Gelebte Vision in Südafrika

Von Leonie March · 29.11.2011
Für die Südafrikaner, die Gastgeber der Weltklimakonferenz, ist Umweltschutz ein Fremdwort. Bis auf ein Ökodorf im Western Cape. In der von Trockenheit geplagten Region setzen die Bewohner auf gefiltertes Wasser und Solarenergie – und wollen ein Vorbild für das Land sein.
Schon von Weitem wirkt das Ökodorf Lyndoch wie ein Idyll: Gelegen am Fuß eines Weinbergs, rund eine halbe Stunde Fahrtzeit von Kapstadt entfernt. Zwischen den Häusern spielen Kinder. Hohe Bäume spenden Schatten. Durch liebevoll gepflegte Blumen- und Kräutergärten führen kleine Pfade. Hier lebt Eve Annecke - in einem ungewöhnlichen ockerfarbenen Haus mit ausladenden runden Formen, erbaut aus Lehmziegeln und mit viel Glas. Auf dem Dach ihres Hauses ist – wie bei den anderen auch - eine Solaranlage zu sehen. Eve Annecke:

"Ich koche mit Biogas. Der Warmwasserboiler, den ich jeden Abend zum Duschen nutze, wird mit Solarenergie betrieben. Das Spülwasser in meiner Toilette wurde vorher recycled. Im Garten wachsen ausschließlich einheimische Pflanzen. Die Kinder in unserer Gemeinschaft wachsen in einem sicheren und schönen Umfeld auf."

Die schlanke Frau mit den grau melierten Haaren ist eine der Gründerinnen des Ökodorfs. Alles begann vor über zehn Jahren mit der Vision einer sozial und ökologisch nachhaltigen Gemeinschaft. Südafrikaner aller Hautfarben, die im Einklang mit der Natur leben. Ein radikaler Gedanke in einer Gegend, in der farbige Farmarbeiter von weißen Großgrundbesitzern zu Zeiten der Apartheid noch mit Alkohol statt mit Geld entlohnt wurden und in der ökologische Nachhaltigkeit niemandem ein Begriff war:

"Wir haben zunächst ein Grundstück mit einem wunderschönen alten Haus darauf gekauft und es nach ökologischen Vorgaben zu einer Schule umgebaut. Arbeiter aus der Gegend haben sonnengetrocknete Lehmziegel hergestellt. Das hat sowohl Energie als auch Zement gespart. Wir nutzen den Wind, um das Gebäude angenehm kühl zu halten.

Das hat die Nachfrage an Wohnhäusern geweckt: Manche sehnten sich einfach nur nach einem eigenen Dach über dem Kopf. Andere waren an den modernen ökologischen Technologien interessiert. So konnten wir zeigen, dass Nachhaltigkeit Vorteile auch für arme Menschen bietet. Durch solarbetriebene Warmwasserboiler konnten wir unsere Stromrechnungen um bis zu 50 Prozent senken. Wenn die Mittelklasse also bewusster lebt, können die Armen ihren ökologischen Fußabdruck vergrößern und so kommen wir gemeinsam vielleicht doch mit diesem einen Planeten aus."

Eve Annecke lächelt und geht einen kleinen Pfad entlang. Vorbei an dem schweren Betondeckel der Biogasanlage und an mehreren runden grünen Containern der Wasseraufbereitung. Das Wasser aus Waschbecken und Duschen wird gefiltert und wieder ins System gespeist. Ein geschlossener Kreislauf, der in diesem Teil Südafrikas besonders wichtig ist.

Schon jetzt leidet die Region rund um Kapstadt jeden Sommer an Wassermangel. Obst- und Weinbauern geraten zunehmend unter Druck. In einigen Gebieten sind die Grundwasserreserven bereits ausgeschöpft. Klimaforscher sagen ausgedehnte Dürreperioden und steigende Temperaturen voraus. Wasser gilt hier als eines der wertvollsten Güter der Zukunft, betont Eve Annecke, während sie das älteste Gebäude des Ökodorfes betritt. Ein herrschaftliches Haus in kapholländischem Stil mit einem Café in der großzügigen Eingangshalle.

An den Holztischen sitzen überwiegend junge Leute, trinken Kaffee aus ökologischem Anbau, unterhalten sich angeregt. Studenten von Eve Annecke, die hier nicht nur das Ökodorf, sondern auch das "Sustainability Institute" mitgegründet hat. Ein Institut für nachhaltige Entwicklung. Die handverlesenen Studenten stammen aus allen Bevölkerungsschichten und können neben einem Bachelor- oder Master-Abschluss auch praktische Erfahrung sammeln. Lyndoch ist ein Ort ständiger Experimente, erzählt Phethang Mabeba, Tochter einer der Ökodorf-Begründerinnen und Mitarbeiterin im Institut:

"Viele Dinge hier stecken noch in der Entwicklung. Wir lernen durch Erfahrung und wenden das Gelernte praktisch an. Es ist so eine Art Spielwiese für die Studenten und ihre Forschungen."

