Gelbwesten und Antisemitismus

Gewalt und Hetze haben System

Am Pariser "Place de la Republique" setzen Demonstranten der sogenannte Gelbwesten Barrikaden in Brand.
Die Sprache der Gewalt: Gelbwesten setzen in Paris Barrikaden in Brand. © dpa / Francois Mori
Jürgen Ritte im Gespräch mit Vladimir Balzer · 17.02.2019
Die antisemitischen Parolen der Gelbwesten gegen den Philosophen Alain Finkielkraut sind mehr als nur ein "Betriebsunfall", sagt der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte. Für besonders gefährlich hält er in diesem Zusammenhang Intellektuelle wie Édouard Louis.
Nach antisemitischen Beschimpfungen gegen den Schriftsteller und Philosophen Alain Finkielkraut am Rande von "Gelbwesten"-Protesten hat die Pariser Justiz Vorermittlungen eingeleitet. Finkielkraut war gestern in Paris unter anderem mit "Du dreckiger Zionist" beschimpft worden. Dieser Angriff wirft erneut die Frage auf: Wie antisemitisch ist die Gelbwesten-Bewegung?
"Das ist im System – und das war es von Anfang an," sagte dazu Jürgen Ritte, Literaturwissenschaftler und Professor an der Sorbonne Nouvelle in Paris. "Auch wenn nicht alle Gelbwesten und alle, die dort demonstrieren, Antisemiten sind, so ist der Antisemitismus dieser Bewegung doch von Anfang an konsubstanziell gewesen." Er sei ein Erbe aus der Vor-Gelbwestenbewegung. Front National-Politikerin Marine Le Pen (heute: Rassemblement National) habe etwa gegen Emmanuel Macron gehetzt, unter anderem, weil dieser für das jüdische Bankhaus Rothschild tätig gewesen sei.

"Die absolute Kompromittierung der Bewegung"

Die Tatsache, dass ausgerechnet Alain Finkielkraut, der mit den Gelbwesten sympathisiert habe, nun Zielscheibe von Pöbeleien geworden sei, zeige, dass die Bewegung vollends im Antisemitismus angekommen sei – und dass es sich nicht nur um einen "Betriebsunfall" handle. Das Problem sei, dass viele Dinge, die in den vergangenen Monaten passiert seien – gewalttätige Übergriffe und eben antisemitische Hetze – von vielen in der Bewegung billigend in Kauf genommen wurden. "Doch was wir jetzt gerade erleben, ist eigentlich die absolute Kompromittierung dieser Bewegung", betonte Jürgen Ritte.
Für sehr bedenklich hält Ritte die Tatsache, dass es kaum Solidaritätsbekundungen für Finkielkraut seitens anderer französischer Intellektueller gebe. Speziell den in Frankreich sehr populären jungen Dramatiker Édouard Louis hält Ritte in diesem Zusammenhang für äußerst problematisch.

"Die Sprache der Gewalt und des Hasses"

"Er spricht eine Sprache der Gewalt, er spricht die Sprache des Hasses. Er behauptet – und geht damit auch durchs deutsche Fernsehen und das deutsche Theater, was ich sehr bedauerlich finde: Der Mörder meines Vaters heißt Emmanuel Macron. Wer so spricht, sät Hass." Er könne vor Édouard Louis nur warnen – auch wenn dieser derzeit sehr gehypt werde.
In Frankreich, so Ritte weiter, gebe es einen neuen Antisemitismus, den man sehr ernst nehmen müsse. "Und wir dürfen nicht so tun, als sei das eine Begleiterscheinung von ein paar Spinnern."
(mkn)
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