Gegenwind für König Olaf

Von Axel Schröder · 16.05.2013
Seit zwei Jahren regiert Olaf Scholz die Freie und Hansestadt Hamburg mit absoluter Mehrheit. Für seinen Regierungsstil aber erntet er viel Kritik: Alle großen Entscheidungen ziehe er an sich, heißt es aus der Opposition. Und: Die Politik degeneriere unter ihm.
Erster Auftritt des Königs
Es war einmal ein König, der wollte am liebsten keiner sein. Auf jeden Fall keiner mit Krone und Zepter, der Hermelinmantel über den breiten Schultern konnte ihm gestohlen bleiben. Sogar der Jubel und die "Olaf!-Olaf!"-Rufe waren ihm suspekt. Damals, am 20. Februar 2011, steht Olaf Scholz auf der Bühne in der Fabrik, einem Hamburger Kulturzentrum. Die absolute Mehrheit der Wählerstimmen hat er für die SPD geholt und niemand hatte mit der Sensation gerechnet.

Scholz: "Liebe Freundinnen und Freunde! Das ist ein sehr beeindruckendes Ergebnis, das uns die Prognosen vorhersagen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben mir ihr Vertrauen geschenkt. Das nehme ich sehr ernst."

Und genauso ernst steht er auch da. Wirkt seltsam beherrscht, vielleicht ergriffen vom Jubel oder dem Respekt vor der Arbeit, die vor ihm liegt. Schließlich hat er viel versprochen:

"Es geht um solide Finanzen, um die Wirtschaft, um den Wohnungsbau, um das, was wir für die Kitas, die Schulen tun können, die Universitäten. Für die Kunst und die Sicherheit. Und ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Sie werden nicht enttäuscht werden. Wir werden das, was wir vor der Wahl gesagt haben, auch hinterher tun. Wir werden uns an die Arbeit machen."

Wie kein anderer Politiker wirbt Scholz um das Vertrauen der Hamburgerinnen und Hamburger, will sich messen lassen am Erreichten. Am 7. März 2011 wird er zum Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg gewählt. Seitdem regiert er im Rathaus, in der Senatskanzlei. Hohe Decken, weiß getünchte Wände, ein aufgeräumter Schreibtisch auf der einen, eine Sitzecke auf der anderen Seite des weiten Raums. Wie erklärt er heute seine Reserviertheit am Wahlabend, die sparsam dosierten Emotionen?

"Das Wahlergebnis war etwas sehr Bewegendes. Ganz sicher. Man spürt auch das Vertrauen, das sich darin widerspiegelt. Aber für mich sind Wahlergebnisse völlig unterschiedlich zu dem, was man auf einem Fußballplatz erlebt und erleben möchte. Da siegt nicht die eigene Mannschaft, sondern da kriegt eine im demokratischen Wettbewerb stehende Partei einen Auftrag. Den muss man umsetzen, den habe ich auch als Person bekommen, und deshalb habe ich sehr bewusst gesagt: An die Arbeit!"

Wie man "König" wird
Trotz seiner demütigen Bescheidenheit dauerte es nicht lange, bis Hamburgs Zeitungen über den neuen Regenten als "König Olaf" schrieben. Und zwar nicht, weil ihn schon seine Anhänger am Wahlabend so feierten. Nicht, weil es das prächtige Rathaus mit seinen opulent verzierten, fußballfeldgroßen Sälen locker mit vielen Palästen aufnehmen kann. Nein, gemeint ist der Regierungsstil des Bürgermeisters. Der Journalist Uwe Bahnsen schreibt im Oktober 2011, ein halbes Jahr ist Scholz im Amt, in der Tageszeitung "Die Welt":

"Scholz regiert die Stadt wie ein ungekrönter König. Natürlich auf der Grundlage der Verfassung, aber sein Herrschaftsstil ist autokratisch geprägt."

Und die Fraktionschefs der Opposition, Jens Kerstan von den Grünen und Dietrich Wersich von der CDU, sehen das genauso:

Kerstan: "Der Bürgermeister zieht alle großen Entscheidungen an sich, beschäftigt sich sehr intensiv mit den Themen - das muss man ihm lassen. Aber er entscheidet dann einsam und duldet da keinen Widerspruch. Den Eindruck muss man schon haben. Und insofern ist das Bild von König Olaf mit Sicherheit nicht ganz falsch gewählt."

Wersich: "Was ihn kennzeichnet, ist, dass manchmal sein einziger Maßstab er selbst ist. Es ist ein Regierungsstil von gestern. Und deshalb passt das auch ein bisschen zu monarchischen Verhältnissen. Die Auffassung, es gibt einen Kopf, der alles weiß und alles kann, ist längst überholt."

