Geisel der Angstmacher

Rezensiert vom Tamar Amar-Dahl · 18.07.2010
Die israelische Gesellschaft fürchte sich vor dem Frieden, behauptet der Historiker Moshe Zimmermann - und erklärt dies mit dem Starrsinn des nationalen und religiösen Zionismus. Den politischen Aspekt des Problems blendet Zimmermann dagegen komplett aus - leider.
Moshe Zimmermann stellt die Frage, wie sich in den letzten 15 Jahren, also seit der Ermordung Itzhak Rabins 1995, eine mentale Haltung der Angst vor dem Frieden…

"…noch tiefer in der israelischen Gesellschaft verankern, immer stärker verbreiten und durchsetzen konnte, und welche Gruppierungen und Interessen dahinterstehen".

Ob es ihm gelingt, diese Frage überzeugend zu beantworten?

Aus einer linkszionistischen Perspektive schildert der Autor die unterschiedlichen Kräfte in der israelischen Gesellschaft, für die der Friede kein strategisches Ziel sei. Laut Zimmermann agitieren die "Nationalisten" (also der Rechtzionismus) und die "zionistische Orthodoxie" (das heißt der religiöse Zionismus) gegen die "Mehrheit der israelischen Gesellschaft", welche den "traditionellen Zionismus" oder auch Linkszionismus vertrete:

"Es ist ein ewiges Spiel, bei dem ein relativ kleiner, einflussreicher Sektor in der jüdisch-israelischen Gesellschaft der schweigenden oder unaufmerksamen Mehrheit ein künstliches Problem aufzwingt, die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter eskalieren lässt und die Mehrheit der israelischen Juden als Geiseln mitzieht. Der Erfolg des radikalen Sektors wird vor allem durch die Besatzung des Westjordanlandes und den Unfrieden mit den Palästinensern begünstigt, was ein Grund sein mag, diesen Zustand permanent aufrechtzuerhalten."

Doch handelt es sich bei der Besatzung der palästinensischen Gebiete wirklich um ein "künstliches Problem", das allein das Anliegen eines "radikalen Sektors" ist? Was ist aber die Ideologie der hier behandelten drei zionistischen Lager? Worin unterscheiden sie sich wirklich? Diese Fragen bleiben hier weitestgehend ungeklärt, weil die zionistische Ideologie und dementsprechend die israelische Politik kein Gegenstand dieser Abhandlung sind.

Dem Text liegt die linkszionistische Sicht der Geschichte zugrunde, der zufolge der Arbeiterzionismus bis 1977 eine gemäßigte, säkulare, ja weltgewandte Politik verfolgt habe, während ab 1977 die Rechtszionisten in Zusammenarbeit mit den Nationalreligiösen "einen jüdischen Sonderweg" beschritten hätten,…

"…der auch im Hinblick auf den Nationalismus ein vermeintlich biblischer Weg sein sollte."

Ungeachtet der Frage, wie sich der Linkszionismus zum Alten Testament verhält, gerade um die Eroberung und Besiedlung des "Lands der Urväter" zu rechtfertigen, geht Zimmermann so weit, dass er seinem Kritikgegenstand, dem rechts-religiösen Zionismus, tatsächlich die zionistische Ideologie abspricht:

"Da das Ergebnis des neuen Denkprozesses eine zionistische Ideologie war, die sich in erster Linie um den jüdischen Charakter des Judenstaates sorgt, handelt es sich dabei im Endeffekt um eine totale Dekonstruktion des traditionellen Zionismus. Mit anderen Worten: Die Staatsideologie, die sich noch immer Zionismus nennt, ist letztlich der wahre, wenn man so will, wirkliche Postzionismus…"

Bei dieser Dichotomie zwischen den nationalistischen, biblisch orientierten und daher kompromissunfähigen "Postzionisten" einerseits und dem weltgewandten, säkularen, kompromissbereiten, "traditionellen Zionismus" andererseits bekommt Zimmermanns Argumentation Risse. Denn hier zählt er sogar die konsensfähigste Instanz der israelischen Gesellschaft zu den Interessengruppen, die angeblich die Angst vor dem Frieden schüren:

"Das Militär ist ständig in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, hat eine konkrete Vorstellung vom Feind, glaubt also wenig an einen im europäischen Verständnis 'normalen’ Frieden und gehört so zu den größten Angstmachern im Lande."

Der Vater der israelischen Nation, David Ben Gurion, prägte eine politische Ordnung, in der das Militär als einziger Garant für die jüdische Nationsbildung in Erez Israel und für die Sicherung des Nationalstaats steht. Daher genießt das Militär nach wie vor große Unterstützung der israelischen Mehrheit - eben die Mehrheit, die Zimmermann als Geisel der Angstmacher und des fehlenden Friedenswillens darstellt. Doch auch hier bleibt die Frage nach dem politischen Hintergrund ungeklärt, weshalb nämlich das Militär diese konkrete Vorstellung vom Feind hat, und warum es wenig an eine europäische Normalität für Israel glaubt.

Wie aber soll man verstehen, weshalb 2010 eine ganze Gesellschaft "Angst vor dem Frieden" hat und sich daher einen Frieden nicht vorstellen kann, wenn man die Rolle von Militär und Politik bei der Implementierung des zionistischen Projektes in ganz Erez Israel von 1948 bis heute ausblendet - einschließlich der Politik des Linkszionismus vor und nach 1977. Denn wie Zimmermann selbst zugibt:

"Nicht nur die Siedler selbst, nicht nur die sich immer stärker ausbreitende rechte Szene, sondern die jüdisch-israelische Bevölkerung insgesamt hielt das Recht auf 'Ganz-Israel' und somit das Recht, überall im Land Siedlungen zu bauen, für selbstverständlich. Der Streit geht seither letztlich nur darum, ob man um des Friedens willen, das heißt zugunsten eines Waffenstillstands und regionaler Ruhe, also aus taktischen Gründen, auf Teile des Gebietes nicht doch besser verzichten sollte."

Moshe Zimmermanns "Die Angst vor dem Frieden" kann das "israelische Dilemma" nicht erläutern, weil das Buch selbst das Politische in diesem Konflikt dezidiert meidet. Diese Unfähigkeit zur Auseinandersetzung mit dem Politischen stellt ein wichtiges Dokument dar für die in linkszionistischen Kreisen grassierende Verzweiflung und Ratlosigkeit gegenüber der Frage, was Israels Friedensunfähigkeit für den alten, guten, traditionellen Zionismus bedeutet.

Moshe Zimmermann: Die Angst vor dem Frieden - Das israelische Dilemma
Aufbau-Verlag, Berlin 2010
152 Seiten, 14,95 Euro
Cover: "Moshe Zimmermann: Die Angst vor dem Frieden"
Cover: "Moshe Zimmermann: Die Angst vor dem Frieden"© Aufbau-Verlag