Geheimnisse des Mikrokosmos

Rezensiert von Kurt Darsow · 21.03.2006
Unser Bildungssystem hat nicht den besten Ruf. Jetzt zeigt eine 20-jährige Autorin, was auch in PISA-Zeiten auf deutschen Schulbänken noch möglich ist: Sie hat sich schon als Gymnasiastin in die Geheimnisse des Mikrokosmos eingearbeitet und jetzt ein Buch mit dem Titel "Skurrile Quantenwelt" geschrieben.
Bescheidenheit ist eine Zier? Silvia Arroyo Camejo zumindest ist der Verzicht auf diese altmodische Tugend gut bekommen. In einem Alter, in dem Jugendliche normalerweise mühsam begreifen, dass sie nichts wissen, nahm die Berliner Schülerin sich heraus, ein Buch über Quantenphysik zu verfassen.

Sie legte das Manuskript dem Heidelberger Quantenphysiker Hans Dieter Zeh zur Begutachtung vor. Der Fachmann war begeistert und empfahl das Werk an einen renommierten Wissenschaftsverlag weiter. Fehlte nur noch ein beifälliger Artikel im "Spiegel" über das "kluge Buch eines hübschen Mädchens" und schon war die erste Auflage ausverkauft. Dabei hatte das "Mädchen" den Erfolg gar nicht eingeplant:

"Dieses Buch ist der pure Ausdruck meiner Freude daran, eine didaktisch möglichst wertvolle und verständliche, aber dennoch tiefschürfende und umfassende Darstellung der so wundervollen und faszinierenden Themen zu geben, welche die Quantenphysik behandelt, und meines persönlichen Wunsches, das alles eines schönen Tages vielleicht selbst einmal begreifen zu können."

Dass Wärmeenergie nur in bestimmten Quanten ausgestrahlt wird, dass Teilchen gleichzeitig auch als Welle auftreten können, dass sie keinen präzisen Ort einnehmen und in spukhafte Beziehung zueinander treten können - diese und andere Eigentümlichkeiten machen die Quantenwelt so faszinierend anders als die Alltagswelt, sodass man verstehen kann, weshalb die Autorin im Vorwort ihren "unstillbaren Wissensdurst" und ihr "gigantisches Interesse" daran bekundet.

"Das Schönste und Tiefste, was ein Mensch erfahren kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen", meinte schon Albert Einstein. Auch wenn er von Teleportation noch gar nichts wusste: Silvia Arroyo Camejo könnte sich auf ihn berufen:

"Unter dem Begriff Teleportation stellt man sich wohl zunächst eine der utopischen Szenen aus Science-Fiction-Abenteuern wie Star Trek oder Ähnlichem vor, in welchen Menschen per Knopfdruck von A nach B 'gebeamt' werden. Hochgradig absurder physikalischer Schwachsinn? Vielleicht doch nicht ganz, wie uns einige Experimente der neuesten Zeit glauben machen wollen! Schon 1997 berichtete die Experimentalgruppe um Harald Weinfurter und Anton Zeilinger von der Universität Innsbruck die erste sogenannte Quanten-Teleportation erfolgreich realisiert zu haben."

Da die verfügbare Literatur dem Fragebedürfnis der Autorin nicht entsprach, beschloss sie kurzerhand, das Buch selbst zu schreiben, das sie gern gelesen hätte. Sie absolvierte sozusagen einen Leistungskurs in eigener Sache, was dem Frage- und Antwortspiel ihres Textes deutlich anzumerken ist.

Aber hat sie die komplizierte Materie über dieses verständliche Anliegen hinaus auch durchdrungen? Ist sie ihr geistig gewachsen oder schreibt sie den Wissensstoff nur ihrer Auffassungsgabe entsprechend um? Von "Klassikern" wie dem Doppelspaltexperiment oder dem Compton-Effekt ausgehend gelangt sie bis zu den hochspekulativen Theorieansätzen der Gegenwart. Ist das nicht etwas viel auf einmal?

"Zugegeben, die recht kreativen Annahmen der Superstringtheorie, Loop-Quantengravitation und Co. hören sich nicht gerade sehr realitätsnah an. Soll die Materie tatsächlich aus "Energie-Fäden" bestehen, die in einer zehndimensionalen Raumzeit schwingen? Oder ist das Universum etwa wirklich aus Spin-Schäumen, die aus winzigen Raumschleifen bestehen, aufgebaut? Selbst als Stoff für Science-Fiction-Sagen könnten diese Theorien als reichlich übertrieben gelten."

Man kann an das Werk einer 20-Jährigen keine Ansprüche stellen, die auch von gestandenen Fachautoren nicht erfüllt werden. Es ist schon aller Ehren wert, dass sie sich eines esoterischen Stoffes bemächtigt hat, der normalerweise Gegenstand eines Hochschulstudiums ist. Geistiger Mut und wissenschaftliche Neugier, wie sie aus ihrem Projekt sprechen, sind heute nicht gerade an der Tagesordnung.

Dem deutschen Bildungswesen muss man zugute halten, dass es solche wirtschaftsfremden Eigenschaften überhaupt noch zulässt. Zwar ist es seit vielen Jahren vorwiegend mit sich selbst beschäftigt, aber das hat offenbar auch seine Vorteile.

Silvia Arroyo Camejo hat den geistigen Freiraum genutzt. Der Springer Verlag allerdings hat seine Hausaufgaben nicht gemacht, als er das frisch von der Leber weg formulierte Buch im sprachlichen Rohzustand auf den Markt warf. Wozu gibt es eigentlich Lektoren?


Silvia Arrojo Camejo, Skurrile Quantenwelt.
Springer Verlag, Heidelberg.
246 Seiten, 29,95 Euro.