Gekaufte Kunstgeschichte

Von Jochen Stöckmann · 21.09.2010
"Wenn Sie dieses Bild jetzt nicht kaufen, muss ich es wohl teurer machen!". In dieser nur scheinbar widersinnigen Reaktion eines Galeristen auf die etwas zögerliche Anfrage eines Sammlers liegt vermutlich das Schicksal unserer Kultur beschlossen: Der Markt macht sich frei von Kriterien wie Kennerschaft und Kunstverstand, zunehmend bestimmt der Preis die Qualität – und damit auch, was als Zeichen der Zeit, als Ausdruck unserer Epoche, als bleibender Wert gilt.
Eigentlich eine Aufgabe der staatlichen, also öffentlichen Museen, aber die können schon lange nicht mehr mithalten in dieser Konkurrenz: Um Personalkosten einzusparen, bleibt die Galerie der Gegenwart in Hamburg für Monate geschlossen – da erübrigt sich die Frage nach dem Ankaufsetat.

Sie sollte und muss jedoch gestellt werden. Stattdessen aber propagieren viele Museumsleute in falsch verstandenem Optimismus nach dem Motto "in der Krise wächst die Kraft" die Arbeit mit dem vorhandenen Bestand. Und auch Kunstkritiker heben diese Rückbesinnung auf die eigentlichen Museumsaufgaben lobend hervor, nicht als Verlegenheitslösung, sondern als Alternative zu der mit teuren Leihgaben bestückten Blockbuster-Schau.

Tatsächlich aber waren und sind auch heute noch große Retrospektiven für all jene Kunsthallen erschwinglich, die – wie etwa in Bremen – seit Langem schon mit brillanten Präsentationen den eigenen Bestand international attraktiv gehalten haben. Sie erhalten Leihanfragen aus aller Welt, können im Gegenzug auf fremde Spitzenkollektionen zurückgreifen. Angebahnt werden solche Tauschgeschäfte auch mit einem soliden wissenschaftlichen Katalog.

Die Aufgabe des Bewahrens darf also nicht isoliert gesehen werden, das Aufarbeiten und Erforschen gehört untrennbar dazu. Aber auch hier sind die Aussichten düster, selbst für die im Zusammenhang mit der "Raubkunst"-Debatte immer wieder geforderte Provenienzforschung fehlen entsprechende Planstellen.

Und als kollektiver Gedächtnisort, als kulturelle Zeitmaschine braucht das Museum nun einmal drei Dinge: Nur wer sammelt, der kann anschließend auch bewahren und erforschen. Darüber aber, über das schnöde Geld, wird nicht gesprochen. Die Haushalte in den roten Zahlen, die Kassen leer – da läuft jeder, der einen höheren Ankaufsetat fordert, Gefahr, sich zu blamieren. Und so geraten die öffentlichen Museen gegenüber den Privatsammlern hoffnungslos ins Hintertreffen.

Längst vorbei die Zeiten, da private Kunstsammler und Museumsdirektoren in Galerien, auf Messen und Auktionen einander auf Augenhöhe begegneten. Wenn es gar um avancierte, technisch aufwendige Kunstformen wie Videoinstallationen oder hochauflösenden Film geht, kann kein Museum mehr mithalten. Die deutsche Multimedia-Kollektion von Belang findet sich in Düsseldorf, in einem ehemaligen Fabrikgebäude, das die Privatsammlerin Julia Stoschek für ihre Kunst hat ausbauen lassen. Andere Sammler warten gar mit repräsentativen Neubauten für ihre Kollektion auf.

Nun mag man einwenden, dass viele diese Kunsthäuser auch der Öffentlichkeit zugänglich sind. Und dass einiges unserer zeitgenössischen Kunst im Lauf der kommenden Jahrzehnte doch noch seinen Weg in die Museen finden wird, vielleicht als Dauerleihgabe. Aber einmal abgesehen davon, dass viele Museen in der jüngsten Vergangenheit mehr als schlechte Erfahrungen mit der Übernahme privater Kunstkollektionen gemacht haben: Der Rückblick auf "die" Kunst des 21. Jahrhunderts wird damit abhängig vom Geschmack und Gesichtspunkt einzelner Sammler, wäre ganz privat.


Jochen Stöckmann, Jahrgang 1956, freier Kulturjournalist, Kunst- und Architekturkritiker. Studium Soziologie und Sozialpsychologie, Feuilletonredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", Arbeitsaufenthalte in Frankreich, Ausflüge in das 18. Jahrhundert und - nach 15 Monaten als "Bürger in Uniform" - in Militärgeschichte und -politik.
Jochen Stöckmann
Jochen Stöckmann© privat