Der Monarch selbst hat eine klare Haltung zu den Metaphern. Kurz und knapp formuliert, typisch Scholz:

"Ich bin Bürgermeister einer alten Stadtrepublik. Die kennt keine Könige."

Ganz im Gegenteil: Diese Stadtrepublik hat im Laufe der Jahrhunderte sogar Traditionen entwickelt, die den meisten Königen nicht schmecken werden: Es ist zum Beispiel ganz egal, wie blaublütig die Gäste im Hamburger Rathaus sind - keiner von ihnen wird vom Bürgermeister hineingeführt. Das war auch 1965 nicht anders, als die englische Königin Elisabeth II. nach Hamburg kam. Auch die Queen musste erst mal allein die breiten Treppen hinauf schreiten, um dann oben angelangt die Hand des Bürgermeisters schütteln zu dürfen. Die nächste Regel: Als Bürgermeister stellt man sich nicht auf den Rathausbalkon und winkt dem Volk zu. Solchen Unfug überlässt man in der Hamburger Bürgerrepublik doch lieber dem Adel oder Fußballmannschaften - wenn sie denn einen Grund zum Feiern haben.

Ist es also allein die absolute Mehrheit in der Bürgerschaft, auf die Olaf Scholz seine Macht gründet? Auch Henning Voscherau, Erster Bürgermeister a.D., erreichte mit der SPD diese Mehrheit. Aber damals galt noch die eherne Regel: Der Bürgermeister darf nicht zugleich Landesvorsitzender der Partei sein. Ein Prinzip der Gewaltenteilung, das für Olaf Scholz nicht mehr gilt, so Voscherau:

"Olaf Scholz ist nicht nur aufgrund eigenen Rechts mit absoluter Mehrheit Bürgermeister. War nicht nur Landesvorsitzender der Hamburger SPD, sondern ist es auch im Weg der Wiederwahl geblieben, ist auch der einflussreichste innerhalb der SPD-Bürgerschaftsfraktion - einflussreicher als der Fraktionsvorsitzende -, ist gleichzeitig stellvertretender Parteivorsitzender in Berlin."

Er war in Hamburg unter Bürgermeister Ortwin Runde Innensenator, später Generalsekretär der Bundes-SPD, schließlich Nachfolger von Franz Müntefering als Bundesarbeitsminister.

"Er setzt diese ungewöhnliche Konstellation auch kühl, besonnen, entschlossen, aber ohne Anmaßung im Interesse der Stadt Hamburg ein. Das macht er sehr gut. Das macht er auch mit ruhiger Hand und kühlem Kopf. Klug und arbeitsfähig und fleißig ist er sowieso. Und ein starkes Rückgrat hatte er schon vor dreißig Jahren."

Damals, Anfang der 80er-Jahre, ficht der Jungsozialist Olaf Scholz mit Voscherau heftige Debatten aus, Scholz ist Mitte zwanzig, wie Gerhard Schröder ein Vertreter des Stamokap-Flügels, des Staatsmonopolkapitalismus.

Elbphilharmonie bei Sonnenaufgang
Das Millionengrab Elbphilharmonie ist eines der Projekte, mit denen Scholz kämpfen muss.© dpa / Christian Charisius
Vorwärts, und nicht vergessen …
Die Ideen der Stamokap-Fraktion sind längst abgeräumt. Und Scholz bringt mit seiner Machtfülle die Opposition auf die Palme. Die Grünen halten sein Festhalten an der Elbvertiefung für fatal und zusammen mit CDU und FDP kritisieren sie die Strategie für die immer noch in Schieflage befindliche HSH Nordbank und den Einstieg der Stadt bei der Reederei Hapag-Lloyd. Wie Scholz seine Macht und die Mehrheit in der Bürgerschaft einsetzt, zeigt seine Richtungsentscheidung über die Zukunft der Elbphilharmonie. Monatelang hat Olaf Scholz mit dem Baukonzern Hochtief verhandelt. Obwohl viele Experten dazu rieten, ohne den Konzern weiterzumachen, der immer wieder Nachzahlungen von mehreren Hundert Millionen Euro durchgesetzt hatte. Scholz ließ sich Zeit und präsentierte dann, viel später als geplant, einen angeblich wasserdichten Vertrag mit Hochtief, der alle zusätzlich anfallenden Kosten auf den Konzern abwälzt. Jetzt wünscht sich Scholz die Zustimmung der Bürgerschaft, lässt ihr aber kaum Zeit, die Akten gründlich zu studieren. Dietrich Wersich von der CDU ärgert das:

"Wenn es ein blindes Abnicken geben soll, und wenn die, die Verantwortung haben hingucken, liegt da kein Segen drauf. Das ist eine Degeneration von Politik, und deshalb passt das auch ein bisschen zu monarchischen Verhältnissen."

