Gegenwartsgeschichte mit Stil
Ein Internat am Genfer See, ein Romanpersonal voll (durchaus glaubhafter) Spleens und Ambitionen, ein Sommer, in dem neun Teenager erwachsen werden und zwei Erwachsene, das heißt zwei junge Schriftsteller, wieder in die Pubertät zurücksacken: Wann eigentlich schreibt man so einen Kurzroman?
In welchem Alter muss man sein, um ausreichend Distanz zu halten, aber dennoch genug Empathie bewahrt zu haben, damit die Protagonisten nicht zu bloßen Karikaturen werden?
Nun, die englische Schriftstellerin Muriel Spark hat den soeben auf Deutsch erschienenen Roman "Der letzte Schliff" vor drei Jahren geschrieben – im Alter von 85 Jahren. Wie schafft man so etwas? Allein der in einem der Dialoge eingestreute Name von Tony Blair wird es wohl nicht sein, der dem Leser auf jeder Seite, in jeder Zeile das Gefühl gibt, eine Gegenwartsgeschichte mit Stil – eben eine mit letztem Schliff – zu lesen, deren Personal zeitgenössisch ist ohne jeden Hauch von Patina.
Nun bietet der gewählte Erzählrahmen freilich auch einen Vorteil: Ein Schweizer Internet für Oberschicht-Sprösslinge kennt zwar inzwischen auch Mobiltelefone und Internet, vor allem aber noch immer jenes im Kern unwandelbare comme il faut der internationalen Oberschicht, wie verkommen sie auch sein mag.
Muriel Spark konnte hier also an den Ton ihrer frühen Romane wie etwa "Das Treibhaus am East River" oder "Symposium" anknüpfen, und dennoch verblüfft es, wie die alte Dame - in der Tat eine geadelte Dame als weibliches Pendant zum Sir – noch immer mit traumwandlerischer Sicherheit alle Erzählfäden in der Hand hält und in ihrer unnachahmlichen Mischung aus Bosheit und Menschenliebe Personen und Milieus zeichnet.
Und wie vor Jahrzehnten gelingt es auch diesmal, den Leser zu einer Art Komplizen zu machen: Was, fragt man sich mit geradezu olympischen Vergnügen, wird aus Nina und ihrem Gatten Rowland, wenn sie sich inmitten des Tohuwabohus verwöhnter und durchgeknallter Halbwüchsiger wiederfinden?
Der Wortwitz und die Rasanz der Szenenwechsel erinnert ein wenig an Evelyn Waugh, und in der Tat war es der godfather des ironischen Romans, der bereits in den fünfziger Jahren eine gewisse junge Miss Spark lobte, die – wie auch er zwanzig Jahre zuvor – zum Katholizismus übergetreten war.
Die Konversion lieferte in beiden Fällen literarischen Mehrwert: Illusionslose Kenntnis zum Menschlich-Allzumenschlichen und statt schuldbewusst protestantischem Internalisieren der Ritus der Beichte, will heißen das Verfassen geistfunkelnder Romane.
Und so werden wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten, in welch konkreter Weise es erotisch und philosophisch in jenem Genfer Sommer drunter und drüber geht, verwetten jedoch gern unsere gesamte Reputation, dass kein Leser diesen "Letzten Schliff" je wieder missen wird. Hoffen und beten wir, daß Dame Muriel auch in naher Zukunft dermaßen produktiv bleibt – zum deutschen Papst ist ihr wahrscheinlich schon längst ein konzises Ketzer-Bonmot eingefallen.
Muriel Spark: Der letzte Schliff
Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Diogenes Verlag, Zürich 2005,
190 S., geb., 17, 20 Euro
Nun, die englische Schriftstellerin Muriel Spark hat den soeben auf Deutsch erschienenen Roman "Der letzte Schliff" vor drei Jahren geschrieben – im Alter von 85 Jahren. Wie schafft man so etwas? Allein der in einem der Dialoge eingestreute Name von Tony Blair wird es wohl nicht sein, der dem Leser auf jeder Seite, in jeder Zeile das Gefühl gibt, eine Gegenwartsgeschichte mit Stil – eben eine mit letztem Schliff – zu lesen, deren Personal zeitgenössisch ist ohne jeden Hauch von Patina.
Nun bietet der gewählte Erzählrahmen freilich auch einen Vorteil: Ein Schweizer Internet für Oberschicht-Sprösslinge kennt zwar inzwischen auch Mobiltelefone und Internet, vor allem aber noch immer jenes im Kern unwandelbare comme il faut der internationalen Oberschicht, wie verkommen sie auch sein mag.
Muriel Spark konnte hier also an den Ton ihrer frühen Romane wie etwa "Das Treibhaus am East River" oder "Symposium" anknüpfen, und dennoch verblüfft es, wie die alte Dame - in der Tat eine geadelte Dame als weibliches Pendant zum Sir – noch immer mit traumwandlerischer Sicherheit alle Erzählfäden in der Hand hält und in ihrer unnachahmlichen Mischung aus Bosheit und Menschenliebe Personen und Milieus zeichnet.
Und wie vor Jahrzehnten gelingt es auch diesmal, den Leser zu einer Art Komplizen zu machen: Was, fragt man sich mit geradezu olympischen Vergnügen, wird aus Nina und ihrem Gatten Rowland, wenn sie sich inmitten des Tohuwabohus verwöhnter und durchgeknallter Halbwüchsiger wiederfinden?
Der Wortwitz und die Rasanz der Szenenwechsel erinnert ein wenig an Evelyn Waugh, und in der Tat war es der godfather des ironischen Romans, der bereits in den fünfziger Jahren eine gewisse junge Miss Spark lobte, die – wie auch er zwanzig Jahre zuvor – zum Katholizismus übergetreten war.
Die Konversion lieferte in beiden Fällen literarischen Mehrwert: Illusionslose Kenntnis zum Menschlich-Allzumenschlichen und statt schuldbewusst protestantischem Internalisieren der Ritus der Beichte, will heißen das Verfassen geistfunkelnder Romane.
Und so werden wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten, in welch konkreter Weise es erotisch und philosophisch in jenem Genfer Sommer drunter und drüber geht, verwetten jedoch gern unsere gesamte Reputation, dass kein Leser diesen "Letzten Schliff" je wieder missen wird. Hoffen und beten wir, daß Dame Muriel auch in naher Zukunft dermaßen produktiv bleibt – zum deutschen Papst ist ihr wahrscheinlich schon längst ein konzises Ketzer-Bonmot eingefallen.
Muriel Spark: Der letzte Schliff
Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Diogenes Verlag, Zürich 2005,
190 S., geb., 17, 20 Euro