Gegen ein Kultursponsoring der Konzerne
Prominente Autoren protestieren in Hamburg mit Lesungen gegen Atomstrom. Ihre Auftritte sind ein Gegen-Festival. Sie wollen damit einen Kontrapunkt setzen zu den vom Energiekonzern gesponserten Vattenfall-Lesetagen.
Feridun Zaimoglu liest aus seinem Buch "Zwölf Gramm Glück". Das hat zwar nichts mit einer Kritik an Atomkonzernen zu tun, spielt aber genau an dem Ort, an dem er liest: im Hamburger Schanzenviertel. Und dieser Ort steht dann auch tatsächlich für den Kampf für eine bessere Welt und gegen das Großkapital.
Die Rote Flora im Herzen des Schanzenviertels ist seit über zwei Jahrzehnten von Linksautonomen besetzt, alljährlich zum 1. Mai entzünden sich meist direkt vor dem einst prächtigen, mittlerweile abgewrackten Haus die nächtlichen Krawalle. Drinnen im Saal schmücken Graffiti die Wände, Anti-Atom-Plakate, bröckelnder Putz. Es war Zaimoglus Idee, genau hier zu lesen:
Feridun Zaimoglu: "Ich bin ja ein Stuben-Linker. Und als Stuben-Linker bin ich natürlich immer wieder gerne bereit, an Schauplätzen, an denen es – sagen wir mal – heißer hergeht oder in Szenen, die sich als Widerstandsnester gegen Konsum und was weiß ich verstehen – dort dann für lau zu lesen. Da musste ich überhaupt nicht drüber nachdenken!"
Und rein äußerlich passt der Schriftsteller aus Kiel gut ins Widerstandsnest: kurze krause Haare, ganz in schwarz, eine dicke Kette am Hosenbund sichert sein Portemonnaie. Die "Erneuerbaren Lesetage" finden zum zweiten Mal in Hamburg statt. Die Idee, betonen die Veranstalter, entstand ein paar Monate vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Den so genannten "Vattenfall-Lesetagen" sollte ein Alternativprogramm entgegengestellt werden. Nur Wochen nach dem Super-GAU in Japan liefen dann die ersten Lesungen mit Günther Grass, Nina Hagen und Feridun Zaimoglu und bekamen eine Aktualität, mit der niemand gerechnet hatte. Zaimoglu weist ausdrücklich darauf hin, vor zwei Jahren auch schon auf der Vattenfall-Veranstaltung gelesen zu haben. Dann hat er die Seiten gewechselt, will nun aufmerksam machen auf problematisches Kultursponsoring. Allerdings, so der Schriftsteller, verdammen sollte man es auch nicht:
Feridun Zaimoglu: "Sinn der Sache ist nicht, dass Vattenfall sagt: 'Nee, wir sponsorn jetzt nicht Kultur!' Und die Stadt Hamburg sagt: 'Wir auch nicht!' Und was dann? Dann hat man sozusagen ein Kulturevent weniger! Das wäre, glaube ich, nicht hilfreich. Da würden sich wahrscheinlich die wenigsten Leute drüber freuen."
Ganz so pragmatisch sieht es Oliver Neß nicht. Er gehört zum Veranstalter-Team, und auch, wenn er den in der kommenden Woche beginnenden Vattenfall-Lesetagen keine Zuhörer abjagen will, so geht es Neß doch ums Prinzip:
Oliver Neß "Wenn ein Atomkonzern, der für eine Vielzahl von Störfällen verantwortlich ist, der viele Bürger in dieser Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat in den letzten Jahren, wenn ein Atomkonzern, der die Preise für den Strom für die Verbraucher in dieser Stadt ins Unermessliche nach oben treibt, und wenn man bedenkt, dass nicht nur diese Generation, sondern viele Generationen von Vattenfall mit den Hinterlassenschaften konfrontiert sind, die der Atommüll für diese Generationen bedeutet, dann gibt es keine Berechtigung für Vattenfall, all diese Geschäftspolitik zu verkleistern mit Kultur, Literatur, mit den schönen Dingen dieses Lebens!"