Scholz regiert - so erscheint es zumindest von außen - wie ein Autokrat. Und selbst hinter verschlossenen Türen, in den wöchentlichen Runden mit seinen Senatoren, ändere sich daran nichts. Das behauptet Dietrich Wersich:

"Es ist nicht bekannt, dass es echte Beratungsgremien gibt, oder dass er auch besonders freundlich mit Widerspruch umgeht. Im Gegenteil. Aus den engsten Kreisen heißt es: Man geht in eine Sitzung rein, er sagt seine Meinung. Dann wird drüber diskutiert, und er hört zwanzig andere Meinungen, und dann schließt er die Sitzung mit: 'Wir sind uns also alle einig.' Und dann wiederholt er das, was er zu Beginn gesagt hat. Echte Beratungsprozesse sind es, glaube ich, nicht."

Verbürgt ist der Fleiß des Bürgermeisters beim Aktenstudium. Sein Ehrgeiz, noch die kleinsten Details der Probleme zu ergründen, nach wasserdichten Lösungen zu suchen. Und erst, wenn sich eine Lösung in juristisch einwandfreie Verträge fassen lässt, ist Scholz zufrieden. Der Hamburger Politikwissenschaftler und Politikberater Professor Elmar Wiesendahl fasst den königlich-bürgermeisterlichen Regierungsstil so zusammen:

"Er ist gewissermaßen wie ein Konzernchef: Denkt und handelt und regiert und dirigiert den Senat, die SPD, die eingeschlafen ist. Er dirigiert gewissermaßen sogar die Bürgerschaft; und er dirigiert Hamburg. Das ist eine dermaßen ausgeprägte Machtfülle, die über kurz oder lang natürlich auch Widerstand auslösen wird, wobei die Frage ist, woher der herkommen wird."

Aus der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft ist kein Widerspruch zu erwarten, glaubt Wiesendahl

"Gegenwärtig ist es eher so, dass die Stille auffallend ist - und die Anpassung gegenüber dem Bürgermeister. Das gilt für die Fraktion, das gilt für die Partei, die ja mal sehr flügelstark war. Das gilt für die Leute in der Reserve. Das heißt: Alle setzen auf den 'Faktor Schola'. Und das sind eher Eigenschaften einer konservativen Partei, die so lange Ruhe hält, wie der Anführer die Stimmen einwirbt. Und solange das glückt, wird er auch nicht gestürzt. Insofern wird also dieser Anpassungsprozess sich fortsetzen. Denn alle haben was davon."

Vom Abgrund weg
Der Wahlerfolg des Olaf Scholz ist eine Erklärung für seine starke Stellung in der Hamburger SPD. Dazu kommt die Dankbarkeit für eine Leistung, die Scholz schon vor seiner Wahl fertiggebracht hat: die heillos zerstrittene Hamburger SPD zu einen. Nach einer Dekade der Oppositionsarbeit, einer Dekade der Selbstzerfleischung und Ränkespiele, der Intrigen und Tragödien. Vor gerade mal fünf Jahren rumorte es zwischen allen Ebenen: zwischen den SPD-Fürsten in den Bezirken, auf Kreisebene, in der Bürgerschaft und der Partei. Andreas Dressel, Fraktionschef der Hamburger SPD erklärt die Dankbarkeit:

"Ich glaube, wir haben nach 2001 in alle Abgründe geschaut, in die eine Oppositionspartei auch schauen kann. Und deshalb haben alle ihre Lehren draus gezogen: Nur gemeinsam sind wir stark. Wir müssen zusammenhalten. Wir sollten uns nicht so viel mit uns selbst beschäftigen, sondern uns mit den Problemen der Stadt beschäftigen, Lösungen erarbeiten. Das ist sicherlich auch ein Ergebnis aus den Oppositionserfahrungen, die wir über zehn Jahre gesammelt haben."

Und den Bürgermeister erlebt Dressel natürlich nicht als autokratischen Herrscher, sondern als diskussionsfreudigen Genossen, der den Konsens sucht.

