Gehirnwäsche statt Geborgenheit

20.08.2008
Die Hamburger Scientology-Expertin Ursula Caberta hat schon im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt mit ihrem "Schwarzbuch Scientology", dessen Auslieferung die Sekte verhindern wollte. In ihrem neuen Buch beschreibt sie, wie Kinder von Scientology-Anhängern schon von Geburt an unter die Regeln der Sekte fallen und ihnen ein kindgerechtes und umsorgtes Aufwachsen verwehrt wird.
Lafayette Ronald Hubbard wollte nicht nur Erwachsene zu Scientologen machen, sondern auch Kinder. Und deshalb entwickelte er Regeln auch für sie - von ihrer Geburt an:

"( ... ) laut der entsprechenden Anweisung des Hubbard-Kommunikations-Büros ( ... ) soll man das Neugeborene weder baden noch auskühlen lassen, sondern in eine warme Decke wickeln und dann für einen Tag alleine lassen."

Ursula Caberta zitiert in ihrem Buch viele haarsträubende Scientology-Regeln für Kinder. Allerdings werden Kinder in der Organisation gar nicht als solche angesehen. Scientologen stellen die Gegebenheiten auf den Kopf: Für sie sind Kinder kleine Männer und Frauen, die für sich selbst verantwortlich sind, durchaus aber verantwortlich sein können für ihre Eltern, von denen man sie möglichst früh und gründlich zu entfremden sucht.

In den zur Organisation gehörenden Internaten müssen Kinder stramm arbeiten, werden nicht ausreichend unterrichtet, oft auch nicht ausreichend ernährt, wenn für nötig gehalten bestraft, so wird berichtet. Ursuala Caberta beschreibt den Tagesablauf der Internatskinder so, dass der an eine Strafkolonie gemahnt.

Aber auch Scientologenkinder, die bei ihren Eltern leben, werden so behandelt, dass eine normale kindliche Entwicklung kaum möglich zu sein scheint, denn den von Kritikern immer wieder mit Gehirnwäsche verglichenen Scientology-Praktiken werden auch Kinder unterzogen. So werden sie in ein geschlossenes Denksystem geführt, in dem jeder jeden bespitzeln muss.

"Ein weiteres gefährliches Moment für Kinder ist die Übernahme eines vorgefertigten Feindbildes. Sind erst einmal die Kurse über das 'Wissen' und die Feinderkennung vermittelt, gibt das dem Einzelnen eine Rechtfertigung, sich gegenüber 'erkannten Feinden' entsprechend zu benehmen. Die irgendwann verinnerlichte klare Trennung zwischen den 'guten' Scientologen und den 'verdammungswürdigen Unwissenden' lässt dem Scientologen keinen Verhaltensspielraum - schon gar nicht für Kinder."

Scientologen leben in einer streng reglementierten Gedankenwelt und bedienen sich eines eigenen Jargons. Kinder, die so erzogen wurden, können mit Nicht-Scientologen nur äußerst eingeschränkt kommunizieren. Sie verstehen andere Menschen nicht und spüren, dass umgekehrt andere sie nicht verstehen.

Es dauert oft Jahre, schreibt Ursula Caberta, bis Aussteiger in der normalen Welt wieder Beziehungen aufnehmen können. Wer schon als Kind durch seine Eltern Scientologe wurde, schafft es besonders schwer oder gar nicht, die früh verinnerlichten Denkmuster wieder los zu werden. Trotz dieser Gefährdungen ist es kaum möglich, Kindern aus der Psychosekte herauszuhelfen, schreibt Caberta:

"Obwohl inzwischen verschiedene Versuche auch vor Familiengerichten unternommen wurden, scientologische Kinder aus dem Umfeld und der Beeinflussung durch die Organisation und der überzeugten Eltern oder Elternteile zu lösen, ist das bisher so gut wie nie gelungen. Und zwar gleich, ob der ausgestiegene Elternteil nun um seine Kinder kämpft oder andere Verwandte (...) versuchen, zumindest dem zuständigen Jugendamt die Problematik der Kinder oder des Kindes deutlich zu machen."

Ursula Caberta hat vieles von dem, was einem Kind bei Scientology geschehen kann, in einen fiktiven Lebenslauf gepackt und nennt den Protagonisten ihrer Geschichte Edwin. Sie schildert, welche Probleme dem kleinen Jungen daraus erwachsen, dass seine Eltern tags und bis in die Nacht für die Scientology-Organisation arbeiten und auf seine Beziehungswünsche und Krankheitsepisoden nicht einfühlsam reagieren, sondern mit abweisenden Scientology-Mustern.

Sie lässt Edwin einschlägige Internate besuchen, und schließlich schildert sie, welche Möglichkeiten er hätte, aus der Psycho-Organisation auszusteigen. Caberta schreibt in der Einleitung ihres Buches, sie habe in Edwins Geschichte Lebensläufe untergebracht, von denen sie wisse, dass sie sich "genau so oder ähnlich" tatsächlich zugetragen haben. Sie illustriert die Geschichte von Edwin mit vielen, vielen Zitaten aus scientologischen Texten. All das ist erhellend.

Allerdings fragt man sich, warum die Scientology-Expertin eine fiktive Geschichte erzählt und nicht reale Fallbeispiele präsentiert. Das schmälert den Wert ihres Buches, auch wenn Mutmaßungen über die Gründe dafür nahe liegen. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Scientology-Organisation ist überaus klagefreudig. Aussagen von Aussteigern hätte sie gerichtlich angreifen können, und natürlich muss die Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology bei der Behörde für Inneres in Hamburg vor allem all jene Aussteiger schützen, die bei ihr Hilfe suchen, so wie die 14-Jährige, die im letzten Jahr mit ihrem Stiefbruder von Berlin nach Hamburg floh, um sich an Ursula Caberta zu wenden. Ein Fall, über den die Presse prominent berichtete.

Rezensiert von Barbara Dobrick

Ursula Caberta: Kindheit bei Scientology. Verboten!
Gütersloher Verlagshaus, 2008
160 Seiten, 15,95 Euro