Gelähmtes Land

Von Gesine Dornblüth · 27.04.2012
Vier Explosionen, vorläufig 27 Verletzte, und das ausgerechnet in Dnjepropetrowsk, der Geburtsstadt der inhaftierten, hungerstreikenden ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko – das öffnet Tor und Tür für weitreichende Spekulationen.
Ein zynisches Werk des ukrainischen Geheimdienstes, um dem unter Druck stehenden Präsidenten Janukowitsch einen Vorwand zu liefern, hart durchzugreifen? Eine Maßnahme, um von der Causa Timoschenko abzulenken? Ein Werk oppositioneller Kräfte, die Sicherheitsbedenken streuen und der Regierung der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft versauen wollen? Die Tat von Islamisten gar, die in der Ukraine ein neues Anschlagssziel entdeckt haben? Alles ist denkbar. Sicher ist nur eines: Die Anschlagsserie wirft ein Licht auf die desolate Situation in der Ukraine.

Die vorläufige Bilanz der Regierung unter Präsident Janukowitsch ist erbärmlich. Vor zwei Jahren hat er den Ukrainern versprochen, ihre soziale Lage zu verbessern. Deshalb wurde er gewählt. Die Hoffnungen seiner Wähler hat er bitter enttäuscht. Die Preise steigen. Die Hälfte der Bevölkerung klagt, materiell schlechter dazustehen als vor zwei Jahren. Schon jetzt verlassen viele Menschen das Land, suchen in der EU Arbeit, oft illegal.

Auch außenpolitisch hat Janukowitsch versagt. Er hat die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union in eine Sackgasse getrieben. Und gleichzeitig hat er auch noch das Verhältnis zu Russland strapaziert. Das muss man erst mal schaffen.

Nun also auch noch Terroranschläge.

Es wird höchste Zeit, dass sich die europäische Öffentlichkeit stärker um die Ukraine kümmert – und zwar nicht nur bis zur Fußball-Europameisterschaft. Die Ukraine ist einer der größten EU-Anrainer. Es ist im Interesse der Europäer, die Ukraine zu stabilisieren. Die deutschen Politiker, die sich jetzt für die Ukraine aus dem Fenster lehnen, sollten allerdings tunlichst den Fehler vermeiden, ihre Unterstützung auf Julia Timoschenko zu beschränken. Denn die machtbewusste Politikerin hatte bereits die Möglichkeit, die Ukraine voranzubringen – und hat versagt. Als Premierministerin leistete sie sich einen Dauerstreit mit ihrem Partner, dem demokratischen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Beide gemeinsam lähmten das Land und machten damit die Rückkehr von Janukowitsch erst möglich.

Wer heute Verantwortung für die Ukraine übernehmen möchte, der muss nach integren Demokraten suchen. Es gibt sie. Es sind junge Leute, die nicht mehr in der Sowjetunion sozialisiert wurden, und die demokratische Werte teilen. Sie haben es verdient, in einer Demokratie zu leben.