Geipel: Mafiöse Strukturen in ganz Ostdeutschland

Moderation: Nana Brink · 14.06.2007
Die Autorin und frühere DDR-Leistungssportlerin Ines Geipel hat dafür plädiert, dass Generalbundesanwältin Monika Harms sich der Korruptionsaffäre in Sachsen annimmt. "Ich fürchte, die Sachsen sind - auch aus ihrer alten Königstreue heraus - nicht in der Lage, diese sehr schwere Affäre zu klären", sagte Geipel, die aus Dresden stammt.
Nana Brink: Ihr Amt hat die neue Beeskower Burgschreiberin mit einem Paukenschlag begonnen. Der angebliche Korruptionssumpf in Sachsen gehöre ausgetrocknet und zwar ad hoc. Das fordert die Berliner Schriftstellerin Ines Geipel, seit Anfang der Woche Burgschreiberin in Beeskow, das ist ein kleines Städtchen in Brandenburg. Sie bezieht sich auf die seit Wochen schwelende Krise in Sachsen. In den Rathäusern von Leipzig und Plauen sollen Mitarbeiter Verbindungen ins Rotlichtmilieu gehabt haben, es geht um Kinderprostitution, auf dubiosen Wegen verschacherte Grundstücke, und Amtsmissbrauch in schwerwiegenden Fällen. Im Studio begrüße ich nun Ines Geipel, Berliner Schriftstellerin und seit Anfang der Woche, wie gesagt, Burgschreiberin in Beeskow, schönen guten Tag.

Ines Geipel: Guten Tag.

Brink: Bevor wir über Ihre deutliche Antrittsrede sprechen wollen, Frau Geipel, erstmal: Was ist eine Burgschreiberin? Das klingt sehr abenteuerlich.

Geipel: Das klingt deshalb so abenteuerlich, weil es wirklich um eine richtige Burg geht, mit Ritterrüstung und allem drum und dran. Aber im Grunde ist es dasselbe wie eine Stadtschreiberstelle in anderen Regionen. Man hat es aber wirklich auf die Burg verlegt. Also man sitzt wie ein Burgfräulein da in einer Klause und sieht da auf das Wasser und hat sehr schöne Bäume, also es ist Landschaft pur, eine Pracht.

Brink: In Beeskow. Und Sie müssen die Geschichte von Beeskow dann schreiben?

Geipel: Nein, muss ich nicht. Man ist ganz frei. Und ich bin eben auch gleich so frei gewesen zu sagen, ich bleibe ein bisschen bei der Politik.

Brink: Sie haben gleich bei Ihrer Amtseinführung die politische Karte gezogen und haben auf die gerade schwelende Krise in Sachsen reagiert, und ich zitiere jetzt mal aus Ihrer Antrittsrede: "Im Raum stehen Mord, Kinderprostitution, Wirtschaftskriminalität und Amtsmissbrauch, das heißt Verbrechen, die ohne Zaudern geklärt gehören. Was man in Ostdeutschland zunehmend beobachtet, ist die kriminelle Aushebelung der Demokratie in perfekt aufgeteilte Paralleluniversen durch Beutemacher jedweder Couleur." Das ist starker Tobak. Wie kommen Sie zu dieser Meinung?

Geipel: Nun gut. Also erstens bin ich Dresdnerin, also Sächsin. Ich habe in den vergangenen Jahren, also in den letzten zehn Jahren konkret, mich immer wieder zu ostdeutschen Nachwende-Phänomenen geäußert, am deutlichsten sicherlich mit dem Buch zum Schulmassaker in Erfurt. Habe dort natürlich auch Widerstand erfahren und habe aber durch sehr viele und lange Recherche mit vielen, vielen Lesungen, Gesprächen natürlich ein deutliches Bild.

Die ostdeutschen Bundesländer sind in Bezug auf die Submilieus natürlich jungfräuliches Land nach ’89 gewesen, und hier – so sieht es jedenfalls jetzt aus, hat sich ein Politklientel aus Ostdeutschland und Westdeutschland zusammengefunden und erdrückt die Demokratisierungsprozesse in Ostdeutschland.

