Gegen ein lasterhaftes Leben

15.08.2007
Die Geißelung von Hochmut, Habgier, Wollust, Neid, Völlerei, Zorn und Trägheit spielt im gesellschaftlichen Leben keine dominante Rolle mehr. Alfred Bellebaum und Detlef Herbers zeigen in ihrem Band "Die sieben Todsünden" die Herkunft und Bedeutung der einzelnen Sünden auf und machen auf deren aktuelle Relevanz aufmerksam.
Worte wie Laster, Tugend und Todsünde zählen nicht mehr zur Alltagssprache. Allenfalls ist noch von Diätsünden, Verkehrssündern und Sündenböcken die Rede sowie metaphorisch etwa von den "sieben Todsünden der Gesundheitspolitik".

Dennoch ist die klassische, eindeutig christlich geprägte Todsünden-Lehre im Zeitalter der Postmoderne durchaus bedenkenswert, wenn nicht gar von wegweisender Relevanz. Sie gibt Orientierung angesichts der populären Maxime "Anything goes" und bietet – auch in säkularisierter Form – Hilfestellungen für ein gelingendes Leben. Denn wer wissen will, was erlaubt ist, muss wissen, was verboten ist. Genauer und persönlich gewendet: Wer wissen will, was er sich erlauben sollte, muss darüber nachdenken, was er sich verbieten sollte.

Auf unterschiedliche Weise bestätigen dies zwei Publikationen, die im letzten Jahr erschienen sind: Heiko Ernst, langjähriger Chefredakteur der Zeitschrift "Psychologie heute", überschrieb seine praxisnahe Deutung der Materie mit "Wie uns der Teufel reitet. Von der Aktualität der sieben Todsünden". Und der Bamberger Kultursoziologe Gerhard Schulze wählte für seine relativ freie, umdeutende Interpretation den programmatischen Titel: "Die Sünde. Das schöne Leben und seine Feinde".

Der vorliegende Band, Ergebnis einer wissenschaftlichen Tagung, wählt einen dritten Weg. Er nimmt die moraltheologische Tradition, die anthropologische Dimension und die künstlerische Präsentation der klassischen sieben Todsünden genauer in den Blick. In zehn Artikeln werden auf der einen Seite Herkunft und Bedeutung der einzelnen Todsünden dargelegt – äußerst profunde, mitunter recht ausgiebig. Auf der anderen Seite kommen dem Untertitel gemäß Reflexionen über Relevanz und Irrelevanz, ja Umdeutungen von "Laster[n] und Tugenden in der modernen Gesellschaft" nicht zu kurz.

SALIGIA lautet die Merkformel der Lateiner für Superbia, Avaritia, Luxuria, Invidia, Gula, Ira und Acedia. Zu Deutsch: Hochmut, Habgier bzw. Geiz, Wollust (Unkeuschheit), Neid, Völlerei (Unmäßigkeit), Zorn und (religiös-ethische) Trägheit.

Schon in der Bibel findet man die genannten Phänomene. Man denke nur an den Tod bringenden Neid zwischen Kain und Abel sowie an Jesu Worte "Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon", die Kritik an Habgier und Geiz zum Ausdruck bringen.

Im sechsten Jahrhundert schließlich gewinnt der Katalog all der Laster, die Menschen den Lebenssinn und das "ewige Leben" völlig verfehlen lassen, seine klassische Gestalt. Papst Gregor der Große legt Reihenfolge und Siebenzahl fest. Außer den zehn Geboten gibt es in der abendländischen Kultur- und Geistesgeschichte "keinen Kanon, der menschliches Verhalten und Sein so klar kategorisierte und für zeitgemäße Deutungen dennoch offen blieb."

Ein Beispiel: Dagobert Duck und Ebenezer Scrooge gelten als die Geizhälse schlechthin. Angehäuftes Eigentum macht die beiden nur bedingt glücklich, eher einsam. Mit der Devise "Geiz ist geil" könnten sie bestimmt nicht zu vermehrtem Warenkauf animiert werden.

Der Werbeslogan appelliert eher an die Cleverness von Schnäppchenjägern, die sich – frei nach Erich Fromm – nicht am Sein, sondern am Haben orientieren, immer mehr und möglichst preisgünstig. Da heute Konsum als erste Bürgerpflicht gilt, um stetes Wirtschaftswachstum zu sichern, wird aus dem ehemals individuellen Laster eine scheinbar soziale Tugend. Doch:

"Die Spirale von Habsucht und Geiz kennt kein beruhigtes Ende für alle. Vielmehr ‚produziert‘ sie unter dem Schutzschild öffentlicher Anerkennung neben der Selbstgefälligkeit ihrer Profiteure zugleich die Unterdrückung des Opferbewusstseins ihrer Verlierer."

Wer ausgiebige Informationen und fundierte Reflexionen zu Geschichte sowie aktueller Relevanz und Ambivalenz der sieben Todsünden sucht, greift zum vorliegenden Band. Ab und an scheint ein kritisch-konservativer Geist durch die gut 300 Seiten hindurch, in denen Vertreter der Postmoderne mit ihrer Kritik nur indirekt zu Wort kommen. Dennoch: Ein wichtiger Beitrag für die Debatte um Lebensqualität, Werte und Normen, die so bald nicht enden wird.

Rezensiert von Thomas Kroll

Alfred Bellebaum und Detlef Herbers (Hrsg.): Die sieben Todsünden. Über Laster und Tugenden in der modernen Gesellschaft
Aschendorff Verlag, Münster 2007
345 Seiten, 29,80 Euro