beschränkungen zu halten und auch zu verstehen, warum wichtige Feste wie Weihnachten und Silvester nicht so stattfinden können, wie wir es gerne hätten oder gewohnt sind."

Streit unter den Bundesländern

Auch der Streit unter den Bundesländern und die unterschiedlichen Regelungen helfen bei der Akzeptanz nicht, betont van Dick: "Wir blicken ja gar nicht mehr durch." Sinnvoller wären transparente Regeln auf der regionalen Ebene, dass man beispielsweise in jedem Kreis bei der Überschreitung eines Inzidenzwertes bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreife.
Man könne sich auch an schlechte Nachrichten gewöhnen, so der Sozialpsychologe: "Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass jedes Jahr 3500 Menschen im Straßenverkehr sterben."
Doch wenn die Todeszahlen wegen Corona weiter hochgingen, dann werde bald auch in Deutschland jeder irgendjemanden kennen, ob aus der Familie oder dem Bekanntenkreis, der an dem Virus gestorben sei. "Das wird dann tatsächlich die Menschen aufrütteln und berühren."
(ahe)
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