Brink: Können Sie ein bisschen den Begriff Paralleluniversum erklären? Was ist denn ein Paralleluniversum, Ihrer Erfahrung nach, wie erleben Sie das in den ostdeutschen Gemeinden?

Geipel: Ja, also in den Gemeinden sieht man, dass in den Behörden Kräfte zusammenkommen - ich habe viele, viele Briefe erhalten, gerade im Zusammenhang mit dem Erfurter Schulmassaker, dass sehr viele engagierte westdeutsche Ministeriale in den Osten gegangen sind und massivste Mobbinggeschichten erfahren haben, sich in den Psychiatrien wiedergefunden haben.

Sie wollten ein neues Deutschland machen, und was hier gewonnen hat in Ostdeutschland, ist tatsächlich ein Klientel, das autoritär entgrenzt mit einem unglaublichen Machtgehabe, die politische Kultur, vor allen Dingen in Sachsen, aber eben auch in Thüringen, aber auch in Mecklenburg-Vorpommern bestimmen. Es ist natürlich zum Beispiel in Brandenburg nicht so massiv, weil dort nicht so viel Geld im Spiel ist.

Brink: Wer sind diese Leute, wer bildet diese Submilieus?

Geipel: Es ist ein Zusammengehen eines Politklientels, eines Machtklientels aus dem Osten, sprich Partei und Staatssicherheit, und, ich nenne es jetzt so salopp, Personen, die ich als Polit-Gangster bezeichne, die natürlich durch diese enormen Substitutionsmittel in den neuen Bundesländern – das geht ja immerhin um Billionen – dort in den letzten Jahren nach ’89 unglaubliche Geschäfte gemacht haben.

Brink: Also aus dem Westen?

Geipel: Aus dem Westen. Und das meine ich, dass hier nicht das Klientel oder die politischen Kräfte das Obsiegen haben, die wirklich losgegangen sind mit viel Energie und engagiert und gesagt haben: Hier, nach dieser Diktatur, nach dieser DDR, versuchen wir Ostdeutschland aufzubauen und den Bürgern auch das Vertrauen zu geben, dass es sich lohnt, mit eigenen Rückgrat für diese Demokratie zu streiten.

Im Gegenteil: Wir haben in Städten wie Leipzig, in Erfurt, in Jena, Dresden autochthone kriminelle Milieus. Und das haben Sie ja jetzt gelesen in den Medien, dass es hier bis in die Rotlichtszene, um Immobilien, Waffen geht. Und das gehört jetzt, ganz ruhig, ohne irgendwelche Verdächtigungen, ganz ruhig und seriös geklärt.

Und ich fürchte, und das sieht man in den letzten fünf Wochen, dass Sachsen auch aus ihrer alten Königstreue heraus – ich kenne ja die Sachsen, weil ich selbst von da komme – nicht in der Lage sind, aus sich heraus diesen sehr schweren Fall, diese sehr schwere Affäre, es ist wirklich eine Staatskrise, zu klären. Und deswegen habe ich mich hingestellt und gesagt, hier gehört die Bundesebene hinein.

Brink: Bevor wir darauf noch mal zu sprechen kommen, noch mal einmal nachgehakt. Sie beschuldigen, also Sie schelten ja eigentlich nicht die ostdeutsche Bevölkerung an sich, sondern Sie schelten eigentlich ja ein Amalgam zwischen ehemaligen Kadern aus der ehemaligen DDR und westdeutschen Emporkömmlingen, die sozusagen diese kriminelle Masse bilden.

Geipel: Absolut, das ist der Punkt. Wie gesagt, ich reise Woche für Woche, ob es nun Oelsnitz oder irgendwelches Hinterland in Ostdeutschland ist, und höre natürlich auch sehr viele Erzählungen von Menschen, die zu ihrem eigenen Recht kommen wollen, wo wirklich Rechtsbeugung vorliegt, wo die Behörden in erstaunlicher Weise agieren.