Roger Willemsen, erzählt Veranstalter Neß, hat es bei der diesjährigen Auftakt-Lesung auf den Punkt gebracht: "Wie wäre es denn", zitiert er Willemsen, "wenn der schwäbische Waffenfabrikant Heckler&Koch eine Lesereihe organisieren würde und Berta von Suttners 'Die Waffen nieder' dort lesen ließe?" Neß ärgert sich vor allem darüber, dass die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler die Einladung zur Diskussion über "Ethische Standards im Kultursponsoring" ausgeschlagen hat. Allerdings, so die Auskunft des Behördensprechers, ging dort die Einladung erst Ende des Monats ein. Die Senatorin, heißt es, freue sich über Veranstaltungen wie die "Erneuerbaren Lesetage" und finde leider keine Zeit für die Diskussion über das Thema "Kultursponsoring". Gesponsert werden natürlich auch die alternativen Lesetage: unter anderem von einem Bio-Saft-Produzenten, von Anti-Atom-Initiativen, dem Welt-Zukunfts-Rat und Hamburger Theatern, vom HSV, dem FC St. Pauli und vom Deutschlandfunk. Der Eintritt ist – im Gegensatz zur Vattenfall-Reihe – frei.
Neben Feridun Zaimoglu hat gestern Abend auch Jan Brandt aus seinem Buch "Gegen die Welt" gelesen. Als Statement gegen Atomstrom trägt er auf dem Podium den alten gelben, Original-70er-Jahre-Regenmantel seines großen Bruders. Dieser Mantel, erzählt Brandt, war schon bei den Demos gegen das AKW in Brokdorf im Einsatz und dieser Meiler gehört heute E.On und Vattenfall.
Jan Brandt: "Ich will mich nicht von der Wirtschaft sponsorn lassen. Ich finde, das ist eine Aufgabe des Staates und der Gesellschaft ist, Bildung und Kultur zu fördern. Und die Wirtschaft macht nichts anderes als ihr eigenes Image aufzupolieren mit solchen Veranstaltungen. Und da will ich mich nicht vor einen Karren spannen lassen."
Bis zum 18. April laufen die "Erneuerbaren Lesetage", auf dem Programm stehen unter anderem noch Abende mit Gudrun Pausewang, Kai Degenhardt und Rolf Becker, mit Henning Venske und Konstantin Wecker. Den Zuhörerinnen und Zuhörern in der Roten Flora haben der Rahmen, die Lesungen und das Konzept der ganzen Reihe gefallen:
Publikum """Ich bin schon lange nicht mehr bei Vattenfall! Nein! Gehe ich nicht hin, boykottiere ich! – Ich finde, beide Lese-Feste haben ihre Berechtigung. Ich bin jetzt hier nicht hingegangen, um ein besseres Gewissen zu haben! Oder um die Autoren zu hören, die gegen Atomstrom lesen! Sondern ich will auch gute Literatur hören. Und das war heute der Fall!"
Die Rote Flora im Herzen des Schanzenviertels ist seit über zwei Jahrzehnten von Linksautonomen besetzt, alljährlich zum 1. Mai entzünden sich meist direkt vor dem einst prächtigen, mittlerweile abgewrackten Haus die nächtlichen Krawalle. Drinnen im Saal schmücken Graffiti die Wände, Anti-Atom-Plakate, bröckelnder Putz. Es war Zaimoglus Idee, genau hier zu lesen:
Feridun Zaimoglu: "Ich bin ja ein Stuben-Linker. Und als Stuben-Linker bin ich natürlich immer wieder gerne bereit, an Schauplätzen, an denen es – sagen wir mal – heißer hergeht oder in Szenen, die sich als Widerstandsnester gegen Konsum und was weiß ich verstehen – dort dann für lau zu lesen. Da musste ich überhaupt nicht drüber nachdenken!"
Und rein äußerlich passt der Schriftsteller aus Kiel gut ins Widerstandsnest: kurze krause Haare, ganz in schwarz, eine dicke Kette am Hosenbund sichert sein Portemonnaie. Die "Erneuerbaren Lesetage" finden zum zweiten Mal in Hamburg statt. Die Idee, betonen die Veranstalter, entstand ein paar Monate vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Den so genannten "Vattenfall-Lesetagen" sollte ein Alternativprogramm entgegengestellt werden. Nur Wochen nach dem Super-GAU in Japan liefen dann die ersten Lesungen mit Günther Grass, Nina Hagen und Feridun Zaimoglu und bekamen eine Aktualität, mit der niemand gerechnet hatte. Zaimoglu weist ausdrücklich darauf hin, vor zwei Jahren auch schon auf der Vattenfall-Veranstaltung gelesen zu haben. Dann hat er die Seiten gewechselt, will nun aufmerksam machen auf problematisches Kultursponsoring. Allerdings, so der Schriftsteller, verdammen sollte man es auch nicht:
Feridun Zaimoglu: "Sinn der Sache ist nicht, dass Vattenfall sagt: 'Nee, wir sponsorn jetzt nicht Kultur!' Und die Stadt Hamburg sagt: 'Wir auch nicht!' Und was dann? Dann hat man sozusagen ein Kulturevent weniger! Das wäre, glaube ich, nicht hilfreich. Da würden sich wahrscheinlich die wenigsten Leute drüber freuen."