Die 23-Jährige hat selbst mit ihrer Familie im Ökodorf gelebt. Vor ein paar Monaten ist sie in eine eigene Wohnung südlich von Kapstadt umgezogen. Dabei ist ihr aufgefallen, wie sehr sich das Leben in Lyndoch vom Alltag der meisten Südafrikaner unterscheidet:

"Alle hier benutzen Energiesparlampen. Keiner lässt das Licht über Nacht brennen. Jeder schaltet seinen Fernseher aus. Viele meiner Freunde in der Stadt haben den Fernseher dagegen ständig an, oft läuft er ohne Ton. Der Gedanke, Energie sparen zu müssen, kommt einfach nicht. Aber wenn ich versuche das anzusprechen, werde ich als Ökofreak abgestempelt, als jemand, der Bäume umarmt."

Umwelt- und Klimaschutz sind in Südafrika nicht in. Die aufstrebende Jugend hat ebenso wie die Mittelschicht in dem Schwellenland Nachholbedarf beim Konsum. Zu lange war er einer weißen Minderheit vorbehalten. Auf den Straßen Kapstadts sind heute überdurchschnittlich viele Geländewagen, Luxuskarossen und große Limousinen zu sehen.

Der öffentliche Nahverkehr ist wie in allen südafrikanischen Metropolen nur mangelhaft ausgebaut: Ein paar Züge verbinden die Townships mit der Innenstadt, Minibustaxis sind das Haupttransportmittel. Busse, die zur Fußball-WM im letzten Jahr für die Innenstadt angeschafft wurden, sind kaum ausgelastet.

Die neuen Fahrradwege werden überwiegend von denen genutzt, die Sport treiben wollen. Männer, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder Mütter, die ihre Kinder mit dem Fahrrad zur Kita bringen, fehlen im Stadtbild. Wer öffentliche Verkehrsmittel nutzt, so das Vorurteil, hat kein Geld fürs eigene Auto. Dasselbe gelte für erneuerbare Energien, betont Dr. Antonie Nord, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kapstadt:

"Ich denke, das Thema ist in Südafrika noch ein Thema für Spezialisten. Erneuerbare Energien werden vom Durchschnittsbürger eigentlich gesehen als "second class energy". Das ist traurig. Aber es ist hier eben nicht sexy, Solarzellen auf dem Dach zu haben. Ganz im Gegenteil: In Südafrika ist das Image eher: Arme Leute sind nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen. Sie haben vielleicht so Wasserspeicher auf dem Dach, die durch Sonne erhitzt werden.

Das gilt nicht als Zeichen für fortschrittlich sein, sondern das gilt eher als Zeichen dafür, dass man sich es nicht leisten kann, da zu wohnen, wo die Leute eben Zugang zum nationalen Netz haben. Also erneuerbare Energien haben ein Imageproblem in Südafrika, jedenfalls beim Durchschnittsbürger, und dieses Image zu ändern und zu sagen, erneuerbare Energien sind eine Chance für euch, das ist eine Herausforderung, vor der das Land steht."
So sucht man in den sonnenverwöhnten, wohlhabenden Vororten Kapstadts vergeblich Solaranlagen auf den Dächern. Aber die Regierung will den Anteil erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2020 auf 15 Prozent erhöhen. Lange hatte der staatliche Energieversorger Eskom diese Entwicklung blockiert. Bislang werden etwa 95 Prozent des Stroms in Südafrika in Kohlekraftwerken produziert.

Eskom baut momentan zwei neue Anlagen, die zu den größten der Welt gehören werden. Gleichzeitig ist ein massiver Ausbau der Atomenergie geplant. Die beiden Vorzeigeprojekte im Bereich der erneuerbaren Energie, ein Wind- und ein Solarpark mit einer Leistung von jeweils 100 Megawatt wirken dagegen vergleichsweise bescheiden.

Für die Ärmsten der Armen, die noch immer in selbst gebauten Bretter- und Blechhütten am Kap wohnen, baut die Regierung nach und nach kleine Häuser. Viele von ihnen haben ein Solarpanel für die Warmwasserversorgung. Diese Leute sparen eine Menge Geld, meint Veronica Daniels. Die 57-jährige Großmutter hatte lange auf ein eigenes Haus gespart. Hilfe vom Staat bekam sie damals nicht. Im Gegensatz zu mehreren Nachbarn ist sie zwar ans Stromnetz angeschlossen. Doch die ständig zunehmenden Preise bereiten ihr Sorgen. Allein in diesem Jahr sind sie landesweit um rund 25 Prozent gestiegen. Veronica Daniels:

"Die Strompreise gehören hier zum Tagesgespräch. Meine Rechnung beläuft sich im Monat mittlerweile auf über 500 Rand. Dabei versuchen wir schon zu sparen: Wenn alle gebadet haben, stelle ich den Boiler aus. Auch in der Küche stelle ich die Geräte nach dem Kochen aus. Dann sitzen wir alle gemeinsam in meinem Zimmer und schauen fern. Das Außenlicht schalte ich nur ein, wenn ich ein Auto vorfahren höre. Ansonsten bleibt es aus."

