Geist trifft auf Macht

21.01.2012
Lakonisch, kurz, präzise: Anhand der historischen Quellen schildert Hans Joachim Schädlich, wie sich das Verhältnis zwischen dem französischen Aufklärer Voltaire und dem preußischen König Friedrich II. entwickelt hat.
Schon mit seinem letzten Buch schien sich Hans Joachim Schädlich als ein Meister der Reduktion selbst übertroffen zu haben: "Kokoschkins Reise" war äußerst verknappt, mit kurzen Aussagesätzen, das Entscheidende blieb in den Sätzen ausgespart und entfaltete eine umso größere Wirkung. Jetzt, im neuen schmalen Bändchen mit dem Titel "Sire, ich eile", ist es Schädlich gelungen, sein Verfahren noch einmal zu radikalisieren. Im Buch vorher waren zwar nicht die zeitgeschichtlichen Umstände, aber immerhin die Hauptperson erfunden – jetzt braucht dieser Autor gar keine Fiktionen mehr. Er erzählt anhand der historischen Quellen minutiös nach, wie sich das Verhältnis zwischen dem großen französischen Aufklärer Voltaire und dem preußischen König Friedrich II. entwickelt hat. Er erfindet keine neuen Figuren, er nennt oft nur spröde Fakten, gibt häufig einfach authentische Zitatstellen aus Briefen und anderweitigen Notaten wieder – und dennoch ist es eine literarisch hoch aufgeladene Lektüre.

Zunächst werden auf durchaus amüsante Weise die Ehe- und Liebesverhältnisse im Frankreich des Spätabsolutismus am Beispiel von Voltaire referiert. Er lebt mit der Ehefrau eines guten Freundes mit dessen Einverständnis zusammen, und dieser wiederum hat seine Gespielinnen. Die sehr gelehrte Émilie du Chatelet erweist sich als eine kongeniale Partnerin Voltaires. Die Jahre auf dem Schlösschen Cirey, das Émilies Ehemann gehört, gestalten sich äußerst glücklich. Sie interessiert sich vor allem für Naturwissenschaften und ist eine große gebildete Dame der Aufklärung. Bis, wie beiläufig, zum ersten Mal der Name des Preußenkönigs fällt: in einer Aufzählung von Berühmtheiten, mit denen Émilie in Korrespondenz steht. Der junge Friedrich bedrängt Voltaire, an seinen Hof zu kommen, doch Émilie ist skeptisch, und Voltaire sieht den Kronprinzen und dann den König nur recht kurz. 1749 ist Émilie dann schwanger – von einem anderen – und stirbt kurz nach der Geburt.

Dies führt zum Entschluss Voltaires, in der Trauer des Abschieds, dem Ruf des Preußenkönigs zu folgen. Doch die Zeit mit Friedrich erweist sich als zermürbend. In kurzen, präzisen Skizzen und Informationen, unter der Beschränkung auf das absolut Wesentliche, ohne irgendwelche Ausführungen und Ausschmückungen, zeigt Hans Joachim Schädlich hier einen Modellfall für das Verhältnis von Geist und Macht. Die Künste erweisen sich für den Preußenkönig als bloßes Ornament, als ein Mittel, sich Prestige zu verschaffen. Voltaire flieht, wird von Häschern Friedrichs in Frankfurt am Main gedemütigt und gefangen gehalten, bis er ein Exil am Genfer See findet.

Der Schluss-Satz zeigt den ganzen Schädlich: "Er nannte das Haus Les Délices – Die Wonnen." Das ist gleichzeitig sarkastisch und leise triumphierend – ein Balanceakt, der äußerst schwer zu meistern ist. Genauso radikal in ihrer Lakonie sind die Sätze, durch die die große Liebe zwischen Voltaire und Émilie evoziert werden. Der Autor Schädlich ist in seinen Eigenarten völlig unverwechselbar. Und in den geglückten Momenten schlägt die Nüchternheit seiner Sätze in große Magie um.

Besprochen von Helmut Böttiger

Hans Joachim Schädlich: Sire, ich eile. Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle
Rowohlt Verlag, Reinbek
143 Seiten, 16,95 Euro


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