"Bei uns hält sich keiner zurück. Es wird über alles debattiert und zwar intensiv. Ich glaube, die Zeiten, wo man Politik nur über Forderungen auf Seite eins einer Tageszeitung bewegt, die sind in Hamburg vorbei, und das ist eigentlich auch ganz gut so … "

… und eben nicht vergleichbar mit dem Hickhack des schwarz-grünen Vorgängersenats. Der war mehr Zweckehe als Liebesheirat, vor allem nachdem den allseits beliebten Ole von Beust die Lust am Regieren verließ, er zurücktrat und dem Heidelberger Christoph Ahlhaus Platz machte. Es war eine Frage der Zeit, bis die Grünen dem ehemaligen Burschenschaftler die Gefolgschaft verweigern würden.

Und ein Teil des Scholzschen Wahlsiegs erklärt sich aus den ziemlich miesen Beliebtheitswerten vor der Bürgerschaftswahl.

Hamburgerin: "Mir ist es egal, wer gewinnt. Außer Ahlhaus. Oder wie heißt er? Der andere Fritze? Der dicke, fette? Und die Grünen nicht. Um Gottes willen! Aber sonst ist mir egal, wer gewinnt."

Ahlhaus war als Innensenator vor allem dadurch aufgefallen, dass er seine Villa auf Staatskosten mit allerlei Sicherheitstechnik ausrüstete. Für rund eine Million Euro wurden Spezialfenster, Spezialzäune, Kameras und Alarmanlagen installiert. Der stille Herr Scholz lebt heute noch wie eh und je mit Frau Britta Ernst in seiner Altbauwohnung in Altona. Die Hamburger sehnten sich nach einem soliden Herrscher, einem bescheidenen Macher, einem Olaf-Scholz-Typ:

Hamburger: "Könnte ein guter Bürgermeister werden hier. Das ist eine eigene Persönlichkeit, die gut zu Hamburg passt. Ein frischer, neuer Wind tut Hamburg gut. Und man kann es dem Herrn Scholz zutrauen, dass er diesen frischen, neuen Wind reinbringt."

Das Rathaus von Hamburg
Dem Rathaus unter Olaf Scholz wird zu viel Nähe zur Wirtschaft vorgeworfen.© AP
Eine frische Brise
Nicht nur der schwache Herausforderer, nicht nur das Versprechen auf frischen Wind und solides Arbeiten brachten Scholz den Erfolg. Auch eine alte Allianz wurde wiederbelebt. Im Wahlkampf verkündet Scholz: Der Präses der Handelskammer, Frank Horch, soll nach einem Wahlsieg Wirtschaftssenator werden. Henning Voscherau war beeindruckt. Und ist es heute noch:

"Also Horch als Wirtschaftssenator vorzuschlagen in der Wahlkampfmannschaft, war natürlich ein ungeheurer Coup! Genialer Zug!"

Von dem auch Frank Horchs Nachfolger als Handelskammerpräses, Fritz Horst Melsheimer, fest überzeugt ist:

"Der Bürgermeister war gut beraten, sich so eine Lösung für seinen Senat zu suchen."

Diese Harmonie zwischen Wirtschaft und Bürgermeister kritisiert Jens Kerstan, der Fraktionschef der Grünen in der Bürgerschaft. Unter Schwarz-Grün, erzählt er, gab es noch eine gesunde Distanz zur Handelskammer. Ihr Gebäude, das schon Jahrzehnte vor dem Rathaus erbaut wurde, grenzt direkt an dessen Rückseite. Und seit jeher gibt es einen direkten Verbindungsgang zwischen den Häusern, so Kerstan:

"Die Verbindungstür ist auf unserem Fraktionsflur. Und insofern sehen wir dann schon, wer wann von der Handelskammer rüber zum Bürgermeister geht. Die kommen an unserer Tür vorbei. Aber interessanterweise hat die Handelskammer einen Schlüssel, um hier ins Rathaus reinzukommen. Aber andersherum - vom Rathaus in die Börse hineinzukommen -, da gibt es keinen Schlüssel. Sagt auch schon sehr viel über diese Stadt aus."

Melsheimer: "Nein. Es gibt einen Verbindungsgang zwischen Rathaus und Handelskammer oder Handelskammer und Rathaus. Und die Handelskammer hat einen Schlüssel. Aber der Bürgermeister hat auch einen Schlüssel. Das heißt, wenn der Bürgermeister zu Veranstaltungen in die Handelskammer kommt, dann nutzt er in der Regel diesen Verbindungsgang."