Ganz so pragmatisch sieht es Oliver Neß nicht. Er gehört zum Veranstalter-Team, und auch, wenn er den in der kommenden Woche beginnenden Vattenfall-Lesetagen keine Zuhörer abjagen will, so geht es Neß doch ums Prinzip:
Oliver Neß "Wenn ein Atomkonzern, der für eine Vielzahl von Störfällen verantwortlich ist, der viele Bürger in dieser Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat in den letzten Jahren, wenn ein Atomkonzern, der die Preise für den Strom für die Verbraucher in dieser Stadt ins Unermessliche nach oben treibt, und wenn man bedenkt, dass nicht nur diese Generation, sondern viele Generationen von Vattenfall mit den Hinterlassenschaften konfrontiert sind, die der Atommüll für diese Generationen bedeutet, dann gibt es keine Berechtigung für Vattenfall, all diese Geschäftspolitik zu verkleistern mit Kultur, Literatur, mit den schönen Dingen dieses Lebens!"
Roger Willemsen, erzählt Veranstalter Neß, hat es bei der diesjährigen Auftakt-Lesung auf den Punkt gebracht: "Wie wäre es denn", zitiert er Willemsen, "wenn der schwäbische Waffenfabrikant Heckler&Koch eine Lesereihe organisieren würde und Berta von Suttners 'Die Waffen nieder' dort lesen ließe?" Neß ärgert sich vor allem darüber, dass die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler die Einladung zur Diskussion über "Ethische Standards im Kultursponsoring" ausgeschlagen hat. Allerdings, so die Auskunft des Behördensprechers, ging dort die Einladung erst Ende des Monats ein. Die Senatorin, heißt es, freue sich über Veranstaltungen wie die "Erneuerbaren Lesetage" und finde leider keine Zeit für die Diskussion über das Thema "Kultursponsoring". Gesponsert werden natürlich auch die alternativen Lesetage: unter anderem von einem Bio-Saft-Produzenten, von Anti-Atom-Initiativen, dem Welt-Zukunfts-Rat und Hamburger Theatern, vom HSV, dem FC St. Pauli und vom Deutschlandfunk. Der Eintritt ist – im Gegensatz zur Vattenfall-Reihe – frei.
Neben Feridun Zaimoglu hat gestern Abend auch Jan Brandt aus seinem Buch "Gegen die Welt" gelesen. Als Statement gegen Atomstrom trägt er auf dem Podium den alten gelben, Original-70er-Jahre-Regenmantel seines großen Bruders. Dieser Mantel, erzählt Brandt, war schon bei den Demos gegen das AKW in Brokdorf im Einsatz und dieser Meiler gehört heute E.On und Vattenfall.
Jan Brandt: "Ich will mich nicht von der Wirtschaft sponsorn lassen. Ich finde, das ist eine Aufgabe des Staates und der Gesellschaft ist, Bildung und Kultur zu fördern. Und die Wirtschaft macht nichts anderes als ihr eigenes Image aufzupolieren mit solchen Veranstaltungen. Und da will ich mich nicht vor einen Karren spannen lassen."
Bis zum 18. April laufen die "Erneuerbaren Lesetage", auf dem Programm stehen unter anderem noch Abende mit Gudrun Pausewang, Kai Degenhardt und Rolf Becker, mit Henning Venske und Konstantin Wecker. Den Zuhörerinnen und Zuhörern in der Roten Flora haben der Rahmen, die Lesungen und das Konzept der ganzen Reihe gefallen:
Publikum """Ich bin schon lange nicht mehr bei Vattenfall! Nein! Gehe ich nicht hin, boykottiere ich! – Ich finde, beide Lese-Feste haben ihre Berechtigung. Ich bin jetzt hier nicht hingegangen, um ein besseres Gewissen zu haben! Oder um die Autoren zu hören, die gegen Atomstrom lesen! Sondern ich will auch gute Literatur hören. Und das war heute der Fall!"