Fast ein Fünftel ihres Gehalts gibt Veronica Daniels für Strom aus. Südafrikas staatlicher Energieversorger Eskom sei dafür aber nicht allein verantwortlich, erklärt Lance Greyling, Fraktionsführer der Oppositionspartei Independent Democrats und Mitglied in den Parlamentsausschüssen Energie und Umwelt:

"Eskom verkauft den Strom an die Städte und Gemeinden. Diese wiederum haben laut Verfassung das Recht, ihn an die Konsumenten weiterzuverkaufen. Die meisten erheben dafür Gebühren, die in vielen Fällen sogar den Löwenanteil ihres Haushalts ausmachen. Die Stadtverwaltungen sind also auf den Verkauf von Strom angewiesen. Sie versuchen so viel Geld wie möglich einzunehmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren."

Da Strom für Städte wie Kapstadt eine lukrative Einnahmequelle ist, haben sie auch kein Interesse daran, die Bürger und vor allem die Industrie zum Stromsparen zu motivieren, kritisiert Lance Greyling. Dabei wäre das Potenzial enorm: Eskom selbst spricht von Einsparmöglichkeiten von bis zu 12.000 Megawatt in den kommenden 20 Jahren. Das entspricht der Leistung mehrerer Kohlekraftwerke. Lance Greyling:

"Es wäre der schnellste, einfachste, preiswerteste und sicherste Weg, die gegenwärtige Energiekrise zu lösen. Die gewonnene Zeit könnten wir dann nutzen, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. So würden auch die Strompreise langfristig fallen und nicht wie bislang weiter steigen. Eine solche Energiepolitik hätte meiner Meinung nach Zukunft."

Das Ökodorf Lyndoch hat diesen Weg bereits eingeschlagen. Im Seminarraum über dem Café stellen Studenten eine neue Entwicklung vor. Auf einem Tisch haben sie ein aktenkoffergroßes Solarenergie-System aufgebaut, das vor allem den Menschen in den Townships und ländlichen Regionen zugutekommen könnte.

Die Atmosphäre unter den jungen Leuten zeugt von Optimismus, trotz des harschen Widerspruchs zur südafrikanischen Realität. Denn auch auf absehbare Zeit wird der Löwenanteil der Energie noch mit Kohle erzeugt werden. Dementsprechend sieht die CO²-Bilanz des Gastgebers der UN-Klimakonferenz aus: Laut UN-Statistik aus dem Jahr 2008 lagen die Pro-Kopf-Emissionen bei knapp 8,8 Tonnen.

Es ist der mit Abstand höchste Wert in Afrika. Er liegt noch über den Pro-Kopf-Emissionen Frankreichs, Italiens oder Spaniens. Als eines der ersten Schwellenländer hat sich Südafrika zu einem konkreten Reduktionsziel verpflichtet: Bis 2020 will es seine Emissionen um 34 Prozent unter das erwartete Niveau senken. Die Ausgangslage sei schwierig, aber nicht hoffnungslos, betont Lyndoch-Gründerin Eve Annecke:

"Afrika hat eine große Chance, mit der konventionellen Herangehensweise zu brechen und gewisse Technologien zu überspringen. Wir haben hier im Ökodorf Lyndoch vorgemacht, wie es geht. Wir haben die gängigen Systeme nicht einfach übernommen, nur weil Ingenieure sie empfohlen oder die Gemeinde entsprechenden Druck ausgeübt hat. Wir haben über vier Millionen Rand gespart, weil wir davon überzeugt waren, dass wir ein ganz neues Modell entwickeln können.

In diesem Sinne ist nun auch Afrika in der Lage, einen neuen Weg einzuschlagen, gewisse Entwicklungsstufen zu überspringen und nicht die Fehler des Westens zu machen. Denn dort hat man momentan enorme Probleme, sich aus seinen verkrusteten Strukturen zu lösen. In Afrika dagegen gibt es viele Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung, die weniger Armut und einen schonenden Umgang mit den begrenzten Ressourcen bedeutet."

Dass sich diese Einsicht beim UN-Klimagipfel in Durban durchsetzt, glaubt Eve Annecke nicht. Die großen politischen und wirtschaftlichen Strukturen seien viel zu schwerfällig. Wichtig sei aber, dass an der Basis neue Projekte entstehen, Visionen entwickelt und getestet werden. So wie im Ökodorf Lyndoch.

Links auf dradio.de:

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