Wo lauern dann die Gefahren für die Regentschaft des Bürgermeisters? Aus der eigenen Fraktion wohl kaum, analysiert der Parteienforscher Elmar Wiesendahl. Viel eher könnte das Volk seinem "König Olaf" die Gefolgschaft verweigern:

"Erkennbar wird eine autoritäre Ader, die davon ausgeht: Ich habe ein Mandat, ich ziehe das durch, was ich gesagt habe. Da ist er sehr ehrlich und authentisch. Aber er schafft eine große Distanz zur Wählerschaft. Und die ist in Hamburg eigenwillig, auch ihrerseits selbstbezogen und wird sich eine Konfrontation mit dem Bürgermeister nicht bieten lassen. Und das ist eine Gratwanderung, die gefährlich für ihn sein könnte."

Vom Risiko des Entschiednes
Diese Konfrontation könnte im Frühherbst anstehen. Dann, wenn die Hamburgerinnen und Hamburger parallel zur Bundestagswahl auch über den Rückkauf der Strom- und Gasnetze durch die Stadt entscheiden dürfen. 100 Prozent der Energienetze sollen von den Stromkonzernen Vattenfall und E.on zurückgekauft werden - das fordert die Initiative "Unser Hamburg - unser Netz!", und hat nach letzten Umfragen schon heute 64 Prozent der Bürgerinnen und Bürger auf ihrer Seite. Der Bürgermeister warnt vor diesem Schritt, verweist auf die hohen Kosten von rund 1,5 Milliarden Euro und preist die eigene, bescheidene und schon umgesetzte Entscheidung, nur 25,1 Prozent der Netze zu erwerben. Das hatte Scholz vor der Wahl versprochen, das hat er umgesetzt. Und davon will er nicht abweichen. Das ist einerseits redlich, andererseits kompromisslos. Andere sagen: autokratisch. Und möglicherweise hat dieser Regierungsstil auch Bumerangqualitäten. Jens Kerstan, Fraktionschef der Grünen:

"Wir stehen bei vielen Großprojekten jetzt vor kritischen Situationen: HSH Nordbank, Elbvertiefung, Hapag-Lloyd, Rückkauf der Netze. Wenn da auch nur eines davon schiefgeht, wird König Olaf die Rechnung zahlen müssen. Dass er das nicht so gerne tun würde, das ist verständlich. Andererseits hat er auch hier diesen Regierungsstil unter der SPD hier eingeführt, dass er die Entscheidungen trifft. Dann muss man auch die Konsequenzen tragen."

Gefährlich könnte dem Regenten aber nicht nur ein allzu königlich-autokratischer Regierungsstil werden, sondern auch sein viel zu wenig königliches Auftreten, analysiert der Politikberater Elmar Wiesendahl:

"Ihm ist Glamour, Esprit oder eine Führung, die auch eine Aura vermittelt, völlig fremd. Schon vom Typus her. Die Gefahr ist, dass von ihm über kurz oder lang Langeweile ausgehen wird. Und das wird auch die Medien auf die Palme bringen. Und die Folge könnte sein, dass auch so eine Art Überdruss an der Person von Scholz entstehen könnte."

Dabei kennt er Scholz auch anders, so Wiesendahl:

"Im kleinen Kreis ist er humorig. Er ist aufgeschlossen, er ist schlagfertig. Während er hier in eine Rolle hineinschlüpft, die ihm auf den Leib geschrieben scheint, nämlich die des Sachwalters einer guten Politik."

Und nur ganz selten gerät der nüchterne König in der politischen Arena in Rage

Scholz: "Bleiben Sie mir mit Ihren Fantasien vom Halse. Wir zahlen noch heute an all diesen. Die eine davon ist die HSH Nordbank, und die andere heißt Elbphilharmonie. Auch das war ein ziemlich teurer, schöner Traum, meine Damen und Herren."

Er kann es also: allein regieren und königlich kämpfen. Aber muss er seinen politischen Gegnern immer als Besserwisser gegenübertreten, mit der Attitüde: Wenn Ihr genau drüber nachdenkt, werdet Ihr meiner Meinung sein? Henning Voscherau, Bürgermeister a. D., Elder Statesman:

"Vielleicht hat er ja recht? Außerdem ist es so - lohnt ja gar nicht, dran vorbei zu diskutieren: In der parlamentarischen Parteiendemokratie gibt es ein überbordendes Rollenspiel, nach dem sich Opposition verpflichtet fühlt, meist ums Verrecken, anderer Meinung zu sein."

In zwei Jahren wird sich Scholz, so viel steht wohl fest, um eine zweite Amtszeit als Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg bewerben. Ob es danach so königlich weitergeht, ist nicht sicher. Nur zum Kaiser wird er es nicht mehr bringen. Dieser Platz gebührt einem anderen:

Hamburgerin: "Wir müssten einen haben wie Schmidt. Der war der absolute Hammer! Ja, ja, das ist meine Überzeugung."