Es sind Tausende Fälle, es geht hier nicht um einen. Wo im Grunde das in diesem Satz kulminiert, und das finde ich sehr alarmierend: Die DDR war nicht schön, aber was wir heute haben, ist sehr, sehr viel schlimmer. Und ich glaube, das sollte man auch ernst nehmen, dass das wirklich Hunderte Menschen einem sagen nach Lesungen, und Geschichten erzählen.

Brink: Wie erklären Sie sich denn diesen Demokratieverfall in den ostdeutschen Ländern?

Geipel: Die Demokratie war ja nicht da. Wir sind ja nicht ’89 gestartet und haben gesagt, so. Wir haben sozusagen eine Nachholbewegung, eine ganze, und wir haben es nicht geschafft. Einerseits haben wir es nicht geschafft, die DDR-Geschichte zu erklären, es gibt eine absolute Schieflage in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte, und darüber legt sich jetzt ein Politfeld aus sehr massiven mafiotischen Strukturen, und das bestimmt natürlich das politische Klima der ostdeutschen Bundesländer extrem.

Brink: Wer sollte denn diesen angeblichen Sumpf, drücken wir uns vorsichtig aus, trockenlegen? Sie haben es angedeutet, es kann eigentlich nicht eine rein sächsische Angelegenheit bleiben.

Geipel: Ja, ich habe natürlich die Hoffnung, dass der Druck auf die Generalbundesanwältin Monika Harms noch einmal so stark wird, dass sie sagt …

Brink: Sie hat es ja abgelehnt.

Geipel: Sie hat es abgelehnt, aber es ist natürlich sehr unwahrscheinlich, dass sie komplett diese Summe an Akten in dieser kurzen Zeit hat einsehen können. Und ich hoffe sehr, dass durch die Tatsache, dass in Sachsen ja selbst eine Kontrollkommission tätig ist, aber der Druck noch mal so wird, dass es klar ist: Wir dürfen dieses Signal nicht verschlafen.

Denn es geht immerhin darum, wie die ostdeutschen Bürger weiter in ihren Städten und Gemeinden leben und mit welcher Kraft sie sozusagen sich von dieser Art von Korruption und kriminellen Energien befreien können. Und es wäre sehr wichtig, dass das hier an dieser Stelle sehr fundiert geklärt wird.

Brink: Wie soll das passieren, wie wollen Sie ein Signal setzen? Sie haben davon gesprochen, eine Prüfungskommission auf Bundesebene. Was meinen Sie damit konkret, wer könnte das machen, wenn es die Bundesstaatsanwaltschaft nicht macht?

Geipel: Na ja, ich hoffe, dass das nicht das letzte Wort ist von Monika Harms. Ansonsten gibt es so viele Korrektive in Ostdeutschland natürlich nicht. Also ich habe die Erfahrungen in Erfurt im Zusammenhang mit dem Schulmassaker gemacht. Da werden natürlich Kommissionen gegründet, aber letztendlich wird das politische Feld befriedet, weil das war natürlich keine unabhängige Kommission.

Und deswegen bin ich natürlich ja auch ein bisschen alarmiert, und ich fürchte, dass unsere demokratischen Kräfte in Ostdeutschland nicht stark genug sind und die Kraft haben, das zu klären an der Stelle.

Brink: Die letzte Frage: Sie sind Burgschreiberin von Beeskow, das ist eine Kleinstadt in Brandenburg. Sie sitzen in der Burg und gucken runter. Haben Sie schon irgendwelche Skandale in Beeskow auch entdeckt, und wenn ja, würden Sie sie dann aufdecken?

Geipel: Ich bin nicht die Skandalsucherin. Es geht hier wirklich um einen massiven Verwerfungsprozess, und da sollten wir auch als Bürger nicht schweigen. Ich werde in Beeskow natürlich mich umschauen, ich werde mit Bürgern in der Stadt sprechen. Und wenn ich den Eindruck haben sollte, es wäre gut, das Wort zu erheben, dann werde ich das natürlich tun. Aber ich renne jetzt nicht rum, ich will ja auch einen schönen Roman schreiben in Beeskow.

Brink: Auch ein bisschen Spaß haben. Vielen Dank, Ines Geipel, Burgschreiberin in Beeskow, und wir sprachen mit ihr über den Demokratieverfall im Osten Deutschlands.