Gelungenes akustisches Zeitgemälde der 20er- und 30er-Jahre

11.03.2011
Gabrielle Tergits Roman "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" (1931) schildert den rasanten Aufstieg des Volkssängers Georg Käsebier aus dem Kleine-Leute-Tingeltangel der Hasenheide in die Glitzer-Welt des Kurfürstendamm. Käsebiers Abstieg erfolgt ebenso rasant. Volker Kühn hat daraus ein fulminant erzähltes, spannendes Hörspiel gemacht.
"EIN ARTIKEL ÜBER KÄSEBIER
Na, wat sachste nu? ...Da stet et schwarz auf weiß: Käsebier, det is wie Montmartre in Berlin. Nu weeset jeder! Hast Du den Brief fertig?
Jeehrter Herr. Wie soll ick Ihnen je danken, det Sie mir derart lobend erwähnt haben. Ich schicke Ihnen einen Passepartout für alle unsere Aufführungen. Mit dem Ausdruck der vorzüglichsten Hochachtung
Ihr Sie nie verjessender Käsebier.
Ach Männe, vielleichts wirste noch berühmt? Det gloobste doch selber nich."
Tatsächlich wurde der begabte, bislang aber nur in seinem angestammten Milieu in dem Kleine-Leute-Viertel Neukölln bekannte und beliebte Volkssänger Georg Käsebier quasi über Nacht berühmt, nachdem ihn erst der Redakteur einer bekannten Berliner Zeitung gelobt und in der Folge auch ein Konkurrenzblatt ihm einen Artikel gewidmet hatte, der zum Wegbereiter in Richtung Kudamm wurde:
"DER VOLKSSÄNGER
Käsebier. Er war klein. Ein bisschen pummlig. Kein Adonis, von dem die Mädchen träumten, aber eine Stehauffigur, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Sang kleine Lieder über kleine Leute:
Ich tanz Charleston,Du tanzt Charleston, er tanzt Charleston,
tanzt noch jemand Charleston? Sie tanzt ooch.
Ich geh stempeln, Du gehst stempeln, er geht stempeln,
bald gehn wir alle stempeln,
und wat tun Sie?"

Wir schreiben das Jahr 1929, kurz vor dem großen Börsenkrach, die Wirtschaftskrise kündigt sich schon an. Vorerst jedoch amüsiert man sich in der Hauptstadt wie Bolle und nimmt das Leben am Rande des Abgrunds leicht, zumindest die Schickeria:

"PARTYGESÄUSEL
Wie gehts, wie stehts? Wie liegts? Vertikal ausgezeichnet. Daher horizontal gestrichen. Wie schade."

Die Journalistin und Gerichtsreporterin Gabriele Tergit kannte sich aus in der Presse,in der Politik, in der Justiz, in der Geschäftswelt, in der Theaterszene, in den Kneipen im Berlin der 20er-, 30er-Jahre. Ihr Roman "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" galt als Schlüsselroman - über die bessere und nicht so feine Berliner Gesellschaft und über einen sympathischen Protagonisten, dem wohl ein "echter" Volkssänger zum Vorbild gedient hat.

Der wunderbaren Hörbuch-Fassung merkt man die Begeisterung des alten Funk- und Fernseh-Kabarett-Hasen Volker Kühn an. Mit den lebensnahen, akustisch geschickt unterlegten Dialogen, der Musik jener Zeit und den facettenreichen Charakteren malt Kühn ein atmosphärisch stimmiges Klangbild der damaligen Hauptstadt.

Mit über 20 Darstellern aufwändig produziert hat dies der erstaunliche Ein-Mann-Betrieb Alfred Wagner von duo-phon records:
"KÄSEBIER...
Hallo, hallo hier Radio, hier Radio Berlin, auf Wellenlänge soundso,
der kleine pummelige Unterhaltungskünstler spricht uns aus dem Herzen. Ein Phänomen. Käsebier, das ist die Vernunft, die himmlische Ratio, seinen Schmerz an der Welt nicht mehr allein hinauszuschreien, sondern als Abendvergnügen vor Leuten wie Du und ich vorzutragen."

Alsbald boomt Käsebier, er tritt im Radio auf, macht Schallplatten und Reklame, dreht Filme, er ist wer. Und bald auch wittern Spekulanten ihre Chance. Der Bauunternehmer Mitte und der Bankier Muschler planen das ganz große Ding direkt am Kurfürstendamm, mit einem Riesentheater, mit edlen Restaurants und teuren Geschäften - und mit Käsebier als Zugpferd. Über Nacht jedoch bricht alles zusammen:
"LIED VON DER PLEITE
Mach lieber heute als morgen pleite
Denn eenmal musst Du doch pleite gehn
Die meisten Leute die machen pleite
Warum sollst Du nicht auch pleite gehen"."

Der Börsenkrach ist da. Der Immobilienhai ist bankrott, der Bankier flieht, die Leute verlieren ihre Arbeit.

Und die Presse? Bis auf wenige Ausnahmen dient sie sich alsbald den neuen Herren an. Und Käsebier ist eines ihrer Opfer:

""SAUBERE GESCHÄFTE
Ein Herr Golisch, der eigentlich Kohn heißt, ein schmieriger Jude im Solde des Herrn Kochius, hat den feixenden Sänger entdeckt, der die edelsten Güter in den Schmutz und die Mannentreue in den Jargon der Rotfrontschweine zieht - das ist ja fast ein Ritterschlag."

Käsebier verschwindet in der Versenkung und tingelt fortan in der Provinz. Das Hörbuch "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" von Volker Kühn ist ein rundum gelungenes akustisches Zeitgemälde - anrührend, informativ und spannend bis zum letzten Ton.

Besprochen von Sigrid Menzinger

Käsebier erobert den Kurfürstendamm
Der Bestseller-Roman (1931) von Gabriele Tergit

Hörbuchfassung von Volker Kühn
Duo-phon-records
2 CDs, 1 Stunde 44 Minuten